Die EVP-Fraktion fordert den Grossen
Rat des Kantons Bern mit einem Vorschlag heraus, der durchaus auch in der
Schweiz zukunftsweisend sein dürfte.
In der Septembersession berät der Berner Grosse Rat einen Vorstoss, der die
Kirchensteuer für Unternehmen freiwillig machen will. Als Antwort darauf hat
die Berner EVP-Fraktion ein Postulat eingereicht, das den Regierungsrat
auffordert, das italienische Kirchensteuermodell «Otto per Mille» zu prüfen.
Überholtes Modell
Die EVP könne nachvollziehen, schreibt sie in einer Pressemitteilung, «dass
in unserer Gesellschaft, die gerade auch in religiöser Hinsicht immer
vielfältiger wird, das Verständnis dafür schwindet, dass nur die drei
Landeskirchen von der Unternehmenssteuer profitieren sollen». Denn das Personal
in Firmen sei heute in unterschiedlichen Religionsgemeinschaften oder auch gar
keiner daheim.
Unternehmen sollen entscheiden können
EVP-Politiker Marc Jost
Die EVP greift daher das italienische Modell der Unternehmenskirchensteuer,
«Otto per mille» auf. Dieses erlaubt den Unternehmen, selbst zu entscheiden,
welche sozial tätigen Religionsgemeinschaft ihren Steuerbeitrag erhalten soll. Die
Firma kann das Geld auch dem Staat für seine sozialen Aufgaben zukommen lassen.
Dem Vernehmen nach hat in Italien zum Beispiel die Waldenserkirche stark von
dieser Regelung profitiert.
EVP-Religionspolitiker
Marc Jost hofft bei diesem Vorschlag vor allem auf die Unterstützung der
liberalen und sozialen Parteien. Er ergänzt dazu, dass dieses Modell
grundsätzlich auch auf natürliche Personen angewendet werden könnte, die
keinen Bezug mehr zu einer Kirche haben.
Die Religionsgemeinschaften müssten laut EVP gewisse Minimalstandards
erfüllen, um den Genuss von Steuergeldern zu kommen. Ene Grundlage dafür könnte
eine Charta der Religionsgemeinschaften sein, wie sie die EVP Schweiz letzte
Woche vorgestellt hat.
Die Charta der Religionsgemeinschaften
Die EVP
Schweiz hat am 22. August zum internationalen UNO-Gedenktag für die Opfer
religiöser Gewalt in Bern eine Charta der Religionsgemeinschaften vorgestellt.
Sie wolle damit eine religionspolitische Antwort auf die zunehmende
Religionsvielfalt in der Schweiz und ihre Herausforderungen geben,
betonte sie an einer Pressekonferenz. Mit der Charta stellt die EVP konkrete
Leitsätze für ein friedliches Zusammenleben der Religionsgemeinschaften
in der Schweiz zur Diskussion.
Laut EVP-Parteipräsidentin Marianne Streiff hat die Charta dass Ziel, «in
einer pluralistischen Gesellschaft einen Dialog auf Augenhöhe und ein
friedliches Neben- und Miteinander» möglich zu machen». Dazu brauche es «Leitlinien
für das Zusammenleben unterschiedlicher religiöser Gruppen». Die
Charta könne für Religionsgemeinschaften eine Möglichkeit sein, «sich
öffentlich zu den Werten unserer Gesellschaft und zu unserem Rechtssystem
zu bekennen und damit Akzeptanz und Vertrauen schaffen».
Erst im Entwurfsstadium
Die Charta liegt noch nicht im definitiven Wortlaut
vor. Die EVP hat damit erst den Entstehungsprozess angestossen. Als nächsten
Schritt will sie den vorgelegten Entwurf einem Verein oder einer noch zu
berufenden Expertengruppe aus Vertretern und Vertreterinnen unterschiedlicher
Religionen und Religionsgemeinschaften übergeben. Diese soll die
Charta diskutieren, weiterentwickeln und künftig «hüten» sowie Religionsgemeinschaften
in der Schweiz einladen, diese zu unterschreiben.