Dem Fremden begegnen

Anpassung oder Widerstand?

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Lernen heisst nicht immer, Neues gutzuheissen. In der Begegnung mit Unbekanntem gibt es verschiedene mögliche Reaktionen. In allen kann ein Lernprozess stecken.

Unser Pastoralteam befindet sich im Büro des Abts vom Kloster Hauterive: Zu dritt sitzen wir dem Abt gegenüber und führen ein anregendes Gespräch. Nach 45 Minuten entschuldigt er sich. Jeden Mittwoch um 19 Uhr haben sie eine Stunde «Adoration». Ob wir auch kommen wollen? Klar! Wir vom CLZ sind ja eingefleischte Worshipper. Quasi ein Heimspiel.

Wenig später in der Kapelle des Klosters Hauterive: Es ist dunkel. Nur vorne beim Altar steht ein beleuchtetes Kreuz. Stille. Die Mönche kommen. Stille. 15 Minuten sind bereits vorbei. Immer noch still. Vor dem Kreuz kniet ein ca. 30-jähriger Balkan-Typ mit Goldkette während 30 Minuten auf dem Steinboden und betet. Stille. Langsam werde ich auch ruhig, lasse mich auf das Kreuz ein. Merke, wie es mich nicht zum Denken, sondern zum Umdenken einlädt. Nach 60 Minuten ist der Worship vorbei.

Wieder später: Unser Pastoralteam allein. Befremdet, verwirrt, bewegt – Gott begegnet. Aber das jeden Sonntag anstelle unseres Worships? Nein, wir lieben unsere Art von Worship, merken jedoch: «Wohl dosiert» bereichern uns andere Gebetsformen.

Vier verschiedene Reaktionen

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Matthias Wenk
Wir können ganz unterschiedlich auf Fremdes (Menschen, Situationen, etc.) reagieren:

  1. Ich mache auf Widerstand und will das Fremde nicht. Die Sache ist nicht verhandelbar. Wenn's um Musik geht, betrifft das bei mir alles, was destruktiv oder menschenverachtend ist, zum Beispiel rassistische oder Gewalt verherrlichende Texte. Zugegeben: Es gibt Bereiche, da mache ich auf stur und lasse mich nicht auf Situationen oder Menschen ein, obwohl es vielleicht gut wäre.
  2. Ich sehe es anders, kann das Fremde jedoch stehen lassen und fälle kein Werturteil. In Sachen Musik kann ich akzeptieren, wenn jemand Volksmusik liebt. Persönlich höre ich sie mir lieber nicht an. Oder im Umgang mit anderen Kirchen: Für mich ist die Kindertaufe keine Option, kann jedoch nachvollziehen (nicht ganz, aber beinahe), weshalb andere sie praktizieren.
  3. Ich bin teilweise einverstanden und punktuell lasse ich mich auf das Fremde ein, auch wenn es mich herausfordert. Ein klassisches Beispiel ist der «Worship» im Kloster Hauterive. Ich möchte das nicht jeden Sonntag, aber so ab und zu erlebe ich diese Art der Anbetung als bereichernd für mein Leben.
  4. Ich nehme das Fremde an und mache es zu meinem Eigenen. Bei meiner Karriere als Musikhörer war das die klassische Musik. Als Teenager hatte ich von ihr nur «vom Hörensagen vernommen», aber als junger Erwachsener «hat mein Ohr sie gehört». Heute gehört sie zu meiner Lieblingsmusik und ist ein fester Bestandteil meines Lebens. Gibt es schönere Worshipmusik als die h-Moll-Messe von Bach? Auch als BewegungPlus haben wir solche Prozesse durchlaufen: Vor 30 Jahren war der Gedanke an ordinierte Pastorinnen für viele völlig fremd und unmöglich. Es folgte eine lange Auseinandersetzung mit dem Thema, und im Jahr 2004 wurde die erste Frau zur Pastorin ordiniert.  

Ein Lehrmeister

Bleibt die Frage, welche Reaktion wann angebracht ist? Dazu haben wir einen hervorragenden Lehrmeister: 2'000 Jahre Kirchengeschichte voller Widerstand, punktuellen Grenzüberschreitungen oder radikalen Neuausrichtungen. Kaum hatte sich die erste Gemeinde mit Ach und Krach durchgerungen, auch Heiden bei sich willkommen zu heissen, musste man sich überlegen, wie man auf all die fremden Werte und Bräuche reagieren soll, welche diese mit sich brachten. Der Umgang mit den Speisevorschriften durchlief beinahe alle vier Möglichkeiten: Am Anfang klarer Widerstand, dann liess man sich gegenseitig stehen, und heute sind Speisegesetze zumindest in unseren Breitengraden kein wirkliches Thema mehr. Etwas länger brauchte die Kirche, bis sie sich auf den Widerstand in der Frage der Sklavenhaltung einigen konnte.

So gibt es unzählige Beispiele aus der Vergangenheit, die uns helfen, in der Gegenwart unseren Weg zu finden, wenn die Frage im Raum steht: Widerstand, sich freundlich aber distanziert stehen lassen, gelegentliche Grenzüberschreitung oder Umkehr und Übernahme des Fremden?

Zum Thema:
Die Komfortzone verlassen: «Nur wer sich verändert, bleibt lebendig»
Frühlingskonferenz: «Wege, die wir noch nie gegangen sind»
Neue Wege, neue Leiter: Gemeinde braucht Veränderung

Datum: 29.03.2019
Autor: Matthias Wenk
Quelle: BewegungPlus Online

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