Bundespräsident Joachim Gauck äusserte sich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk positiv zu möglichen deutschen Militäreinsätzen. Er habe das Gefühl, dass das Land «die Zurückhaltung, die in vergangenen Jahrzehnten geboten war, vielleicht ablegen sollte zugunsten einer grösseren Wahrnehmung von Verantwortung». Damit erntete er starke Zustimmung und deutliche Kritik. Was ist dran an der neuen Pazifismusdebatte?
Deutscher Bundespräsident Joachim Gauck
Gauck hatte bereits am Rande der letzten Münchner Sicherheitskonferenz betont, es sollte «heute für Deutschland und seine Verbündeten selbstverständlich sein, Hilfe anderen nicht einfach zu versagen, wenn Menschenrechtsverletzungen in Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit münden». Jetzt ergänzte er, dass es ihm um ein Ja zu einer aktiven Teilnahme an Konfliktlösungen in Zusammenarbeit mit den Bündnispartnern gehe. Deutschland als verlässlicher Rechtsstaat stehe «an der Seite der Unterdrückten. Es kämpft für Menschenrechte. Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen.»
Pazifistische Kritik
Weltweit erhielt Gauck eher Zustimmung für seine Äusserungen. Die deutlichste Kritik kommt aus Deutschland, zum Beispiel von der Fraktion der «Linken». Deren aussenpolitischer Sprecher, Jan van Aken, griff Gauck an: «Ein Bundespräsident, der quasi als Feldherr die Bundeswehr mit Hurra in alle Welt schicken möchte, stellt sich gegen die Bevölkerung und begibt sich damit ins Abseits.»
Klare Zustimmung
Der jüdische Publizist Henryk M. Broder sprach sich klar für mögliche militärische Aktionen aus und betonte gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur Idea: «Der Pazifismus des 21. Jahrhunderts ist ein Lebensstil, für dessen Kosten andere aufkommen. Es ist weniger die Liebe zum Frieden als vielmehr der Wunsch, sich die Hände nicht schmutzig machen zu müssen.» Broder unterstrich, dass es ohne die Intervention der Alliierten im Zweiten Weltkrieg gegen Hitlerdeutschland hierzulande weder Friedensbewegung noch Ostermärsche gäbe.
Gibt es einen dritten Weg?
Der US-amerikanische Theologe Walter Wink (1935-2012) arbeitete schwerpunktmässig an einer Theologie der Gewaltfreiheit. Er ging davon aus, dass alle «Herrschaftssysteme», also auch Staaten, eine dahinterstehende geistliche Realität beinhalten – in der Bibel oft als «Mächte und Gewalten» beschrieben. Ein Überwinden dieser Systeme durch Gewalt bezeichnete er als den «Mythos der erlösenden Gewalt» und sagte dazu: «Er verankert den Glauben, dass Gewalt rettet, dass Krieg Frieden bringt, dass Macht Recht schafft. Dies ist eine der ältesten und ständig wiederholten Geschichten der Welt.» Wink regte dazu an, sich Jesus in seinem aktiven, gewaltfreien Kampf als Vorbild zu nehmen. Sehr prägnant und praktisch unterstrich er, dass Gewaltfreiheit zwar keine Erfolgsgarantie böte (Gewaltanwendung übrigens auch nicht!), es aber selbst in den dunkelsten Kapiteln der Menschheitsgeschichte immer wieder überzeugende Ansätze gegeben hätte, gewaltfrei ans Ziel zu kommen. Beeindruckend ist zum Beispiel der aktive Widerstand des rumänischen Bischofs Kyril gegen die NS-Besatzung, mit der dieser verhinderte, dass bulgarische Juden deportiert wurden. Margot Kässmann, die Botschafterin der EKD für das Reformationsjubiläum, argumentiert ähnlich: Wenn Rüstungsmilliarden und Kriegsanstrengungen in friedliche Lösungen investiert würden, wäre dies bereits eine gute Kriegsprävention. Dass sie dafür von vielen belächelt werde, störe sie nicht: «Als Christen sind wir das ohnehin gewohnt.»
Das sehr lesenswerte Buch von Walter Wink, «Verwandlung der Mächte – Eine Theologie der Gewaltfreiheit» ist gerade im Pustet Verlag erschienen (176 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-7917-2591-8).
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