Als Theologe gehörte
Steffen Reiche noch zu Diktaturzeiten zu den Gründern der Sozialdemokratischen
Partei in der DDR. Anschliessend verbrachte er fast zwei Jahrzehnte in der
Landes- und Bundespolitik. Jetzt ist er wieder Pfarrer.
Theologe und Politiker Steffen Reiche
Steffen
Reiche muss heute noch schmunzeln, wenn er an jenen 18. Oktober 1989
zurückdenkt. Damals sass er – der 29-jährige Pfarrer aus dem Osten – zusammen
mit Helmut Schmidt und anderen gestandenen Politikern aus dem Westen im
ARD-«Brennpunkt» und sollte sich dort zum Rücktritt von Erich Honecker äussern.
«Das war eine verrückte Zeit», sagt er. Als Pfarrer hatte Reiche anlässlich des
Geburtstages seiner Grossmutter in Bonn eine Reisegenehmigung in den Westen
bekommen. Die Woche nutzte er auch, um Kontakte zu führenden SPD-Politikern zu
knüpfen. Dabei hatte seine eigene politische Karriere erst kurz zuvor begonnen,
als er mit Kollegen im Pfarrhaus von Schwante in Brandenburg am 7. Oktober –
dem 40. Jahrestag der DDR – die Ost-SPD (damals SDP) ins Leben rief. «Zu so
einem besonderen Geburtstag wollten wir der DDR und der Staatsführung auch ein
richtiges Geschenk machen», erzählt er mit schelmischem Unterton.
Engagiert für
verfolgte Christen
Es
folgt eine steile politische Karriere. 1990 wird Reiche Landesvorsitzender der
SPD im neuen Bundesland Brandenburg, 1994 Kultusminister, 1999 Minister für
Bildung, Jugend und Sport.
2005
zieht er in den Bundestag ein. Als er in seinem Wahlkreis 2009 trotz besserem
Erststimmenergebnis
knapp unterliegt, zieht es ihn zurück zu seinen beruflichen Wurzeln – ins
Pfarramt. «Das war immer mein Beruf und meine Berufung», sagt er. «Nach der
friedlichen Revolution und der deutschen Wiedervereinigung ging es allerdings
darum, die erstrittene Freiheit verantwortungsvoll zu gestalten. Und dabei wollte
ich helfen.»
Seit
2011 ist Reiche Pfarrer an der Epiphaniengemeinde in Berlin-Charlottenburg.
Daneben hat er zahlreiche Ehrenämter inne, ist unter anderem stellvertretender
Vorsitzender der deutsch-israelischen Gesellschaft in Potsdam und engagiert
sich bei
der Hilfsaktion Märtyrerkirche, die sich für verfolgte Christen in aller Welt
einsetzt.
Jugendherbergen in der
Nähe von KZs
Zudem
ist er Präsident des Leichtathletikverbandes Brandenburg und des
Landesverbandes Berlin-Brandenburg des Deutschen Jugendherbergswerkes. Dort
sucht er auch Kontakt zu anderen Kirchengemeinden. Die rund 500 Jugendherbergen
in ganz Deutschland seien für die kirchliche Arbeit mit Kindern und
Jugendlichen optimal, so seine Erfahrung. Als Gruppe könne man ein ganzes Haus
mieten: «Dort können wir einen Gottesdienst gemeinsam vorbereiten und
thematisch arbeiten, ohne dass uns jemand stört.»
Besonders
am Herzen liegen ihm die beiden Häuser in Sachsenhausen und Ravensbrück. Sie
eignen sich aufgrund ihrer Nähe zu den KZs der Nationalsozialisten – zudem
diente Sachsenhausen ab 1945 als Speziallager der Sowjetunion
für Oppositionelle – hervorragend für die Gedenkstättenarbeit mit Jugendlichen.
Einsatz für
Gerechtigkeit
In
seiner Tätigkeit als Pfarrer ist Reiche das Thema Gerechtigkeit besonders
wichtig. So setzt er sich unter anderem dafür ein, dass das «Bekenntnis von
Accra» – das 2004 von der Weltgemeinschaft Reformierter Christen in Ghana
verabschiedet wurde – bekannter wird: «Es handelt sich um ein
Glaubensbekenntnis angesichts wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und ökologischer
Zerstörung.»
Könnte
er dagegen als Politiker nicht mehr tun? «Als Christ soll jeder an seinem Ort
für eine gerechtere Welt eintreten.» Eine Rückkehr in die Politik schliesst der
51jährige Vater von drei Töchtern aber dennoch nicht ganz aus: «Das
Europaparlament bleibt eine denkbare Option.»
Datum:
13.07.2012 Autor: Matthias Pankau Quelle: idea
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