Im
Gespräch mit Leitern von (Haus-)Kirchen spürt Livenet der Frage nach, welche
Rolle Hausgemeinden gerade während Corona spielen und was von ihnen gelernt
werden kann.
In Coronazeiten treffen sich klassische Kirchen und Gemeinden kaum mehr
in ihrem üblichem Rahmen. Auf der anderen Seite haben seit mehr als 20 Jahren in Westeuropa viele
Christen in Hausgemeinden (oder Hauskirchen) ihr geistliches Zuhause gefunden. Für sie haben die
Schutzmassnahmen viel geringere Konsequenzen als für Mitglieder traditioneller
Kirchen. Im Livenet-Talk diskutieren verschiedene Leiter über diese Gemeindeform
und deren Bedeutung während der aktuellen Krise.
Halten die Hauskirchen, was sie versprachen?
Gemeinsam mit seiner Frau arbeitete Beat Schmid als Pfarrer in verschiedenen Freikirchen. Anfang 2001 wachte er dann schweissgebadet auf. «In
einem Traum sah ich in Leuchtbuchstaben die Frage: Wie will Jesus seine Gemeinde
bauen?» Um der Antwort auf diese Frage näher zu kommen, begann er mit
Hausgemeinden. Auch Stefan Peter investiert sich seit fünfzehn Jahren in
Hauskirchen. Aktuell baut er ein Haus für ein gemeinschaftliches Leben um.
Wie viele andere, glaubte Beat Schmid anfänglich,
dass die Hauskirchenbewegung schnell grosse Veränderung hervorrufen würde. «Wir
sind Gewohnheitsmenschen», erklärt er die langsame Entwicklung. Dazu kommt, dass
sich viele enttäuschte und frustrierte Christen in Hauskirchen das Heilmittel
versprachen, ohne ihre eigene Geschichte aufgearbeitet zu haben. Das seien schlechte Voraussetzungen für eine positive Entwicklung.
Sind Hauskirchen unbedeutend und klein?
Vor knapp 23 Jahren verlagerte Marco Gmür
Gemeinde in die Wohnzimmer, woraus sich eine Bewegung in der Ostschweiz entwickelte, die heute in
verschiedenen Ländern Menschen zu Jüngern macht. «Das Denken, dass Hauskirchen 'klein' und Freikirchen 'gross' sind, stimmt so nicht», entlarvt er einen
verbreiteten Irrtum und erwähnt, wie von einem Hauskirchen-Netzwerk ein Fest mit 700 Besuchern durchgeführt wurde. "Solche Aktionen haben auf jeden Fall einen Öffentlichkeitscharakter", so Gmür.
Sämi Truttmann ergänzt als Pfimi-Pastor die
Runde. Er anerkennt viele positive Werte der Hauskirchenbewegung, von denen
viele auch in ihrer Gemeinde Einlass gefunden haben; doch glaubt er, dass die
Wirksamkeit von Hauskirchen in der Öffentlichkeit beschränkt ist.
Beat Schmid erkennt im Dienst von Jesus zwei
gegensätzliche Ansätze. Einerseits investierte er sich in zwölf Männer, mit
denen er sehr eng unterwegs war und alles teilte. Andererseits war Jesus auch
in der Öffentlichkeit präsent, wo er grossen Menschenmengen begegnete. «Diese
beiden Aspekte zu vereinen, ist eine Herausforderung.»
Es geht um lebensverändernde Beziehungen
Reiner Siebert gilt als Hausgemeinde-Pionier. 1998 begann er, ein Netzwerk von Hauskirchen im Raum Bern aufzubauen.
Anlass war die Betonung von lebensverändernden Beziehungen, die sich oftmals
ganz natürlich in seiner Wohnung ergaben. Über zwischenmenschliche Beziehungen
wurden Menschen zu Jesus geführt und konnten in ihrem Glauben wachsen. Seit
2007 lebt Reiner mit seiner Frau auf dem Land, wo er unter neuen
Herausforderungen eine Hausgemeinde leitet: der ländliche Kontext ist für Hauskirchen nach Siebert ein schwierigeres Umfeld als die Stadt.
«Es geht darum, einen neuen Lebensstil zu
pflegen», hält Beat Schmid fest. Wir Schweizer würden einander gerne stehen
lassen und es selbst vermeiden, vor anderen Menschen Rechenschaft abzulegen.
Doch genau darum geht es: Miteinander den Weg zu gehen. «Ich will keine
Programme mehr, die im Alltag belanglos sind.»
Corona wird Spuren hinterlassen
Marco Gmür glaubt, dass Corona unter anderem auch
ein Reden Gottes ist, ein Ruf zum gelebten Christsein in Häusern und Familien.
Doch: Wird sich das Gemeindeleben nach Corona merklich verändert haben? Stefan
Peter glaubt, dass Gemeinde in der Zukunft vermehrt in kleinen Gruppe
stattfindet. Beat Schmid ergänzt: «Die Coronazeit ist ein Katalysator, eine
Zeit, in welcher vieles erschüttert wird.» Er beobachtet viele Christen, die
mit ernsthaften Fragen zu ihrem Glauben herausgefordert sind.
Reiner Siebert sieht gerade im aktuellen Boom an
Livestream-Gottesdiensten auch ein Problem: «Viele sitzen vor dem Bildschirm,
ohne Bedürfnis nach Gemeinschaft.» Sämi Truttmann sieht die neue Technik hingegen
primär als Möglichkeit, mehr Menschen zu erreichen und glaubt, dass diese irgendwann
zur Gemeinschaft finden. Von Livestream, lokalen Standorten bis zu
Gottesdiensten in den Familien betrachtet er alles als wertvoll.
Eine Hybridkirche für die Zukunft?
Und damit kommt die Frage auf, wie von den
Gemeindeformen gelernt werden kann. «Die Zeit, in welcher ein Modell gegen das
andere ausgespielt wurde, haben wir hinter uns gelassen.» Reinhold Scharnowski,
welcher die Diskussion moderiert, bringt an dieser Stelle den Begriff
«Hybridkirche» ins Spiel. Wie ein Hybridauto sowohl mit Elektrizität als auch mit
Benzin betrieben werden kann, so kann eine Gemeinde sowohl traditionell, aber
auch als Hausgemeinde funktionieren. «Würde es sich für die Zukunft nicht
lohnen, diese beiden Modelle miteinander zu kombinieren?» Sämi Truttmann
springt sofort an: «Am Sonntag ein grosses Fest und gleichzeitig den
kleinen Gruppen Freiraum lassen.»
Fazit: was den Gottesdienst im Wohnzimmer betrifft,
können wir inzwischen auf jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen. Hier lohnt es
sich, von Hauskirchen zu lernen.
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