Predigtkultur

Geht die Kirche an ihrer Sprache zu Grunde?

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«Sorry, liebe Theologen, aber ich halte es nicht aus, wenn ihr sprecht. Es ist so oft so furchtbar. Verschrobene, gefühlsduselnde Wortbilder reiht ihr aneinander und wundert euch, warum das niemand hören will. Ständig diese in den Achtzigern hängen gebliebenen Fragen nach dem Sein und dem Sinn, nach dem wer ich bin und werden könnte, wenn ich denn zuliesse, dass ich werde, was ich schon längst war. Hä?»

So begann Erik Flügge (30) vor einem guten Jahr seinen Blog. Inzwischen ist aus dem kirchenkritischen Beitrag im Internet ein Buch geworden: «Der Jargon der Betroffenheit: Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt». Der Vorwurf ist derselbe. Laut Flügge ist Kirche einfach nicht mehr sprachfähig.

Der Vorwurf

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Erik Flügge
Pointiert und scharf bringt Erik Flügge seine Kritik an. So schreibt der Politikwissenschaftler und Germanist den Christen ins Stammbuch: «Wo lernt man das eigentlich? Wo muss man hingehen, um beigebracht zu bekommen, die Betonung im Satz an der genau falschen Stelle zu setzen? Gibt es Rhetorikkurse für Zombie-Sprache für Predigten in Kirchen? Ich meine das ganz ernst, wenn man mit euch ein Bier trinkt, dann klingt ihr ganz normal. Sobald ihr in einer Kirche in offizieller Funktion sprecht, wird's plötzlich scheisse. Wieso denn eigentlich?»

Altertümlich soll die Kirchensprache sein, verschwurbelt und oft einfach unverständlich. Flügge vergleicht Theologen und Prediger dabei mit Juristen, nur dass die nicht darum werben müssen, dass Menschen zu ihnen kommen. Dabei spricht der Autor längst nicht nur traditionelle landeskirchliche Geistliche an. Sein Buch, die deutlich erweiterte Version des provokanten Blogs, hat er nach eigener Aussage geschrieben, weil ihm so viele Menschen ihre persönliche Geschichte mit ihrer Kirche erzählt haben. Und dazu gehören auch Evangelikale. So wie eine Freundin, die über die «geprägte Sprache» ihrer Gemeinde redet. Dies sind in der Tradition verankerte Formen, die scheinbaren Halt in unsicheren Zeiten anbieten und auch jederzeit Antworten bereitstellen – selbst wenn es Floskeln sind. «'Der Herr wird alle deine Wunden heilen' kannst du immer sagen», erklärt sie ihm. «Sonst könntest du nur Scheisse sagen.» Und Flügge bemerkt: «Wie recht sie hat. Wenn man nur genügend Floskeln benutzt, findet man auf jedes Leid, auf jedes Elend eine Antwort. Sie hilft zwar dem Gegenüber nicht weiter, aber immerhin stand man nicht sprachlos da.»

Der Tipp

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Predigt
Im wahren Leben ist Erik Flügge Strategieberater für Politiker, Parteien und eben auch die Kirche. So liegt es nahe, dass er nicht beim Aufdecken von Missständen stehenbleibt, sondern Lösungsansätze parat hat, wie zum Beispiel den folgenden: «Es wäre doch so einfach. Macht's wie der Chef. Jesus hat sich doch auch Mühe gegeben, möglichst verständlich zu sein. Nicht immer mit Erfolg, aber immerhin hat er versucht, etwas mit Bildern und Begriffen zu erklären, mit denen seine Zuhörerinnen und Zuhörer etwas anfangen konnten. Seine Zuhörer wussten, wer ein Samariter ist, sie wussten, wie ein Senfbaum aussieht, und sie wussten, wie die Nummer mit dem Sauerteig funktioniert. Sauerteig? – Ich gehe genau wie fast alle anderen zum Bäcker. Ihr mögt das beklagen, aber es ist Realität. Ich habe keine Ahnung, was man mit einem Sauerteig anstellen muss. Wozu auch? – Es gibt sechs Bäcker rund um meine Wohnung.

