Fussball: Die wichtigste Nebensache der Welt

Der ehemalige schottische Nationaltrainer Jock Stein brachte es auf den Punkt: „Manche Leute tun so, als wäre Fussball eine Sache auf Leben und Tod. Das ist natürlich Blödsinn – Fussball ist viel ernster.“

Er hat recht: Fussball übersteigt für viele Menschen die Wirklichkeit des Hier und Jetzt und wird zum Schauplatz religiöser Symbole, Gefühle und Verehrungsrituale. Wenn eine Nation Weltmeister wird, erhebt sich das Nationalbewusstsein aus der Asche. Fussball ist vielleicht der letzte grosse Kult unserer Gesellschaft, der über sämtliche Alters-, Berufs- und Statuslagen hinweg bekannt ist und zelebriert wird. Die Fussballgemeinde hat es geschafft, nahezu alle Nationen des Erdballs zu erreichen, und das ganz ohne Glaubenskriege.

Der „Fussballgott“

Nun ist es wieder soweit: In der Schweiz und in Österreich spielen 16 Mannschaften um die begehrteste Trophäe der europäischen Fussballwelt. Fussball ist längst nicht mehr nur die wichtigste Sportart der Welt. Fussball ist für einen Grossteil der Bevölkerung längst zur Glaubenssache geworden: Das Fan-Accesoire ist das Glaubensbekenntnis, die Berichterstattung über die eigene Glaubensgemeinschaft ersetzt die Bibel. Es gibt Gebote der Fangemeinschaft, Riten, Kultfeiern und natürlich: den Fussballgott. Bemerkenswert: Wenn der Erfolg sich einstellt, so ist der Gott in die eigenen Vereinsfarben eingekleidet und vollzieht gute, richtige und gerechte Entscheidungen. Wenn der Ball aber allzu oft im eigenen Netz landet, dann ärgert man sich am Glück (Fussballgott) der Gegner.

Ersatzreligion?

Das Kirchenjahr wird beim Fussballfan durch die Saison ersetzt; der Feiertag (Wochenspiel) durchbricht den: Man kleidet sich anders (Fussball-Kluft fürs Stadion), man sucht andere Orte auf und trifft andere Menschen. Der Weg ins Stadion – bei Auswärtsspielen kann man mit einer Pilgerfahrt vergleichen. Da erwarten einem „Wunder“ in Form unerwarteter Resultate, einen „heiligen Rasen“ oder ein „erlösendes Tor“. Eine besondere Form des Bekenntnisses ist natürlich die Verehrung der Stars.

Kirchen könnten daraus lernen

Erstaunlich, wenn in den Stadien die gewaltigen Männerchöre ertönen. Sind die gleichen Leute in der Kirche, singen sie entweder gar nicht oder nur leise vor sich hin. An der Begabung zum Gesang kann es also nicht liegen. Sicher, hier kommt dazu, dass es sich in grossen Gruppen leichter singen lässt. Aber trotzdem: Singt man in der Kirche so begeistert und engagiert wie die Fans im Stadion? Vielleicht liegt es ja auch an den Liedern, die man in der Kirche singt. Für jüngere Leute klingen sie zu altertümlich oder vermitteln nicht das Gefühl, dass man selber darin vorkommt. Sind Gottesdienste wirklich nahe genug am Gefühl der Menschen?

Wie jede Hochreligion, so hat auch der Fussball Konfessionen, die sich in Vereinen oder Nationen sammeln, und es gibt auch Abspaltungen unter den Gläubigen, emotionale Ausreisser, Sektenbildungen. Dafür stehen im Fussball die Hooligans, als Beispiel missbrauchter Begeisterung, die ihren Ausdruck in Gewalt, Hass und Selbstzerstörung sucht.

Die Fussballgemeinde kennt auch das Leiden und Mitleiden, die Solidarität mit dem Scheitern und die Bewältigung von Niederlagen. Trauerarbeit ist die Grundform der „Gemeindebeteiligung“ beim Fussball: Man weint und klagt, zetert und schimpft, Fremde fallen einander in die Arme und trösten sich gegenseitig. Wer mit seinem Verein schon einmal abgestiegen ist, dem muss man nichts mehr erzählen von Verzweiflung, Ohnmacht und Sinnleere.

Feierstunde der Schönheit

Schon bei den alten Griechen war Sport eine Form des Gottesdienstes, eine Feierstunde der Schönheit in der hässlichen Welt. Und tatsächlich erahnt man beim Fussball, dass die Welt Teil eines Kosmos ist und damit voller Sinn und Schönheit, voller Grösse und Gelingen sein kann. Grosse Fussballspiele erinnern daran, dass die Frage nach Gott dort anfängt, wo ein gelungenes – oder eben auch ein missratenes – Spiel aufhört: beim Staunen darüber, dass es neben Zweck und Berechnung, neben Funktion und Verwaltung immer auch Schönheit und Vollendung gibt. Gott verspricht, dass es einen Ort gibt, der unaussprechlich schön ist, wo Gemeinschaft, singen und gemeinsames Erleben ewig dauert – ein paradiesischer Ort. Dagegen ist das Feiern nach einem gelungenen Fussballspiel nur ein schwacher Abklatsch davon, wie schön eine solche ewige Feier ist. Es lohnt sich, sein Leben auf Gott auszurichten.


Autor: Bruno Graber
Quelle: Livenet.ch

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