Mehr als Landleben

Johannes Reimers Buch «Gottes Herz für dein Dorf»

Der Trend scheint klar: Christen leben auf dem Land und besuchen eine Kirche oder Gemeinde in der Stadt. Denn so etwas wie Wachstum, Evangelisation, Gesellschaftsveränderung oder einfach nur zeitgemässe Gottesdienste scheinen auf dem Dorf einfach nicht möglich zu sein. Ausser in Brüchermühle, das so klein ist, wie es sich anhört. Denn dort hat der Theologe und Autor Johannes Reimer eine Gemeinde gegründet, die wächst, evangelisiert und die Gesellschaft verändert.

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Prof. Johannes Reimer bei «SPRING» (Bild: SPRING / Nico Franz)
Johannes Reimer (65) ist Missionswissenschaftler. Das bedeutet, dass er Studierende in der Theorie der Mission unterrichtet. Doch ein Theoretiker ist er deshalb noch lange nicht. Im Gegenteil. Der agile Pastor ist dafür bekannt, dass er das, was er lehrt, selbst ausprobiert – auch gegen den Trend. Entsprechend kritisch waren die Reaktionen, die sich Reimer anhören musste, als er anderen erzählte, dass er auf dem platten Land Gemeinde gründen wollte. «Unnütz, funktioniert sowieso nicht… Auf dem Dorf kann sich geistliches Leben in Deutschland nicht entwickeln», war nur einer der Kommentare.

Nach etlichen erfolgreichen (!) Jahren in Brüchermühle, einem Dorf mit 1'800 Einwohnern, hat Reimers ein Buch über diese Zeit geschrieben: «Gottes Herz für dein Dorf. Ideen und Strategien für Gemeinde auf dem Land». Es ist mehr als ein Erfahrungsbericht; Reimers zeigt vielmehr, wie der ländliche Raum sich heute darstellt, und was das für Gemeinden bedeutet. Sein Buch ist keine Eins-zu-eins-Bauanleitung, sondern ein starkes Plädoyer: «Gemeindebau auf dem Land funktioniert! Das und nicht weniger ist die Botschaft dieses Buches. Es ist eine Liebeserklärung an den Gemeindebau auf dem Land.»

Widerstände überwinden

Am Anfang stehen die Vorurteile. Stirbt das ländliche Leben nicht sowieso aus? Schliessen nicht immer mehr Kirchen auf dem Dorf? Orientieren sich Menschen nicht immer stärker in Richtung Stadt? Aus genau diesen und zahlreichen anderen Gründen und Vorurteilen machen Initiativen zur Gemeindegründung oft einen grossen Bogen um das Dorf. Der Eindruck vieler Christen ist: Hier kannst du nur verlieren. Doch stimmt das? Längst ist der ländliche Raum keine fromme Idylle mehr. Menschen sind hier genauso säkular wie in der Stadt. Reimers zitiert dazu Chris Edmondson, der klarstellt: «Es geht auf dem Land fast nirgendwo um Wachstum, sondern schlicht und einfach ums Überleben.»

Gleichzeitig leben nicht nur viele Menschen in ländlichen Regionen, es ziehen aus Kostengründen oder Überzeugung immer mehr ehemalige Städter zu. Die Bevölkerung auf dem Dorf (oder in Kleinstädten) ist also weder zurückgeblieben noch besonders dörflich. Sie ist sehr stark durchmischt. Deshalb sehen viele das Hauptproblem darin, dass eine «pastorale Mittelmässigkeit» Menschen abschreckt. Der deutsche Theologieprofessor Christian Möller ergänzt zu diesem negativen Denken: «Die Fixierung auf den Mangel beschreibt nicht nur Fakten, sie schafft auch Fakten.» Wer also eine Landgemeinde als Problem begreifen will, der wird das tun und damit ihr negatives Bild weiter festigen. Gemeinde muss in Stadt und Land nicht nur gelebt, sondern auch «erglaubt» werden.

Bereits am Anfang des Buchs, in dem ein Professor immer wieder andere Professoren zitiert, wird deutlich, dass hier ein Praktiker spricht. Reimer bleibt allgemeinverständlich, selbst wenn er Fussnoten unter seinen Text setzt.

Verantwortung übernehmen

«Die klassische Dorfgemeinde gibt es nicht mehr», stellt Reimers klar. Deshalb geht er zurück zum biblischen Konzept der «ekklesia», um Gemeinde zu beschreiben. Für ihn bedeutet sie «eine aus der Welt herausgerufene Gemeinschaft, die Verantwortung für die Welt übernehmen soll. Sie ist von ihrem Wesen her missionarisch und somit missional.» Diesen Bereich der Verantwortung für andere betont Reimers immer wieder. Neu ist das (auch für ihn) nicht. Schon Bonhoeffer betonte vor knapp 100 Jahren: «Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.»