Darf ich euch einen Vorschlag machen? Sprecht doch einfach über Gott, wie ihr bei einem Bier sprecht. Dann ist das vielleicht noch nicht modern, aber immerhin mal wieder menschlich, nah und nicht zuletzt verständlich.»

Die Reaktion

Sowohl der Blogbeitrag als auch das Buch haben starke Reaktionen hervorgerufen. Und die klingen meistens nach einem typisch kirchlichen «Ja, aber …». Nach genau jenem differenzierten, ganzheitlichen, rundumversöhnlichen Ansatz, den Flügge so vehement kritisiert. Der evangelische Theologiestudent Steve Kennedy Henkel landet zunächst einmal – recht floskelhaft – beim kirchensprachlichen «Was hat die Bibel heute mit mir zu tun? Nur wenn ich das herausgefunden habe, kann ich andere auch authentisch daran teilhaben lassen», um Flügge am Ende eher zuzustimmen: «Die Kirche hat die beste Botschaft, die es überhaupt zu erzählen gibt, und sie verdient eine klare Sprache.»

Auch der Priester und Predigtlehrer Peter Seul geht auf die einzelnen Thesen des Buchs ein. Dabei gibt er Flügge zwar im Grossen und Ganzen recht, schränkt seine Zustimmung jedoch deutlich ein: «Die Sprache der Predigt [darf] nicht beliebig werden: Sie ist eine 'religiöse' und übersteigt damit die Umgangssprache. Denn die Predigt hat den 'ganz Anderen', sie hat Gott zum Thema. Sie hat es mit 'heiligen Texten' zu tun. Damit ist sie resistent gegenüber dem andauernden 'eiligen' Sprachwandel. Predigt ist per se eine 'veraltete Sprache' ‚ 'nicht heutige Sprache'.»

Und nun?

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Buch von Erik Flügge: Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt
Auch Erik Flügge stellt klar, dass nicht alles an der Kirche und ihrer Kommunikation unzeitgemäss ist. Auch für ihn gibt es sie, die guten Predigten – nur eben leider viel zu selten. Bei aller Kritik spürt man: Hier spricht jemand, der an Kirche leidet, weil sie ihm etwas bedeutet. Und der der guten Nachricht ihre Brisanz und Relevanz zurückgeben möchte: «Ich will sie wieder hören, eure grossen Predigten. Ich will wieder mehr hören als die Zitate der Vergangenheit. Ich will in der Tagesschau den Bischof sehen, der nicht vor sich hin eiert, sondern mit einer Zeile jeden Bildschirm sprengt.» Die beste Möglichkeit dazu bietet allerdings nicht das vermittelnde «Ja, aber …», sondern ein «Danke! Das haben wir gebraucht. Und nun lasst uns etwas ändern.»

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Datum: 04.09.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

Kommentare

Wie eine Predigt aufgenommen wird, hängt v.a. vom Mass des Glaubens und der Art des Sprechens ab. In den Landeskirchen gibt es häufig noch den "Kanzelton", der mehr an klassisches Theater erinnert. Mangelt es dann auch noch an Glaubensfeuer, schläft einem als Zuhörer vor Langeweile schon mal das Gesicht ein. Jedoch gibt es auch in Freikirchen unbegabte Prediger. Ich verstehe aber auch den Einwand von Peter Seul. Vielleicht wäre ein Kompromiss sinnvoll: In der Regel, wo es darum geht, das Evangelium zu verkünden und ins Leben zu übersetzen, wird alltagsnah gepredigt; an den hohen Feiertagen, wo man Gott und seine Werke feiert, darf auch die Sprache gehoben und zeremoniell sein.

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