Wenn
Jesus Geschichten erzählt, begegnen sich darin höchst irdische Situationen und
himmlische Gedanken. Zum Beispiel in seinem Gleichnis von Arbeitern im
Weinberg, die überraschend gleich bezahlt werden. Die Geschichte ist nicht
schwer zu verstehen, aber je mehr wir sie auf uns beziehen, desto falscher
fühlt sie sich an.
Die
eigentliche Geschichte ist schnell erzählt. Wie jeden Morgen zur Erntezeit ging
der Grossbauer auf den Marktplatz und stellte Erntehelfer ein, denn die
Weinlese hatte begonnen. Er fand etliche, bot ihnen einen vernünftigen Lohn
(einen Silbergroschen / Denar pro Tag) und sie begannen zu arbeiten. So weit,
so normal. Doch der Bauer kam auch um 9, um 12 und um 15 Uhr noch einmal auf
den Markt. Er stellte ein, wen immer er fand, denn es war viel zu tun. Sein
Angebot war: «Was recht ist, das werdet ihr empfangen!» Offensichtlich war sein
Ruf so gut, dass die Tagelöhner sich darauf einliessen. Sogar um 17 Uhr, eine
Stunde vor Arbeitsende, kamen noch einige zum Helfen. Beim Auszahlen des Lohns
kam es dann zum Eklat: Der Bauer liess die zuletzt Gekommenen zuerst antreten
und gab ihnen den vollen Tageslohn. Das störte die anderen allerdings erst, als
sie auch nur den vereinbarten Tageslohn bekamen – und nicht etwa mehr. Darauf
fragte der Grossbauer in der Geschichte zurück: «Blickst du darum neidisch,
weil ich gütig bin?»
Joshi
fühlt sich gut: verschwitzt, aber zufrieden. Wie so viele seiner armen Freunde
und Nachbarn stand er schon zu Sonnenaufgang im Dorf, um für diesen Tag als
Erntehelfer eingestellt zu werden. Weinlese im August – das ist harte Arbeit,
aber lukrativ. Doch jetzt hat sich seine Zufriedenheit aufgelöst wie Zucker im
Kaffee: Hat er das eben richtig gesehen? Erst bekommt der alte Simon, der erst
ein Stündchen im Weinberg war, und noch nicht einmal nassgeschwitzt ist,
tatsächlich dasselbe, was man ihm selbst versprochen hat. Und während er noch
rechnet, wie viel mehr er dann wohl bekommt, hat er schonen seinen Denar in der
Hand. So eine Frechheit!
Joshi
überlegt sich noch, ob er lieber schreien oder gleich vor Wut platzen soll. Und
damit ist er in guter Gesellschaft. Denn Jesus bringt mit seiner Geschichte
unvergleichlich gut auf den Punkt, wie schnell wir das Gefühl bekommen,
ungerecht behandelt zu werden, wie schnell wir andere beneiden. Dazu ist nur
ein kurzer Blick auf andere nötig. Wenn ich von meinem Gehalt gut leben kann,
ist das so lange ausreichend, bis ich jemanden kennenlerne, der weniger
arbeitet und dafür mehr bekommt. Ungerecht! Wenn ich im Urlaub zufrieden im
Allgäu wandere, reicht mir das völlig aus, bis mir mein Nachbar seine
Urlaubsfotos zeigt: «Malediven. All inclusive. Es gibt nichts Besseres!» Ungerecht!
Und dieser Blick nach nebenan macht auch vor der Gemeinde nicht halt. Oder
warum kann Christoph neben mir nicht nur besser singen als ich, wird stärker
beachtet und gründet einen Hauskreis, der sich sofort rasant weiterentwickelt?
Warum hat er gefühlt alle Gaben und ich beinahe keine? Ungerecht!
Willkommen
in der Neid-Spirale: Tatsächlich ist diese Emotion kein «Kavaliersdelikt» neben
den «grossen Sünden» wie Götzendienst oder dem Verwenden von Gendersternchen im
Gemeindebrief. Jakobus unterstreicht in seinem Brief sogar: «Wo Neid und
Selbstsucht ist, da ist Unordnung und jede böse Tat» (Jakobus, Kapitel 3, Vers
16). Da ist es doch sehr
spannend, dass ich (Sie etwa auch?) die Emotionen so gut nachvollziehen kann,
die Jesus in seinem Gleichnis erzeugt.
