Facettenreiche Persönlichkeit

«Zwingli war mehr Lebemann und Haudegen, als wir wahrhaben wollen»

Am 17. Januar läuft in den Kinos der Film «Zwingli» an. Regisseur Stefan Haupt und Hauptdarsteller Max Simonischek über den Reformator, der die Frauen und die Musik liebte, gerne zechte und die Schweiz veränderte, und wie die Arbeit am Film ihren Blick auf die Religion geschärft hat.

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Erst als er sich mit seiner Rolle beschäftigt habe, sei ihm die gesellschaftliche Dimension der Reformation bewusst geworden, sagt Zwingli-Darsteller Max Simonischek.
Zwingli war eine sehr facettenreiche Persönlichkeit: Er war Priester, Pfarrer, Reformator, Autor, Musiker, Ehemann und Liebhaber. Herr Haupt, welche Persönlichkeit zeigt der Film?
Stefan Haupt:
Ich versuchte, das Ganze im Auge zu behalten und habe mich nicht auf einen Aspekt konzentriert, sondern zeige eine vielschichtige Figur. Zwingli sehen wir heute aus der Perspektive des Reformators. Wir vergessen, er kam als katholischer Priester nach Zürich, er war ein «Päpstler», der mit den Söldnern für den Papst in die Schlacht gezogen war. Interessant ist seine Wandlung hin zum neuen Glauben und zum Leutpriester, der am Grossmünster für seine Überzeugungen einsteht. Zwingli war kein abgehobener Priester, sondern er fühlte sich mit den Menschen verbunden. Das zeigte er als Liebhaber wie auch als Staatsmann.

Herr Simonischek, Sie spielen den Säulenheiligen der Reformation. War dies schwierig?
Max Simonischek:
Einfach war es nicht, ich musste bei null anfangen. Über den Reformator gibt es kaum Material, wenige Zeitzeugen und nur ein Gemälde. Zunächst musste ich mir möglichst viele Informationen über das damalige Leben und die Zeit beschaffen, sei es durch Gespräche mit Experten oder das Lesen von Literatur. Und dann näherte ich mich Zwingli mit meinen Vorstellungen und meiner Fantasie, ohne mich zu stark durch die bereits vorhandenen Bilder einschränken zu lassen. Das war die besondere Herausforderung an dieser Figur.

Das ist Ihnen gelungen, Sie zeigen keinen verstaubten Reformator.
Simonischek: Danke fürs Kompliment! Die Beurteilung überlasse ich den Zuschauern.

Ihr Zwingli ist nicht «zwinglianisch». War Ihnen dies wichtig?
Simonischek:
Ja, so habe ich ihn bei meinen Recherchen kennengelernt. Zwingli liebte die Frauen und die Musik, hatte Kinder, spielte zwölf Instrumente und zechte gerne. Dies widerspricht dem gängigen Bild, das man mit dem Reformator und dem Zwinglianischen verbindet. Zwingli war eine ambivalente Persönlichkeit, das wollte ich zeigen.

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Stephan Haupt
Haupt: Die Bezeichnung «zwinglianisch» bezieht sich auch mehr auf Zürich als auf Zwingli selbst. Man spricht von der zwinglianischen Limmatstadt.

Im Film wirkt Zwingli beinahe modern.
Haupt:
Unser Wissen über Zwingli ist bruchstückhaft, und doch versuchen wir, ihm sehr nahe zu kommen. Man nannte ihn Aristoteles, denn er liebte die griechische Literatur. Luther hingegen verachtete die Griechen. Noch im letzten Jahr seines Lebens komponierte Zwingli die Musik für ein Theaterstück von Aristophanes, bei dem der junge Conrad Gessner mitspielte. Es ist überliefert, dass Zwingli bei der Aufführung Tränen in den Augen hatte. Er war sicher mehr Lebemann und Haudegen, als wir dies wahrhaben wollen.

Ihr Film ist auch eine Kritik am Zölibat in der katholischen Kirche. In einer Szene erklärt ein Priester, dass sich daran in den nächsten 500 Jahren nichts ändern werde.
Haupt:
Für mich ist es in der Tat unverständlich, dass die katholische Kirche nicht die Grösse hat, das Zölibat abzuschaffen. Erst kürzlich erklärte ein Priester im Bündnerland, er habe sich in eine Frau verliebt. Er möchte mit ihr zusammenleben und Priester bleiben. Das geht nicht, obwohl die Kirchgemeinde diesen Priester behalten wollte. Ich halte es für einen Irrsinn, wenn Papst Franziskus, in den man so viel Hoffnung gesetzt hat, die Abtreibung mit einem Auftragsmord vergleicht. Es ist nicht an mir, die katholische Kirche zu kritisieren, aber bei solchen Aussagen frage ich mich schon, was für eine Sicht auf die Welt diese Geistlichen haben.

