Afrikanische Kirchen boomen in Londons Hinterhöfen
Ein kalter und grauer Sonntagmorgen in London. Aus einem früheren Lagerhaus dringen Gebetslieder auf Yoruba, einer westafrikanischen Sprache. Hier wird heute mit viel Tanz und Lachen ein Gottesdienst gefeiert, wie es in Afrika üblich ist.
Pastor Andrew Adeleke
Allein im Bezirk
Southwark gibt es schätzungsweise 250 Gemeinden von Schwarzafrikanern; jeder
Sechste hier stammt aus Afrika (16 %) und etwa 20'000 Afrikaner gehen sonntags
zur Kirche. Damit hat Southwark die höchste Dichte afrikanischer Christen ausserhalb
Afrikas. Das ergaben Erhebungen der University of Roehampton.
Im 20.
Jahrhundert gab es mehrere Einwanderungswellen. Es begann in den 1940er- und
1950er-Jahren mit Arbeitern aus der Karibik – aus Jamaika und anderen Ländern,
damals noch britischen Kolonien. Sie gründeten eigene Gemeinden. In den
1960er-Jahren entstanden afrikanische Gemeinden und in einer zweiten Welle in
den 1980er-Jahren kamen neue hinzu.
Unkonventionelle
Treffpunkte
Gottesdienst der «Redeemed Christian Church of God»
Die Migranten,
besonders aus Nigeria und Ghana, schlossen sich zusammen und hielten die
Verbindung zur Heimat – sie trafen sich anfangs hauptsächlich in Wohnungen,
Schulen und Büros. Wenn es zu eng wurde, zogen sie in grössere Räume um, in
Bingosäle, Kinos und Lagerhallen. Bis zu 500 Leute kamen so zum Gottesdienst
zusammen. Diese Gemeinden zeichnen sich aus durch Bildungseifer und
Karrierestreben, leuchtend bunte Gewänder im Afro-Stil, sonntags geht der
Gottesdienst über drei Stunden lang und die Lautsprecher machen ihrem Namen
alle Ehre.
«Kirche ist
kein Friedhof»
«So zeigen wir
Gott unsere Freude und Dankbarkeit», erklärt Pastor Andrew Adeleke vom «House
of Praise». Der ältere Herr leitet eine der grössten afrikanischen Gemeinden in
Southwark. «Kirche soll kein Friedhof sein, sondern ein Tempel, in dem wir
feiern und Gott anbeten und ihm unsere Liebe zeigen, auch wenn unser Leben noch
nicht perfekt ist.»
Umkehr-Missionare
Der Kontrast zu
vielen anglikanischen Gemeinden könnte kaum grösser sein – dort sind die Zahlen
seit Jahren rückläufig, Bänke bleiben leer. «Wir beten für dieses Land», sagt
Abosede Ajibade, ein 54-jähriger Nigerianer, der seit 2002 in England lebt und
als Hausmeister arbeitet. «Leute von hier haben das Christentum nach Afrika
gebracht, aber es sieht nicht so aus, als würden sie Christus immer noch
dienen.» Die Afrikaner sehen sich als «Umkehr-Missionare»: Sie wissen sich
gerufen, das Christentum nach England zurückzubringen. Nicht leicht in einem
Land, in dem der Humanismus regiert und Glaube als Privatsache gilt.
Die
Mega-Gemeinde «Redeemed Christian Church of God» (RCCG, dt. Erlöste-Christen-Gemeinde Gottes), eine
nigerianische Pfingstgemeinde mit über 800 Ablegern im Land, hat nicht nur in
der Grossstadt unter Nigerianern Gemeinden gegründet, sondern auch in
5'000-Seelen-Dörfern wie Knebworth, 40 km nördlich von London. Bis Jahresende
rechnen sie mit 100 neuen Gemeinden. Der Gemeindeverband betreibt mehrere
Lebensmittel-Tafeln.
Jonglierakt
der Pastoren
Jeden Tag ist
mindestens eine RCCG-Gemeinde im Land dran, für die Politik zu beten. Jedes
Jahr zum «Festival of Life» (dt. Festival des Lebens) kommen Zehntausende
zusammen. Auf diesem Gebetstag flehen sie um spirituelle Erweckung für Grossbritannien.
Die Kirche kümmert sich auch um die Kinder und jungen Leute, die hier geboren
wurden und in zwei Welten leben; diese Kinder sollen Leiter werden und ihren
Gemeinden helfen, sich besser in ihr Gastland zu integrieren.
Andrew Rogers von der University of Roehampton
Laut Andrew
Rogers, Leiter der Forschergruppe der University of Roehampton, müssen die
Pastoren auf diesem Gebiet sehr jonglieren: die afrikanische Kultur zu bewahren
ist eine Frage der Identität, aber sie wollen auch die zweite Generation nicht
verlieren. «Die Jüngeren sind meist etwas liberaler eingestellt und es kann
schwierig sein, das mit der konservativen Pfingstler-Lehre, dem
Frömmigkeitsstil und den Wundern zusammenzubringen.»
Engländer
nicht interessiert
Globale Migration
hat das Gesicht der Mission verändert; aber bisher sind nur wenige afrikanische
Kirchen für Engländer attraktiv. Die Gottesdienste sind lang und strapazieren
die Emotionen. Oder der leitende Pastor steht ihnen zu sehr im Vordergrund – und
oft ist er reich und wird sehr verehrt, auch das passt nicht wirklich nach
England. Offensichtlich geht in Oxford nicht alles, was in Lagos funktioniert
hat. Ein nigerianischer Missionar meint: «Die Engländer kommen vielleicht, aber
sie bleiben nicht. Wahrscheinlich meinen sie, Kirche wäre etwas für Schwarze.»
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