Hier beschreibt Johannes Reimer einige konkrete Punkte der eigenen Gemeindegründung. Auch wenn Brüchermühle 1999 noch eine relativ gute Infrastruktur hatte, war klar, dass das Ganze im Zerfall begriffen war. Die zwei Ehepaare und fünf Freunde als Gemeindegründer hielten deshalb für sich fest:

- Wir wollen eine Gemeinde im Dorf sein.
- Wir wollen eine Gemeinde für andere sein.
- Wir wollen Gemeindebau als Bau des Reiches Gottes leben.
- Soziale Arbeit ist ein integraler Teil unseres Gesamtauftrags.

Solch ein Punkteprogramm kann schnell eine Absichtserklärung werden, die nie umgesetzt wird. Doch die neue Gemeinde im Dorf vernetzte sich nicht nur mit den politischen Verantwortlichen, sondern gründete zum Beispiel die «Christliche Beschäftigungsgesellschaft», um Arbeitslose zu unterstützen und Schuldnerberatung anzubieten. Sie gründete eine «Ausbildungsinitiative» und förderte junge Menschen. Und durch all die verschiedenen Initiativen unterstrich sie, «dass Noch-nicht-Christen verstehen, dass Jesus für sie ist».

Buch lesen

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Cover des Buches «Gottes Herz für dein Dorf»
Schön und gut. Bei diesen Untersuchungen ist ein neues Buch herausgekommen. Warum sollten Sie es kaufen und lesen? Die Wahrscheinlichkeit ist gar nicht so gering, dass Sie selbst in einem dörflichen oder kleinstädtischen Kontext leben – in Deutschland betrifft das immerhin 42 Prozent aller Menschen. Und hier haben Sie zum ersten Mal ganz konkrete Anregungen dazu, wie lebensverändernde Gemeinde auf dem Land aussehen kann – welche Bausteine es auf dem Weg zur Landgemeinde gibt und wie Evangelisation da passieren kann, wo jeder jeden kennt.

Braucht die Gemeinde das Dorf? Höchstwahrscheinlich. Braucht das Dorf die Gemeinde? Absolut. Dabei geht es in keiner Weise darum, das «beschauliche und einheitliche Dorf» zu beschwören, das längst nicht mehr existiert. Stattdessen geht es darum, Entscheidungen zu treffen, es für eine gesellschaftstransformative Gemeinde zu integrieren, für mehr Vielfalt und für Gottesdienste in unterschiedlicher Gestalt zu sorgen, für das Wagnis, neue Strukturen zu finden, und das Entdecken neuer Leitungsstrukturen. All diese Punkte werden im Buch weiter vertieft. Sie münden immer wieder in «Fragen zum Nachdenken». Sie werden verlinkt mit der aktuellen theologischen Diskussion. Sie unterstreichen die Sehnsucht nach Ruhe genauso wie das Bedürfnis nach Teilhabe. Und sie zeigen von Seite zu Seite: Gemeindearbeit auf dem Dorf hat Zukunft.

«Lass mal die Kirche im Dorf», betont das Sprichwort und meint damit: bloss nicht übertreiben. Dabei ist die Kirche längst nicht mehr mitten im Dorf. Sie muss geradezu hereingeholt werden. Und dabei hilft Joannes Reimers neues Buch «Gottes Herz für dein Dorf. Ideen und Strategien für Gemeinde auf dem Land». Praktisch, nachvollziehbar und relevant wird hier eine Theologie des Dorfes aufgemacht. Ohne den Gegensatz zur Gemeindearbeit in der Stadt aufzumachen – denn hierzu gibt es bereits das Buch von Reimer: «Gottes Herz für deine Stadt».

In erster Linie spannend ist, dass Gemeindebau auf dem Dorf funktionieren kann und dass Brüchermühle ein Muster für so viele andere ländliche Regionen in Deutschland und der Schweiz sein kann. Wer immer in solch einer ländlichen Umgebung lebt, wird im Buch jede Menge Inspiration und Ideen finden.

Hier finden Sie das Buch von Johannes Reimer:
Gottes Herz für dein Dorf. Ideen und Strategien für Gemeinde auf dem Land

Zum Thema:
Neue Wege, neue Leiter: Gemeinde braucht Veränderung
Jugendfestival CREA! 2017: Johannes Reimer: «Unsere Worte haben Wert!»
«Wir geben unser Bestes»: Gemeinde auf Fuerteventura nimmt 80 Flüchtlinge bei sich auf

Datum: 28.03.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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