Deutschland: Zwei- bis dreimal mehr Abtreibungen als gemeldet?
Der österreichische Abtreibungsmediziner Christian Fiala (Wien) verfolgt seit Jahren die Entwicklung der Schwangerschaftsabbrüche weltweit. Er ist überzeugt, dass in Deutschland zwei- bis dreimal so viel Kinder abgetrieben werden als offiziell angegeben.
Christian Fiala
In vergleichbaren Ländern wie Frankreich, Grossbritannien oder Schweden nähmen die Zahlen zu oder stagnierten auf hohem Niveau. So fanden 2015 in Frankreich rund 218'000 Abtreibungen statt. Hochgerechnet auf die Bevölkerungszahl Deutschlands wären das 266'000.
Woher die Dunkelziffer?
Auch Lebensrechtler sprechen seit Jahren von einer hohen Dunkelziffer bei den Abtreibungszahlen. Fiala geht davon aus, dass bei weitem nicht alle Eingriffe gemeldet werden. Die Zahlen, die das Bundesamt erfasst, beruhen allein auf anonymen – und darum nicht rückverfolgbaren – Angaben von Kliniken und Arztpraxen. Die korrekte Meldung von Abtreibungen bedeute «zusätzliche Bürokratie». Auch hielten viele Ärzte die Statistik für sinnlos; manch eine Meldung würde hinausgeschoben oder ganz vergessen. Wenn die 14. Schwangerschaftswoche überschritten ist, würden dazu immer wieder Frauen die Abtreibung im Ausland vornehmen. Andere sähen die Pflichtberatung als Schikane und würden den Arzt bitten, «die Abtreibung direkt vorzunehmen», wie das Nachrichtenmagazin idea erkärt: «Die Bezahlung erfolgt dann schon mal am Finanzamt vorbei – und dass ein schwarz bezahlter Abbruch nicht gemeldet wird, ist klar.»
Politische Motive?
Fiala hält es für möglich, dass hinter dem offiziellen Rückgang der Abtreibungszahlen in Deutschland politische Motive stünden. Denn der Schwangerschaftsabbruch sei vom Bundesverfassungsgericht 1993 nur vorübergehend straffrei gestellt worden – so lange, wie das Gesetz den «Schutz des ungeborenen Lebens» gewährleiste. Damit sei die Regierung unter Druck: «Wenn die Abbruchzahlen also nicht jedes Jahr zurückgehen, hat die Regierung den Auftrag, das Gesetz neu zu formulieren», so Fiala.
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