Berechneter
Segen
Vielleicht
ist eine Grundlage für diese Missgunst im frommen Bereich das, was auch dieser
Geschichte vorangeht: Engagiert folgen die Jünger Jesus nach. Sie glauben an
Gott, wollen ihm gehorchen und setzen sich auch noch für andere Menschen ein.
Doch dabei fangen sie auch gern an zu rechnen. So wie Petrus in Matthäus,
Kapitel 29, Vers 27, der
sich an Jesus wendet: «Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir
nachgefolgt; was wird uns dafür zuteil?»
Der
Massstab ist klar: die Arbeitswelt. Damals bekommt ein Tagelöhner einen Denar.
Heute bekommt ein gelernter Dachdecker in Deutschland nach Tarif mindestens
13,60 Euro pro Stunde. Und was bekomme ich dafür, wenn ich mich als Christ fürs
Reich Gottes engagiere?
In
seinem Gleichnis beantwortet und entlarvt Jesus dieses Denken, dass Gott mir
etwas geben müsste, weil ich mich angestrengt habe, ihm nachzufolgen. Das
Paradoxe ist: Gott gibt ja. Und er segnet. Er rettet. Aber eben nicht nur mich,
sondern auch andere – die es irgendwie nicht so verdient haben wie ich. So
bleibt auch in der Bibel immer wieder die Spannung bestehen, dass Gott durchaus
«gute Werke» erwartet, «die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln
sollen». Gleichzeitig nimmt Gott das Leben mit ihm aus dem Zusammenhang des
Verdienens völlig heraus: «Denn aus Gnade seid ihr errettet durch den Glauben,
und das nicht aus euch — Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand
sich rühme» (Epheser, Kapitel 2, Verse 8–10).
Willkommen
in der Mathematik-Spirale: Offensichtlich denkt Gott nicht in Kategorien wie
«grösser», «kleiner» oder «gleich». Stattdessen sprengt er diese Erwartungen –
und bietet nicht weniger, sondern mehr. Deshalb sagt Jesus: «Ich bin gekommen,
damit sie das Leben haben und es im Überfluss haben» (Johannes, Kapitel 10,
Vers 10).
Bedingungslose
Gnade
Im
Gleichnis schaut Joshi auf den alten Simon: «Was hat der schon getan? Ich habe
gut gearbeitet.» Bei Jesus schauen die Jünger auf andere Menschen: «Was haben
die schon getan? Wir haben alles für ihn verlassen.» In der Kirchengeschichte
schauten erst die Juden auf die Christen: «Was haben die schon getan? Wir haben
die jahrhundertelange Geschichte mit Gott.» Und dann die Christen auf andere:
«Was haben die schon getan? Wir haben das Heil in Jesus.»
Das
Gleichnis von Jesus hat viele Deutungsebenen – nicht zuletzt die ganz
persönliche: Wie gehe ich damit um, dass Gott so wie der Grossbauer seine Gnade
nicht nur mir schenkt, sondern auch noch vielen anderen? Anderen, die sie mehr
verdient haben als ich, oder die sie viel weniger verdient haben als ich.
Willkommen
in der Kindergarten-Spirale: Manchmal kommen zwei Kinder zu ihrer Erzieherin
oder ihrem Kindergottesdienstleiter, bauchen sich vor ihnen auf und fragen
nach: «Wen hast du eigentlich lieber, mich oder sie?» Für Kinder ist dieses
Verhalten und diese Frage völlig in Ordnung. Bei mir als Erwachsener passt sie
nicht mehr. Vor allem nicht, wenn ich damit zu Gott gehe. Kinder sind übrigens
in der Regel hochzufrieden, wenn man sie anlächelt und ihnen sagt: «Ich mag
euch beide.» Menschen haben sich schon immer damit schwergetan, dass Gottes
Liebe nicht an Bedingungen geknüpft ist. Doch das ist nicht ungerecht: Es ist
souverän. Der Apostel Paulus unterstreicht in diesem Zusammenhang: «Was wollen
wir nun sagen? Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott? Das sei ferne! Denn zu Mose
spricht er: 'Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und über wen ich mich
erbarme, über den erbarme ich mich'. So liegt es nun nicht an jemandes Wollen
oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen» (Römer, Kapitel 9, Verse 14–16).
Gut, dass diese Gnade «jeden Morgen neu» ist.
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