Ein generelles
Rezept, wie serbelnde Gemeinden wiederbelebt werden können, gibt es nicht. Aber
ganz unterschiedliche Ansätze, die zum Erfolg führen. Beispiele nannte der
anglikanische Bischof Graham Tomlin am Samstag an einem Studientag in der
Gellert Kirche Basel.
Graham Tomlin
«Suchet Zeichen, wo Gott am Wirken ist und wo er Dinge zusammenbringt.»
So brachte Vikar Andy Buckler, ein Mitarbeiter von Bischof Graham Tomlin, die
Sache auf den Punkt. Er selbst stand im Zentrum einer Gemeindeneugründung im
Bezirk Kensington, wo er seine Erfahrungen aus einem längeren Aufenthalt in
Frankreich einbringen konnte.
Die Wege, wie es zu einer Neubelebung kommt, können sehr unterschiedlich
sein. Grundlegend für die Wiederbelebung
anglikanischer Kirchen im Raum London sind ein Ausbildungsprogramm für
Pfarrer, die auf Wiederaufbauprojekte vorbereitet werden. Ebenso die
Bereitschaft des Erzbischofs von Canterbury, für das Programm erhebliche Mittel
zur Verfügung zu stellen. Doch vor Ort sind die Ansätze ganz unterschiedlich.
Beim katholischen Kollegen ins Praktikum
Zum Beispiel die Kirchgemeinde Etheldreda's Fulham: Der Gottesdienst war
auf 30-40 Besucher zusammengeschmolzen. Nachdem der Beschluss gefallen war, der
Gemeinde zu helfen, wurde der neu vorgesehene Pfarrer zuerst in die blühende
katholische Pfarrei auf der anderen Seite der Strasse geschickt, die von einem dynamischen
Priester geleitet war. Seine Erfahrungen nahm er mit und gewann die
verbliebenen Besucher dafür, zusammen mit ihm den Neustart zu versuchen.
Mit viel
Werbung, teils unkonventionell und durch den persönlichen Einsatz der Mitglieder,
wurde zum Weihnachtsgottesdienst eingeladen. Die Kirche füllte sich zum grossen
Erstaunen der Rumpfgemeinde und war schliesslich übervoll. «Sie begannen wieder
zu glauben, dass etwas Neues geschehen könnte», bilanzierte Tomlin.
Mit jugendlichen Straftätern arbeiten
Bei der Christ Church in Feltham lief es ganz anders. Die anglikanische
Kirche war bereits verkauft und – bis auf den Kirchturm – abgebaut worden. Es
gab noch eine Methodistenkirche in einem bröckelnden Kirchengebäude, die aber
auch vor der Schliessung stand. Eine wiederbelebte Kirchgemeinde in einem
andern Quartier betete gleichzeitig für einen neuen Auftrag. Tomlin machte sie
auf die Methodistenkirche aufmerksam. Diese war glücklich, einen Käufer zu
finden, der sich auch ins Gemeindeleben investieren wollte.
Die Wiederbelebung
begann mit der Renovation der Kirche. Und dazu wurden Insassen eines
berüchtigten Jugendgefängnisses im Quartier beigezogen, die damit zu einer
sinnvollen Beschäftigung und zu einem niederschwelligen Bezug zu einer
Kirchgemeinde kamen. Es entstand eine Dynamik, die sich auch auf das Engagement
von Gläubigen für die Kirche und auf den Gottesdienstbesuch auszuwirken begann.
Tendenz steigend.
Bedürfnisse aufnehmen, niemanden konkurrenzieren
Andy Bucklers Motto erfüllte sich auch in weiteren Gemeinden. Für ihn
ist es wichtig, dass die konkreten Umstände evaluiert und darauf ein Programm
ausgerichtet wird. Dieses achtet darauf,
wo es Notstände und Bedürfnisse gibt. Es gilt, keine bestehenden Angebote zu
konkurrenzieren, sondern Neues zu wagen. Oder Gemeinden zu unterstützen, die
sich einer Aufgabe stellen. So geschehen im Fall der kirchlichen Hilfsprogramme
nach dem Brand des Grenfell Towers in North Kensington. Die Gemeinden im Norden
Kensingtons waren aktiv bei der Nothilfe und gewannen dabei neuen Zugang zu den
Menschen aus der sozialen Unterschicht. Die Gemeinden im Süden des Bezirks
hatten weniger Zugänge, unterstützten die Gemeinden im Norden dafür finanziell.
Mut, die Chance zu packen
Andy Buckler erkannte, dass es im Bezirk Kensington zahlreiche
französisch sprechende Menschen gab. Er setzte daher seine Erfahrungen in
Frankreich um, gewann zwei Musiker aus Frankreich, die sich in London
engagieren wollten und stellte ein Team mit weiteren französisch sprechenden
Leuten zusammen, denen er einen Strategiekurs anbot. Mit Veranstaltungen, die
den französischen Geschmack ansprechen wie einer Weinprobe und einem Anlass mit
Käsespezialitäten, erreichte er immer weitere Menschen. Er bilanziert: «Wir
hatten den Mut, anzufangen und Ja zu sagen, als sich eine Chance bot.»