Die Flut: Eine unheimliche Tragödie wirft Fragen auf

Nach der verheerenden Flutwelle in Südasien steigt die Zahl der Toten weiter. Auch drei Tage nach der Katastrophe in Asien ist das Ausmass der Tragödie noch immer nicht absehbar. Experten befürchten, dass die Zahl der Todesopfer noch auf 45000 steigen wird. Auch Schweizer haben ihr Leben verloren.

In Roland Emmerichs Film "The Day After Tomorrow" wurde New York Opfer der Flut. Die Wirklichkeit ist noch schlimmer als die Szenen im Film. Welch ein Kontrast – eben noch feierte man Weihnachten – und nun diese Bilder.

Flut war nicht parteiisch

"Meine Diözese ist verwüstet, wie 1500 Kilometer indische Küste auch. Zahllose Dörfer sind zerstört und ganze Familien ausgelöscht worden, genau am Festtag der Heiligen Familie", klagt der katholische Erzbischof Michael Augustine von Pondicherry-Cuddalore aus Südindien.

Die Flut ergriff nicht Partei für irgendeine Religion: An der Küste von Andhra Pradesh beispielsweise kamen 32 Menschen ums Leben, die zu einem rituellen Hindu-Bad ins Meer gestiegen waren. Unter ihnen 15 Kinder.

"Es ist, als ob Gott seinen Zorn an meinem Volk ausgelassen habe", sagt der Muslim Hadschi Ali, dessen Heimatregion im Norden der Insel Sumatra im Zentrum des schwersten Seebebens seit Menschengedenken liegt.

Man mag es als Schicksal, als Fügung, als Fingerzeig einer überirdischen Macht werten, angesichts des Leids und der vermeintlich schieren Ohnmacht, die das Seebeben in Süd- und Südostasien ausgelöst hat, sind solche Interpretationen von Betroffenen zu respektieren.

Nicht nur das Ausmass der Katastrophe lässt uns erschrecken, sondern auch die völlige Hilflosigkeit, mit der wir solchen Naturereignissen ausgeliefert sind. Der Tsunami hat Tod, Trauer und Leid gebracht. Das Ereignis dämpft vielleicht aber auch das Allmachtsdenken, das bei vielen Menschen vorhanden ist. So, wie der Mensch den Planeten Erde und dessen Kraft unterschätzt, so überschätzt er auf der anderen Seite nur allzugern sich selbst.

Wir leben in einer Welt voller Tragödien. Oft glauben wir, dass sie nur anderen Leuten passieren, aber niemals uns. Wie wird man mit solchen schrecklichen Erlebnissen fertig? Kann man nach so einem Unglück je wieder glücklich sein wenn es einem selber betrifft, oder ist man dazu verdammt, durch einen endlosen Tunnel von Alpträumen zu gehen?

Warum nur – warum?

Die erste grosse Frage, die man sich nach einem Unglücksfall stellt, ist die Frage nach dem „Warum?“. Warum musste dies geschehen? Warum mir? Warum passierte es einem meiner geliebten Angehörigen?

Gleich darauf folgt das grosse „Wenn ...“: Wenn ich nur dies oder das getan hätte oder nicht getan hätte. Wenn ich nur gewusst hätte, wäre ich nicht in den Urlab gefahren.

Ein Mann, dem nachgesagt wird, der Weiseste aller Zeiten zu sein, König Salomo, verbrachte viel Zeit damit, diese Fragen zu ergründen. Nach seinen Studium aller unbekannten und unsicheren Faktoren des menschlichen Lebens kam er zu dem Schluss:... „Jeden treffen Zufall und Zeit. Der Mensch kennt seine Zeit nicht. Wie Fische, die ins Unglücksnetz geraten sind, ebenso verfangen sich die einzelnen Menschen in ihre Unglückszeit, wenn sie plötzlich über sie herabfällt.“(Prediger 9,11/12; Einheitsübersetzung).

Realität annehmen

Der erste Schritt zur Gesundung nach einem Unglücksfall ist, die Realität über das, was passiert ist, zu akzeptieren. Es wird Perioden geben, wo man der Realität nicht ins Auge blicken kann und will. Wir schauen zur Tür und erwarten, dass sie oder er gleich zur Tür hereinkommt, und alles nur ein böser Traum war. Obwohl es zuerst leichter zu sein scheint, die Realität zu ignorieren, müssen wir uns aber der Endgültigkeit unseres Verlustes stellen, um eines Tages wieder ein neues Leben führen zu können.

Viele Betroffene weisen immer wieder darauf hin, wie wichtig der Kontakt zu anderen Menschen ist. Oft kann man mit dem Verlust eines geliebten Menschen nicht allein fertig werden. Der Kontakt zu den Mitmenschen kann einem die Stärke geben, weiterzumachen, und den Glauben, dass es einen Sinn hat, weiterzumachen. Man sollte sich aber nicht gegenseitig oder Gott die Schuld zuzuweisen.

Gefühle bewältigen

In Zeiten wie diesen kommen viele starke Gefühle auf, die von ungeheurer Wut bis zur völligen Verzweiflung reichen. Diese Gefühle sind bei einem Trauerfall völlig normal. Es ist wichtig, sie zu äussern bis der Heilungsprozess abgeschlossen ist.

