Kommentar

Saat des Arabischen Frühlings geht in Libyen auf

Ausgerechnet in Libyen führt nun die revolutionäre Bewegung des «Arabischen Frühlings» zu ersten positiven Ergebnissen. Ein Kommentar von Nahostkenner Heinz Gstrein.

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Tripolis, Libyen (Bild: bigstock)
Tunesien und Ägypten sind nur vom Regen in die Traufe geraten: Aus Ein-Mann-Diktaturen sind sie unter die Herrschaft radikaler politislamischer Strömungen gelangt. Zwischen Tripolis und Bengasi, Misurata am Mittelmeer und der Sahara-Oase von Sebha, wo 2011 der neben Syrien schlimmste Bürgerkrieg im arabischen Raum getobt hatte, gehen jetzt aus den ersten freien Wahlen seit Jahrzehnten die demokratisch-fortschrittlichen Kräfte als Sieger hervor.

Wenn jetzt die «Liberale Allianz der Nationalen Kräfte» und nicht die Muslimbrüder als stärkste Partei ins neue libysche Parlament einziehen, so hängt das mit verschiedenen Faktoren zusammen. Fürs Erste kann der prowestliche Wahlsieger Mahmud Dschibril auf Libyens republikanische Szene aus den fünfziger und sechziger Jahren zurückgreifen. Der damalige König Idris hatte diese Kräfte zunächst toleriert, dann aber unterdrückt und so der Machtergreifung Gaddafis am 1. September 1969 in die Hände gearbeitet. Der libysche Diktator herrschte dann fast 42 Jahre lang im Namen des Halbmonds, wenn auch eines recht eigenwilligen Islams. Während sonst im Zuge der Re-Islamisierung die Frauen und Mädchen wieder verhüllt wurden und werden, entschleierte Gaddafi die Libyerinnen und steckte die hübschesten von ihnen in seine Leibgarde.

Sein «grüner Terror» unter islamischen Vorzeichen hat aber zur Folge, dass in Libyen die Religion Mohammeds als politische Ideologie heute viel weniger Anziehungskraft besitzt als in allen anderen arabischen Ländern.

Dazu kommt, dass die Bewegung der Muslimbrüder in Libyen keine bodenständige politische Kraft wie in Ägypten oder auch Syrien darstellt. Das hat jetzt zu den teils vernichtenden Niederlagen der von ihnen getragenen «Partei für Gerechtigkeit und Wiederaufbau» geführt. Ihr Anführer Muhammad Sawan gibt sich zwar gelassen. Er spekuliert auf Sympathisanten unter den als Unabhängige gewählten Abgeordneten sowie aus den Reihen lokaler Namenslisten. Beiden Gruppierungen blieben 120 der 200 Parlamentssitze reserviert.

Diese Parteilosen vertreten jedoch Stammes- und weniger religiöse Interessen; und zwar nicht der Muslimbrüder, sondern von Libyens ureigener islamischer Richtung, dem Sanussi-Orden. Diese Derwisch-Gemeinschaft hatte im 19. Jahrhundert durchaus salafistische, wir würden sagen, puritanische Anfänge. Diese wurden aber bald von mystischen, geradezu pietistischen Anklängen überlagert. Als ihr Ordenoberer Idris al-Sanussi von 1951 bis 1969 auch als König regierte, führte das zu allgemeiner Verweltlichung. Ihre Verfolgung unter Gaddafi hat die Sanussis aber wieder geläutert. Nur ein kleiner Teil von ihnen schloss sich als «Islamische Kampfgemeinschaft» an Al-Kaida an und versuchte jetzt, diese Wahlen mit Terror zu verhindern oder zumindest zu stören.

Sonst werden heute wieder ein Drittel der libyschen Bevölkerung einem verinnerlichten Sanussi-Islam zugerechnet. Das dürfte auch für mindestens die Hälfte der Unabhängigen im neuen Parlament gelten. Sie werden keinesfalls mit den Muslimbrüdern kooperieren, sondern sie sympathisieren mit der liberal-demokratischen Allianz.

Zum Thema:
Der Islamisten-Falke mit gestutzten Flügel

Datum: 11.07.2012
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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