Brasilien: Kirchen packen an beim Exodus aus Venezuela
Drei Millionen Venezolaner – das sind knapp 10
Prozent der Bevölkerung – haben bisher das Land wegen der horrenden Inflation
und unmöglicher Lebensbedingungen verlassen. Unter denen, die in den
Grenzregionen den Flüchtlingen helfen, stechen die Kirchen besonders hervor.
Immigranten aus Venezuela überqueren die brasilianische Grenze.
In den brasilianischen
Grenzstädten Roraima und Boa Vista an der Grenze zu Venezuela kommen jeden Tag
eintausend Bewohner des krisengeplagten Landes an, um Hunger und Armut zu
entfliehen.
Eine Tafel Schokolade: ein Monatslohn
Sie sind verzweifelt,
denn sie können sich kein Essen mehr kaufen. Der Preis eines Huhnes oder einer
Tafel Schokolade entspricht einem Monatslohn. In den letzten Monaten konnten
sich viele Menschen in Venezuela nur eine Mahlzeit pro Tag leisten; ihre Kinder
leiden an Unterernährung.
Der Besitz eines
Smartphones ist ein Luxus, den zu besitzen oder zu reparieren sich viele
Venezolaner nicht mehr leisten können. Das führt zu einem Informations-Blackout
für viele. Ohne Telefon hängen Tausende von Flüchtlingen in den Strassen von
Pacaraima und Boa Vista herum und wissen nicht, was mit ihnen geschehen wird. Sowohl
zu ihren Familien in Venezuela als auch zum Informationsnetzwerk in Brasilien
haben sie keine Verbindung. So fehlen ihnen die Resourcen, ihr Leben wieder
aufzubauen.
Zum ersten Mal arbeiten Christen zusammen
Der Migrationsdruck auf
der Bevölkerung der brasilianischen Grenzstädte ist enorm. Die Stimmung den
Flüchtlingen gegenüber wird zunehmend feindlicher, es kommt zu
Gewaltausbrüchen. Flüchtlinge melden jedoch immer wieder, dass die brasilianischen
Christen ihnen helfen. Viele campen in der Umgebung von Kirchen, wo sie Nahrung
und praktische Hilfe bekommen und sich willkommen fühlen. Ein Netzwerk von religiösen
Organisationen ist entstanden, das allen Flüchtlingen auf der Strasse Ersthilfe
anbietet – ohne Unterstützung der Regierung oder der Behörden. Der katholische
Priester Padre Elvis erklärt, dass zum ersten Mal in der Geschichte dieser brasilianischen
Region alle Kirchen – katholische und evangelische, Baptisten und Pfingstler –
zusammenarbeiten, um den Flüchtlingen zu helfen: «In der Kirche gibt es keine
Immigranten, es gibt nur Christen», erklärt er.
Zwischen den Fronten
Die Kirchen erleben
nicht nur den Druck durch die täglich wachsende Anzahl von Flüchtlingen, sondern auch
durch die schwindende Unterstützung der lokalen Bevölkerung. Brasilianer haben
einfach genug davon, dass ihre Städte zunehmend unsicher und chaotisch werden. Das
macht wiederum den Flüchtlingen Sorge; gleichzeitig betonen sie, wie sehr sie
sich von brasilianischen Christen willkommen geheissen fühlen und dass sie
hoffen, bald in ihr Land zurückkehren zu können.
«Eine Tragödie faustischen Ausmasses»
Was Venezuela seit
einigen Jahren erlebt – und was sich auf eine Million Prozent Inflation (!) in
diesem Jahr dramatisch zugespitzt hat –, ist nach den Worten des in den USA
lebenden Venezolaners Wolfgang Fernandez eine Tragödie «faustischen Ausmasses».
Das Land, das auf den grössten Erdölvorkommen der Erde sitzt, nach dem zweiten
Weltkrieg einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung erfuhr und lebte, «als
wenn es kein Morgen gäbe», ist durch Linksdiktaturen (Chavez und Maduro),
Korruption und Vetternwirtschaft total heruntergewirtschaftet. In vieler
Hinsicht ist Venezuela heute eines der Länder auf der Welt mit den schwierigsten
Lebensbedingungen. Nahrungsmittel und Medizin werden zunehmend rar, weil die
Regierung die Importe um 75 Prozent gekürzt hat. HIV, Malaria und Dengue nehmen rapide
zu, ebenfalls die Gewalt auf den Strassen und der Sexhandel.
Grösste Flüchtlingskrise
Es gibt keine
Anzeichen, dass sich die Situation in Venezuela kurzfristig ändern wird. Nach
einem UN-Bericht haben allein im letzten Jahr drei Millionen Venezolaner ihr Land
verlassen – «die grösste Flüchtlingskrise in Südamerika». Die Hilfsbereitschaft
der lateinamerikanischen und karibischen Länder werde immer mehr strapaziert,
erklärte der UNHCR-Delegierte Eduardo Stein und forderte eine stärkere und
deutlichere Grosszügigkeit und Solidarität der internationalen Gemeinschaft, um
eine Katastrophe abzuwenden.
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