Suche nach Antworten

Wir leben heute in einer sehr materialistischen und individualistischen Welt. Dennoch suchen fast alle Menschen nach einem tieferen Sinn und Ziel des Lebens. Gerade wenn solche einschneidenden Erlebnisse im Leben eintreten, wird oft verzweifelt gefragt, warum ein „guter Gott“ zulassen kann, dass ein geliebter Mensch stirbt.

Wenn auch in guten Zeiten oft nicht viel über Gott nachgedacht wird, sollte er aber ganz sicher in Zeiten der Not eingreifen, um das Unglück zu verhindern. Wenn das Unglück trotzdem seinen Lauf nimmt, wird sehr schnell an seiner Existenz, Allmacht und Liebe gezweifelt. Der Glaube, den viele aus ihrer Kindheit übernommen haben, versagt für viele in solchen Krisenzeiten.

In der Bibel wird die Ursache von einem Unglück so beschreiben: „Oder jene achtzehn, auf welche der Turm in Siloa fiel und sie erschlug, meinet ihr, dass sie schuldiger gewesen seien als alle andern Leute, die in Jerusalem wohnen? Nein, sage ich euch; sondern wenn ihr nicht umdenkt, so werdet ihr alle auch so umkommen!” (Lukas13,1-5).

Wie beurteilt also die bedeutendste Person der Menschheitsgeschichte, Jesus, solche Katastrophen? Wenn wir den Bericht lesen, fällt zunächst auf, wie die Leute damals über Gottes Handeln dachten: Sie machten Gott keine Vorwürfe, sondern vermuteten hinter den Tragödien ein Gericht Gottes. Sie meinten, die Todesopfer seien besonders schlimme Sünder gewesen, die Gott niedergestreckt habe. Dem widerspricht Jesus – schlimmer waren sie nicht.

Hätte Gott das Unglück verhindern können? Ja: „Gott ist uns Zuflucht und Stärke. Darum fürchten wir uns nicht, wenn auch die Erde erbebt und die Berge wanken und und in den Tiefen des Meeres versinken.“ (Psalm 46,2-3). Das allerdings können nur die sagen, die von Gott abhängig sein wollen und allein auf ihn vertrauen. Gott ist trotzdem in keiner Weise verpflichtet zu helfen, schon gar nicht denen, die fern von ihm leben wollen.

Aus der Erklärung die Jesus abgibt, wird aber auch deutlich, dass Gott Tragödien benutzt, um Menschen zur Umkehr zu ihm zu bewegen: „wenn ihr nicht umdenkt“ warnt nicht nur vor Konsequenzen, sondern besagt zugleich, dass der einladende Weg der Umkehr zu Gott noch offen steht.

Antwort finden

Gerade diese Unsicherheit und Unfähigkeit, Antworten zu finden, macht es vielen ein Leben lang unmöglich, eine Quelle des Trostes zu finden, die zu einer Aussöhnung mit dem Geschehenen führt.

Kann Glaube uns tatsächlich im Angesicht dieser Tragödien helfen? Nachdem man die Realität des Geschehenen angenommen hat, ist es wichtig, dass man sich einige Fragen stellt. Die Frage darf aber nicht lauten: „Warum ist mir das passiert? Womit habe ich das verdient?“ Denn auf solche Fragen gibt es keine Antwort. Vielmehr sollten wir uns fragen: „Wie kann mir dies helfen, positive Veränderungen in meinem Leben durchzuführen?

Gott will bestimmt, dass wir anderen Menschen in der Not helfen. Und indem wir ihnen helfen, verhindern wir, dass sie sich alleine, verlassen, missachtet oder verurteilt fühlen.

Indem wir unsere Erfahrungen des Trostes durch Gott nutzen, um andere zu trösten, können wir den grössten Trost überhaupt finden – Freude. Wir können Freude erfahren, wenn wir uns mit einer Sensibilität, die wir aufgrund unserer eigenen Erfahrungen mitbringen, um andere kümmern, sie trösten und ermutigen.

Helfen steht jetzt im Vordergrund

Die Frage – warum lässt Gott solche Erdbeben zu – kann niemand endgültig beantworten. Man kann nur die Frage stellen – wo und wie können Menschen jetzt einander helfen. Hoffentlich sagt niemand – Asien ist weit weg!

Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass sich die Hilfsaktion für die Flutopfer in Südasien zur aufwändigsten in der Geschichte der UNO entwickeln wird. Selten seien so viele Menschen in verschiedenen Regionen auf einmal von einer so verheerenden Katastrophe heimgesucht worden.

Naturkatastrophen wird immer wieder geben. Am Erdbeben, an der Entstehung dieser mörderischen Flutwelle hat kein Mensch Schuld. Was die Folgen des Ereignisses angeht, sieht die Sache anders aus. Eine unangenehme Wahrheit tut sich auf: Das Unglück hat die Armen besonders hart getroffen. Das Meer hat die Bretterbuden der Habenichtse weggerissen, die für die Wohlhabenden gebauten steinernen Häuser stehen noch. Internationale Hotelketten bemühen ihre Versicherungen, doch wer zahlt für die Bambushütten?

Datum: 29.12.2004
Autor: Bruno Graber
Quelle: Livenet.ch

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