Die Ausgrenzung und Feindseligkeit
gegenüber Roma ist nach wie vor ein grosses Problem in Europa geblieben.
Roma-Pastor Miguel Palacios ermutigt dazu, sich des Themas anzunehmen und er
stellt fest, dass der christliche Glaube geeignet ist, um Gräben zu überwinden.
Roma tanzen auf dem «Abbey Medieval Tournament» (Bild: Wikipedia)
«Wie steht es um das Wesen der
Menschlichkeit, wenn jeden Tag Roma von der Gesellschaft ausgeschlossen werden?»,
fragte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, in ihrer
Rede zur Lage der Nation. Innerhalb der EU sei dies eine
tägliche Realität.
Kurz zuvor hatte der deutsche
Roma-Europaabgeordnete Romeo Franz einen Bericht betreffend der Integration der
Roma-Bevölkerung und gegen diskriminierende Haltungen vorgelegt. Die Roma seien einer anhaltenden
Anti-Roma-Gesinnung ausgesetzt, einer, so ist im Dokument festgehalten, «spezifischen
Form des Rassismus. Trotz kontinuierlicher sozioökonomischer Entwicklung in der
EU und Bemühungen, die Eingliederung der Roma sowohl auf EU- als auch auf
nationaler Ebene zu gewährleisten, hat sich die Gesamtsituation der Roma in der
EU nicht verbessert.»
Grösste ethnische Minderheit Europas
Mit bis zu zwölf Millionen Menschen
stellen die Roma die grösste ethnische Minderheit in Europa dar. Im Jahr 2019
verliessen 68 Prozent der Roma die Schule vorzeitig. Rund 80 Prozent der Roma leben –
diese Daten gehen auf das Jahr 2016 zurück – unter der Armutsgrenze. Und die
Anzahl von Roma, die nicht studiert haben, stieg von 56 Prozent im Jahr 2011 auf
63 Prozent im Jahr 2016.
«Es ist eine Schande, dass das
Europäische Parlament die Mitgliedstaaten auch 2020 noch auffordern muss, in
der Frage der Zigeunerfeindlichkeit aktiv zu werden», bedauert Miguel Palacios, evangelischer
Pastor von «Philadelphia» (der spanischen christlichen
Konfession der Roma) sowie Professor an der «Philadelphia Evangelical Bible
School» und Direktor der «Vereinigung zur Erinnerung an den Völkermord an den
Roma».
«Es braucht einen Plan»
Razzia von Sinti- und Roma-Wohnwagen, Deutschland, Winter 1937
Nötig sei ein «klarer Zeitplan mit
verbindlichen Zielen, Massnahmen und Vorgaben». Er bedauert, dass die
Gesamtsituation der Roma stagniert sei. Die Europäische Kommission hat einen neuen
Zehnjahresplan zur Förderung der Integration der sechs Millionen innerhalb der
EU lebenden Roma angekündigt. Das Hauptziel ist die Halbierung des
Armutsgefälles zwischen den Roma und der übrigen Bevölkerung in den
verschiedenen Mitgliedstaaten.
Miguel Palacios: «Es gibt Leute im
Europäischen Parlament, die wissen, was vorgeht. Wir haben hart dafür
gekämpft, dass die Geschichte der Roma gelehrt wird. In Spanien zum Beispiel
gibt es in den Schulbüchern keine einzige Seite, die die Präsenz der Roma seit
dem 15. Jahrhundert dokumentiert.»
«Geschichte muss unterrichtet werden»
Es sei wichtig, dass das Europäische
Parlament bei diesem Thema eine Spitzenreiter-Rolle einnehme. «Anders als beim
Antisemitismus ist es uns nicht gelungen, die Anerkennung der Roma-Feindlichkeit
durchzusetzen. Rassismus in all seinen Formen ist eine Geissel, ob gegen Juden,
Schwarze oder Roma.»
Nötig sei, dass die Geschichte der
Roma in den Schulen unterrichtet wird. «Wenn unsere Geschichte bekannt gemacht
wird, werden Jahrhunderte und Jahrhunderte grossen Leides durch dieselben Täter
entdeckt. Deshalb müssen wir damit beginnen, die Realität des leider vergessenen Holocausts der Roma zum Beispiel auf verschiedenen Ebenen des
Bildungssystems zu lehren.»
Dieser wurde bekannt als Porajmos
(«Verschlingen»), Ziel war während des Zweiten Weltkriegs ebenfalls die
kollektive Vernichtung dieser Volksgruppe. Je nach Quelle liegt die Anzahl der
Opfer bei 500'000 bis über eine Million Menschen.
Genauer hinsehen
Miguel Palacios
Miguel Palacios ermutigt dazu,
genauer hinzusehen: «Es wurden Bücher über Antisemitismus geschrieben, es
wurden Filme gedreht, es wurden spezifische Studien durchgeführt, aber nicht
über Feindlichkeit gegenüber Zigeunern.» Wichtig sei zum Beispiel «die
Schaffung eines Observatoriums gegen die Zigeunerfeindlichkeit als konkrete
Massnahme».
Ein weiterer Punkt sei die Bildung: «Vor
einigen Jahren organisierten wir eine Reise nach Auschwitz mit Roma-Kindern aus
der evangelischen Kirche von Philadelphia und Nicht-Zigeuner-Schülern. Und wir
hatten ein sehr beeindruckendes Erlebnis, denn am Ende der Reise umarmten die
Nicht-Roma-Kinder die Zigeuner, weinten und baten sie um Verzeihung.»
Selektive Medien
Ein skurriles Erlebnis zeigt, dass
auch bei den Meiden ein Umdenken nötig ist, Miguel Palacios erinnert sich: «Vor
einiger Zeit erhielt ich einen Anruf von einem Fernsehsender, der einen
Roma-Jungen für eine stereotype Sendung suchte. Ich empfahl ihnen zwei Jungen;
einer hatte Chemie studiert und war blond, der andere war Historiker und hatte
rote Haare. Der TV-Sender sagte mir, dass sie nicht interessiert seien und dass
keiner von ihnen ihrem Ansatz entspräche.»
Unter evangelischen Christen habe er
sich nie diskriminiert gefühlt. «Eines der Prinzipien aller Evangelikalen ist
die Liebe zu allen Menschen. Vor Jahren wurde ich, ohne darum zu bitten, für
den Vorstand des Evangelischen Rates von Madrid vorgeschlagen, und dafür bin
ich sehr dankbar.»
Die Bibel biete die Grundlage, die
Feindseligkeit zu überwinden. «Das Evangelium ist ein gutes Mittel zur
Integration.»
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