Die Reformierten verfolgten die Täufer. Sie liessen ihre Anführer hinrichten und zogen gegen die Innerschweizer in den Krieg. War Zwingli ein Kriegstreiber?
Simonischek:
Er war bereit, für seinen Glauben zu töten und zu sterben. Das ist der Bezug zur Gegenwart. Auch heute werden Menschen im Namen des Glaubens ermordet.

Haupt: Der Bullinger-Kenner Reinhard Bodenmann hat mir einmal erklärt, dass wir einen blinden Fleck haben, wenn wir eine Epoche, die fünfhundert Jahre zurückliegt, nur mit der Brille unserer Zeit beurteilen. Wir vergessen, dass man damals in einer ganz anderen Realität lebte. Öffentliche Hinrichtungen, auch Hexenprozesse, gab es immer wieder, auch in Zürich. Es war normal, dass man zu den Waffen und zur Gewalt griff, um sich zu verteidigen und seine Ansprüche durchzusetzen. Viele meinen heute, Zwingli sei ein Pazifist gewesen, und sie sind dann erstaunt, dass er zum Krieg aufrief. Der Film versucht, dies so wertfrei wie möglich zu erzählen.

Hat die Arbeit an dem Film Ihre Sicht auf die Reformation verändert?
Simonischek:
Für mich spielt die Religion im Leben keine grosse Rolle, Zwingli schon gar nicht. Wegen des Films beschäftigte ich mich zum ersten Mal mit der Reformation. Da wurde mir ihre gesellschaftliche Dimension, die bis heute relevant ist, erst bewusst.

Haupt: Der Film hat meinen Blick auf das Thema Religion geschärft. Wir behaupten, dass wir in einer säkularisierten Welt leben, und nur wenige gehen heute in die Kirche. Doch am Set fingen die Leute an von ihren Grosseltern zu erzählen, die beispielsweise strenggläubig waren, und ihre Enkel zum Beten aufforderten. Andere erzählten, wie schwierig es für den reformierten Vater war, als er eine Katholikin heiratete. Die religiösen Wurzeln, die uns prägen, sind viel tiefer als uns bewusst ist.

Sind die konfessionellen Unterschiede bis heute zu spüren?
Haupt:
Ja, die katholische Innerschweiz ist traditionell verwurzelt. Für sie steht das Bewahrende im Vordergrund, während die urbanen, reformierten Zentren weltoffener und zu Veränderungen bereiter sind. Die konfessionellen Unterschiede schlagen sich zum Teil ja auch in den Abstimmungen nieder. Anhand der Reformation zeigen sich auch Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz. Etwa das Verhältnis zwischen dem grossen Deutschland und der kleinen Schweiz. Während Zwingli um Luther buhlte, verhöhnte dieser Zwingli und sein Kuhdeutsch, das man nicht verstehe. Oder der Umgang mit Prominenten: Von Luther gibt es dutzende Gemälde, von Zwingli kein einziges aus seinen Lebzeiten. In Deutschland spricht man von der Lutherbibel, in der Schweiz von der Zürcher Bibel.

Herr Haupt, was ist die Botschaft des Zwinglifilms?
Haupt:
Mich hat es beeindruckt, wie Zwingli das Wort ernst nahm. Für ihn war klar: Wenn man etwas sagt, dann mit Überzeugung. Das Gesagte muss Folgen haben und sich im Handeln zeigen. Nur so ist Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und schliesslich Veränderung möglich.

Die Botschaft der Reformation lautet, dass der Mensch frei ist. Ist dies heute noch aktuell?
Simonischek:
Mehr denn je. Das eigenständige Denken bildet den Grundpfeiler der Demokratie. Es ist wichtig, dass man sich dieses Guts bewusst ist.

Haupt: Die Botschaft von Zwingli ist nach wie vor aktuell. Etwa sein Aufruf zur sozialen Gerechtigkeit und seine Forderung, sich nicht hinter Sachzwängen zu verstecken. Seine Forderung nach Abschaffung des Söldnerwesens lässt sich bestens auf ein Ausfuhrverbot für Waffen in Bürgerkriegsländer übertragen. Auch bei der Konzernverantwortungsinitiative darf man sich nicht hinter dem Argument verstecken, man brauche die Gewinne, um den Lebensstandard in der Schweiz zu halten. Wie kaum ein Land kann es sich die Schweiz leisten, für die Menschlichkeit einzustehen und faire Handelsbeziehungen einzufordern. Dazu könnte auch die reformierte Kirche beitragen und ruhig deutlichere Worte finden.

Wäre das Ihr Wunsch an die Kirche Zwinglis?
Haupt:
Ja, an die Kirche, aber genauso an die Gesellschaft und an mich selber.

Zum Thema:
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Datum: 14.01.2019
Autor: Tilmann Zuber
Quelle: kirchenbote-online.ch

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