Zum Thema «Religion – raus aus der
Öffentlichkeit. Ist Glaube reine Privatsache?» hat Livenet einen spannenden
Talk durchgeführt. Er hat das Thema der Tagung vom 15. März aufgenommen,
die von der Evangelische Allianz zusammen mit der Uni Fribourg
durchgeführt wird.
Im Livenet-Talk: Marc Jost, Andreas Kyriacou, Jan Dino Kellenberger und Andreas Nufer.
Drei recht unterschiedliche Exponenten beteiligten
sich am Gespräch: Andreas Kyriacou vertrat als Präsident der
Freidenker-Vereinigung Schweiz die Verursacher der Diskussion. Marc Jost,
Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA) repräsentierte
die Organisatoren, und Andreas Nufer, Pfarrer der Heiliggeistkirche Bern, stand
für die Anliegen der Landeskirche ein. Jan Dino Kellenberger moderierte das
Gespräch.
Gegen Privilegien – für Verhaltensregeln
Andreas Kyriacou, Präsident der Freidenker-Vereinigung Schweiz
Andreas Kyriacou begründete und relativierte die
Forderung, dass Religion aus der Öffentlichkeit zu verschwinden habe. Ihn
stört, dass es trotz der steigenden Zahl religiös Distanzierter weiterhin
Privilegien wie die öffentliche Anerkennung von Kirchen gibt. Ebenso nervt er
sich an aggressiver religiöser Werbung in der Öffentlichkeit, wie sie etwa die
Zeugen Jehovas oder die Salafisten mit der Aktion «Lies!» betreiben. Oder am
Verteilen von Bibeln vor Schulhäusern. Missionare müssten Spielregeln einhalten
wie etwa NGOs oder «technology evangelists», die öffentlich ihre «Mission» bekanntmachen.
Statt öffentlich-rechtliche Anerkennung für Kirchen müsse es gleiche Rechte und
Bedingungen für alle religiösen Gemeinschaft geben. Das Beispiel Genf ist für
ihn o.k., wo das Tragen religiöser Symbole für Lehrpersonen und andere staatliche
Angestellte verboten ist. Im Parlament würde er sie allerdings nicht verbieten,
denn dort herrsche ja Transparenz über die Herkunft der Mitglieder.
Es gibt auch eine Wissenschaft über Gott
Andreas Nufer, Pfarrer Heiliggeistkirche Bern
Eine erste Gegenposition vertrat Pfarrer Andreas
Nufer. Anders als bei Kyriacou ist der Begriff «Mission» für ihn hierzulande
negativ belegt, so weit es um Religion geht, weil man ihn mit religiöser
Kolonisierung und Gewaltanwendung verbinde. Und dies, obwohl auch Firmen eine
«Mission» haben und etwas öffentlich bekannt machen wollen. Wegen den
Missbräuchen kirchlicher Mission in Kolonialländern habe sich in den Kirchen
des Ökumenischen Rates der Begriff «Missio Dei» entwickelt, der postuliere,
dass Mission primär von Gott selbst ausgehe. Religionsfreiheit bedeutet für ihn,
dass jeder seine Religion frei leben darf und niemand gezwungen oder überredet
werden darf, sie zu wechseln. «Ich sage keinem Moslem, dass er Christ werden
sollte. Wichtig ist für ihn der Dialog.
Wissenschaftliche Erkenntnis und ihre Grenzen
Gegen das Argument von Kyriacou, dass die zentralen
Fragen der Menschheit wissenschaftlich plausibel beantwortet werden
können, zum Beispiel durch die Evolutionstheorie, konterte Nufer mit dem
Argument, auch die Theologie sei eine Wissenschaft, die eben über die Menschen,
die Welt und Gott nachdenke. «Gott hat uns nebst dem Verstand auch das Herz,
den Glauben und die Liebe gegeben.» Am kirchlichen Personal liege es, das
Evangelium immer wieder so zu übersetzen, dass es verstanden werde. Zudem seien
die Themen aufzugreifen, welche die Menschen beschäftigen, aktuell die Themen
Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung. Wer damit öffentlich werbe,
müsse sich aber an Verhaltensregeln halten.
Staatliche Leistungen an Kirchen legitim oder
überholt?
Die Sonderstellung der Landeskirchen und ihre
Verbindung zum Staat begründet Nufer mit dem Nutzen für die Öffentlichkeit,
insbesondere auch durch die vielen Freiwilligen. «Der Wert für die Gesellschaft
ist gigantisch». Zudem vergüte der Staat den Kirchen nur gemeinnützige und
keine kultischen Leistungen. Kyriacou konterte mit dem Argument,
Leistungsaufträge für gemeinnützige Leistungen der Kirchen seien zwar o.k., oft
würden den Kirchen aber Leistungen vergütet, weil man es ja schon immer so
gemacht habe, die aber nicht mehr marktkonform seien. Zudem seien die Grenze
zwischen Gemeinnützigem und Kultischem oft verwischt. Öffentlich-rechtliche
hält er für überholt.
Die Tendenz zum Abdrängen der Religion ins Private
Marc Jost
Marc Jost vertritt als EVP-Grossrat im Kanton Bern
auch den Staat. Er stellt fest, dass die Stimmung gegenüber Religion und
Kirchen zunehmend kritischer wird. Was in Genf geschehen ist, steht für ihn als
Beispiel da. Zum andern beobachtet er eine Bevorzugung von Landeskirchen
gegenüber andern religiösen Organisationen. Jost: «Es gibt eine Tendenz, die
Religion in den privaten Raum abzudrängen.» Bei den Freidenkern vermisst er vor
allem die Wertschätzung der Spiritualität, die wesentlich für die Bewältigung des
Alltags sei. Gegenüber Nufer betonte er die Freiheit, auch andere Menschen vom
eigenen Glauben überzeugen zu dürfen. «Ein echter Dialog darf den Andern auch
überzeugen.»
Religionsfreiheit in Genf eingeschränkt?
Auf die Frage eines Zuhörers, ob die Religionsfreiheit
nicht eingeschränkt werde, wenn für Staatsangestellte religiöse Symbole
verboten würden, meinte Jost: «Für mich geht das zu weit!» Er sieht darin eine
Überreaktion des Staates Genf. Bezüglich Evangelisation und Mission betont
Jost, die Begriffe seien eher zu meiden, es sei zu erklären, was man konkret
tue. «Die Gesellschaft hat falsche Hemmungen, über Glaube und Religion zu
reden, auch in Berufswelt und Politik. Er wies dabei auch auf den «innerchristlichen
Ethikkodex für Mission»
hin, den die Evangelische Allianz unterzeichnet habe.
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