Daniel Steiner ist sowohl Politiker wie auch Lehrer und beschäftigt sich deshalb von zwei Seiten mit dem «Lehrplan 21». Einerseits sieht er die positive Seite des umfangreichen Werks, andererseits vermisst er die christlich-jüdische Kultur.
Daniel Steiner-Brütsch
Livenet.ch: Daniel Steiner, etliche Christen stören sich am Lehrplan 21, weshalb? Daniel Steiner: Einerseits wird der Lehrplan 21 kritisiert, weil er zu umfangreich ist: Der Lehrplan ist 557 Seiten lang und beinhaltet 4753 Kompetenzen und Teilkompetenzen, die sich die Schüler vom Kindergarten bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit aneignen sollten.
Andererseits werden im Lehrplan 21 zum Fach Religion nur noch Kompetenzen formuliert, jedoch keine Inhalte. So wird beispielsweise als Lernziel festgehalten, dass Schüler/-innen erläutern können, wie religiöse Schriften verwendet werden. Kirchliche Feste, biblische Geschichten und herausragende kirchliche Persönlichkeiten finden im Lehrplan 21 keine Erwähnung.
Kommen christliche Inhalte aus Ihrer Sicht zu wenig vor?
Es ist tatsächlich so, dass der Lehrplan 21 kaum explizite Bezüge zum Christentum macht:
Personen der Bibel, die in vielen Lehrplänen bisher vorkame wie zum Beispiel Mose, Abraham oder David fehlen im gesamten Lehrplan 21. Jesus wird im Fachbereich «Natur-Mensch-Gesellschaft» (NMG) nur insofern erwähnt, dass die Schüler zum Leben bedeutender Gestalten aus verschiedenen Religionen – insbesondere Jesus, Mohammed und Buddha – Geschichten erzählen können.
Die Bibel kommt im Lehrplan 21 ein einziges Mal (auf der Oberstufe) vor.
Für unsere Kultur prägende Feste des Kirchenjahres, wie zum Beispiel Karfreitag, Ostern, Pfingsten und Weihnachten, werden im gesamten Lehrplan 21 nicht erwähnt.
Kurz: Nicht mehr der christliche Glaube steht im Fokus als primäre Religion, sondern die verschiedenen Religionen.
Wie wägen Sie Pro und Contra ab?
Der Schritt zu einem zeitgemässen, für die ganze Deutschschweiz verbindlichen Lehrplan ist wichtig und richtig. Auch den Ansatz der Kompetenzorientierung des Lehrplans 21 unterstütze ich im Grundsatz. Allerdings müssen diese Kompetenzen unbedingt stärker mit konkreten Inhalten verbunden werden. Kompetenzerwerb ohne die Vermittlung von Inhalten ist wie Stricken ohne Wolle.
Gleichzeitig vermisse ich im Lehrplan 21 eine besondere Gewichtung unserer christlich-jüdischen Kultur. Kenntnisse der christlichen Überlieferung und Tradition sind meiner Meinung nach unabdingbar für das Verständnis unserer Gesellschaft, Geschichte und Kultur.
Übrigens hat der Grosse Rat des Kantons Bern im Jahr 2009 mit der Überweisung eines EVP-Vorstosses dem Regierungsrat den Auftrag erteilt, bei der Einführung des Lehrplans 21 darauf zu achten, dass die christliche Überlieferung und Tradition gebührend berücksichtigt wird.
Was halten Sie als Lehrer von ihm?
Ich unterstütze grundsätzlich die Bestrebungen, die Lehrpläne der Deutschschweiz zu harmonisieren. Meiner Meinung nach ist es nicht mehr zeitgemäss, dass jeder Kanton seine eigenen Lehrpläne und Lektionentafeln hat.
Auch die Kompetenzorientierung des Lehrplans 21 erachte ich als richtig. Allerdings hoffe ich, dass
der Umfang des Lehrplans, insbesondere die Anzahl Kompetenzen, verkleinert wird,
in gewissen Bereichen die Kompetenzen mit konkreteren Inhalten verbunden werden,
die Kompetenzen und Bildungsstandards nicht dazu missbraucht werden, mehr Tests und Checks in der Volksschule einzuführen.
Ich bin überzeugt, dass der Lehrplan 21 die Volksschule der Zukunft prägen wird. Genauso zentral wie der Lehrplan 21 werden aber auch die Lehrmittel sein, welche zur Erreichung der Kompetenzen im Unterricht eingesetzt werden.
Daniel Steiner ist «Bereichsleiter Mathematik Primarstufe» an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) sowie EVP-Grossrat des Kantons Bern und Stadtrat in Langenthal.