Flüchtlingskrise: «Wir stehen vor einer neuen Situation»
SEA-Präsident Wilf Gasser ist auf vielen Ebenen mit Fragen rund um Flüchtlinge konfrontiert. Er ist überzeugt, dass hinter dem Zustrom von Fremden in unser Land auch eine geistliche Anfrage an die Christen in der Schweiz steht.
Wilf Gasser, Präsident der Schweizerischen Evangelischen Allianz
idea Spektrum: Wilf Gasser, vor zwei Wochen trafen sich die Delegierten der Europäischen Allianz in Deutschland. Ein Thema war die Flüchtlingskrise. Worum drehte sich die Diskussion?
Auf der einen Seite stellen wir unter Christen grosse Betroffenheit fest und das Bedürfnis zu helfen. Und auf der anderen Seite finden wir grosse Ängste vor dem Unbekannten, das wir nicht mehr unter Kontrolle haben. Viele sind angesichts des Flüchtlingsstroms hin- und hergerissen. Wir fragten uns, wie sieht in dieser Spannung eine «Jesus-gemässe» Antwort aus? Wir möchten die Gefühle der Menschen ernst nehmen und sie gleichzeitig auf einen Weg des Gottvertrauens mitnehmen.
Was soll der Appell der Europäischen Allianz bewirken?
Wir machen deutlich, dass wir uns als Christen dieser Situation stellen und handeln müssen. Gleichzeitig bekräftigen wir, dass Jesus die Kontrolle hat und wir gemeinsam darum ringen müssen, in dieser Herausforderung das Reich Gottes sichtbar zu bauen. Ich zitiere einen Absatz: «Wir wollen Beispiele der Gnade, Hoffnung und des Willkommens in der unmittelbaren Krise sein. Wir rufen evangelikale Christen auf, die humanitären Bemühungen in den Ursprungsländern zu unterstützen. Wir rufen aber auch alle Christen dazu auf, denjenigen, die zu uns gekommen sind, die Liebe Christi durch Wort und Tat grosszügig weiterzugeben, gemeinsam mit vielen anderen, die helfen.»
Die Meinungen unter Christen sind aber geteilt. Von «Wir heissen alle willkommen!» bis zu «Stopp! Wir müssen abriegeln» ist alles zu hören. Wo steht die Allianz?
Es ist nicht unsere Aufgabe, politische Leitlinien zu ziehen. Vielmehr wollen wir auf die Katastrophe eine geistliche Antwort suchen und wir rufen zur Tat auf. Wir können Gott neu begegnen, wenn wir erfahren, dass er auch dort gegenwärtig ist, wo wir meinen, es sei alles ausser Kontrolle.
Wie sieht diese «geistliche Antwort» im Zusammenhang mit dem Flüchtlingszustrom aus?
Wir müssen uns zusammentun und gemeinsam mit Jesus nach Antworten suchen. Wir wollen uns fragen, wie und wo jeder persönlich – oder wir gemeinsam als christliche Gemeinde – etwas zur Linderung der Not beitragen können. Dazu bringen Christen gute Voraussetzungen mit, unabhängig von der politischen Diskussion und den daraus abgeleiteten Massnahmen.
Welche guten Voraussetzungen sind gemeint?
Dass wir uns nicht von der Furcht bestimmen lassen und dass wir in der neuen Situation auch Chancen erkennen. Angesichts der Herausforderung durch die Asylsuchenden können wir lernen, gemeinsam auf Gott zu hören, ihm zu vertrauen und nicht von der Angst geleitet zu reagieren. Jetzt klopfen Menschen in Not an unsere Tür. Sie fliehen vor Krieg, Verfolgung und Hunger. Ihnen wollen wir helfen.
Wo sehen Sie Chancen inmitten eines Klimas der Angst vor der wachsenden Islamisierung und dem Verlust von Sicherheit und Wohlstand?
Wie gesagt, mir geht es um die christliche Perspektive und die daraus abgeleitete Verantwortung gegenüber Gott und Menschen. Schutzsuchende brauchen Hilfe. Bei uns aufgenommene Asylberechtigte brauchen Beziehungen, Unterstützung, Begleitung.
Können Sie die Ängste vor nicht gelingender Integration nachvollziehen?
Die kann ich gut nachvollziehen. Wenn alles aus dem Ruder läuft und Hunderttausende von Menschen in die Schweiz kämen, stünde ich auch vor der Frage, was ich persönlich zu teilen bereit wäre. Wie würde ich reagieren? Nach 70 Jahren der Stabilität und des Friedens stehen wir an der Spitze der Wohlstandspyramide, und werden nun angesichts der Flüchtlinge verunsichert. Was müssen wir mit anderen teilen? Verlieren wir einen Teil unseres Lebensstandards? Das macht Angst. Auch dass die Flucht vieler junger Männer von islamischen Organisationen gesteuert wird, ist Grund zu echter Sorge. Darüber muss man offen reden.
Was möchte der Präsident der Evangelischen Allianz den Christen in der Schweiz ans Herz legen?
Mein Gebet ist es, dass die Kirchen und Gemeinden neu erkennen, dass sie nicht nur in der Theorie Orte der Hoffnung
sind. Während wir einerseits den Fremden helfen, können wir anderseits auch unseren Schweizer Nachbarn, die Sorgen und Ängste haben, ein Zeugnis von der Liebe Gottes sein. Wir haben eine Hoffnung, die auf den Glauben an Jesus und nicht auf uns selbst baut.
Das setzt voraus, dass wir bewusst auf die Menschen zugehen und die Kirchenmauern transparent machen. Ja klar, es gehört mit zum Auftrag Jesu, Menschen in Not und Verfolgung zu helfen! Und noch etwas: Unter den Muslimen, die zu uns kommen, sind viele, die vor ihren eigenen «Brüdern» fliehen mussten und entsprechend nun Fragen haben oder sogar konkret nach dem christlichen Glauben suchen. Fragt man ehemalige Muslime, was ihnen dabei half, sich Jesus zuzuwenden, dann steht an erster Stelle die Freundschaft mit einzelnen Christen.
Wilf Gasser (58) ist als Unternehmensberater, Sexualtherapeut, Supervisor und Coach tätig. Seit 2008 ist er Präsident der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA und seit 2012 auch Mitglied im Generalsekretariat der Weltweiten Evangelischen Allianz WEA. In allen diesen Aufgabenbereichen - sowohl lokal wie global - Gasser mit den Herausforderungen durch die aktuellen Flüchtlingsbewegungen konfrontiert. Ganz besonders beschäftigt ihn eine Frage: Was ist die Antwort der christlichen Gemeinde?
Dies ist ein Auszug. Das ganze Interview steht im Wochenmagazin ideaSpektrum Nr. 43-15.
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