Mit
dem Buch «Übermorgenland» liefert der Journalist Markus Spieker jede Menge
Impulse und Anregungen. Dazu viel Diskussionsstoff, vielleicht auch für
Bibellesegruppen.
Markus Spieker
Die Rezension von Hauke Burgarth auf diesem Portal hat mich angeregt, das Buch «Übermorgenland» von Markus Spieker zu lesen. Es liest sich wie ein Krimi, doch
die Akteure sind real. Aus der Fülle von Gedanken, Anregungen und Impulsen in
diesem Buch wähle ich einige aus, die Burgarth nur gestreift oder unerwähnt
gelassen hat.
Gesternland
Die vier
Jahre als ARD-Korrespondent für Südasien haben den Blick von Markus Spieker auf
die Entwicklung Europas und der westlichen Welt geschärft. Er hat einen neuen
Blick für die wirtschaftliche und technologische Dynamik in Asien, insbesondere
Chinas, erhalten, die für Europa herausfordernd sind. Europa ist in der Gefahr,
davon überrollt zu werden. Andererseits sieht er Europa und seine christliche
Tradition als grosse Ressource, die aber neu erkannt werden muss. Viele
religiöse Traditionen, insbesondere in Indien, hat er als verstörend erfahren.
Sie stehen in einem scharfen Kontrast zu Beiträgen, die christliche Missionare
und Entwicklungshelfer geleistet haben, zum Beispiel die Ärztin Ruth Pfau in
Karachi. Dennoch versucht er, auch diesem Kulturraum gerecht zu werden, auch
mit positiven Beispielen.
Morgenland
In diesem
Teil schildert Spieker aus seiner Sicht die aktuellen Entwicklungen: Die Welt
wird widersprüchlicher, jünger, wärmer, ungleicher, härter, schmutziger,
wütender und populistischer, aber auch frommer, klüger, weiblicher und
sicherer. Dabei appelliert er an die Christen, die in vielen Teilen der Welt
diskriminiert und unterdrückt werden, sich nicht einer geläufigen Wut-Rhetorik
anzuschliessen. Denn: «Jesus-Nachfolge und Wut-Rhetorik passen nicht zusammen.
Die pauschale Herabsetzung von Minderheiten ist ein christliches No-Go. Ebenso
die Diffamierung gewählter Volksvertreter als ‚Verräter'.»
Man spürt auch
andernorts die Lust von Markus Spieker, Widerspruch zu Entwicklungen
anzumelden, wenn er zum Beispiel zur grösseren Rolle des Weiblichen in der Welt
anmerkt: «Das ist eine der grössten Herausforderungen für das 21. Jahrhundert:
Die Welt weiblicher werden zu lassen – und gleichzeitig nicht weniger
männlich.»
Kritische Worte findet er auch für die Aufmerksamkeitsfallen im
modernen Journalismus und in der Laisser-faire-Politik beim Schutz der Jugend
vor Internet-Pornografie. Seine Vermutung: Vielleicht haben die Politiker, die
aus der 68er Generation stammen, Angst davor, Errungenschaften der Bewegung
durch Zensur zu gefährden.
Übermorgenland
Buchcover «Übermorgenland. Eine Weltvorhersage»
Wie
werden wir in den kommenden Jahrzehnten leben? Denn die wirtschaftliche und
politische Zukunft, auch in Europa, ist nicht gesichert. Die Demokratien sind
trotz ausgebauter Sicherungssysteme gefährdeter als ohnehin schon. Und
wirtschaftlich öffnen wir uns immer mehr einer Supermacht, die totalitär ist
und eine totale Kontrolle über ihre Bürger ausübt. Einfach deshalb, weil es uns
im Moment wirtschaftliche Vorteile bringt. Spieker warnt daher auch: «Eine
Gesellschaft, die sich um klare Vorschriften herumdrückt (zum Beispiel beim
Jugendschutz), wird auch tatenlos zusehen, wenn uns in ein paar Jahrzehnten
künstliche Intelligenz Programme im Namen der Freizügigkeit entmündigen, uns im
Auftrag von Regierungen und Konzernspitze dahin manipulieren, wo wir schwach und
hilflos sind.» Daher seien zum Beispiel die Regeln im Internet den «wirklichen
Bedürfnissen der Menschen» anzupassen. «Nicht zuletzt ihren
Schutzbedürfnissen».
Eine
Rückbesinnung
Die
Ausgegrenzten und Geplagten sind dem Autor ein Anliegen. Mehrmals erzählt er,
wie er Menschen in Not so nebenbei mit medizinischer oder finanzieller
Unterstützung helfen konnte. Dass gerade die Christen überall in der Welt auch
für andere da sind, hat seinen Glauben bestärkt. Ist es daher überraschend,
wenn Spieker die Zukunft vor allem in einer Rückbesinnung auf den christlichen
Glauben und auf neue Formen christlicher Gemeinschaft und Gemeinschaften legt?
Für den Fernsehmann ist klar: Das Christentum hat gleichzeitig eine reiche
Tradition und eine grosse Zukunftsperspektive.
Der
Glücksfaktor schlechthin
Dazu
appelliert er konkret an die «Mutbürger» im Gegensatz zu den «Wutbürgern».
Anstelle des «Anything Goes» und der sexuellen Anarchie sieht er einen
möglichen Trend hin zur Selbstbeschränkung. Mit der Konsequenz: «Als gut wird
nicht mehr gelten, was gut klingt, sondern was funktioniert, weil es
wirtschaftliches Wachstum, sozialen Zusammenhalt und individuelle
Glücksfähigkeit fördert.» Denn der soziale Zusammenhalt ist für ihn der
Glücksfaktor schlechthin: «Gut dran sein werden in den kommenden Jahrzehnten
diejenigen, die Sozialkapital angespart haben. Diejenigen, die über stabile und
verlässliche Bindungen verfügen...». Und: «Bewährt haben sich nach
Jahrtausenden Zivilisationsgeschichte drei Solidareinheiten: die Familie, das
Dorf, die Vor-Ort-Religionsgemeinschaft.»
Eine
Agenda 2030
Im Blick
auf das Jahr 2030 – also 2000 Jahre nach dem Tod und der Auferstehung Jesu –
skizziert er ein Programm für die Christenheit: «So wie die Renaissance an der
Schnittstelle von Mittelalter und Neuzeit das antike Erbe für den christlichen
Kulturraum erschloss, so könnte eine neue Renaissance am Beginn des dritten
Jahrtausends das christlich-abendländische Erbe in den globalen-digitalen
Kulturraum überführen.» Er zitiert dazu den amerikanischen Journalisten Rod
Dreher («Die Benedikt-Option») mit den Worten: «Wir sollten aufhören, Energie
und Ressourcen in aussichtslose politische Kämpfe zu stecken, und uns lieber
darauf konzentrieren, gegenkulturelle Gemeinschaften, Institutionen und
Netzwerke aufzubauen.»
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