Media Roundtable

Grenzen und neue Wege in der Flüchtlingshilfe

Die christliche Nothilforganisation Medair hatte vergangene Woche zu einem Media Roundtable geladen. Drei hochkarätige Referenten gingen in kurzen Referaten der Frage nach, warum die humanitäre Flüchtlingshilfe an ihre Grenzen stösst und wo und wie Verbesserungen umgesetzt werden können.Medair-CEO David Verboom kam tags zuvor von Projektbesuchen aus dem Libanon und Syrien zurück und war betroffen von der Situation vor Ort. Einmal mehr habe er erlebt, wie das Flüchtlingsleben wirklich alle Lebensbereiche der Menschen betreffe und neue Realitäten schaffe. So kommt es immer öfter zu Frühverheiratungen von Mädchen mit bereits 14 Jahren. Einerseits um die Familie mit dringend benötigtem Geld zu versorgen, aber auch, um die Mädchen selbst vor Missbrauch zu schützen, welcher ihnen in den grossen Flüchtlingscamps droht.

Ein sehr grosser Hilfsbedarf besteht auch bei behinderten, älteren und traumatisierten Flüchtlingen, deren spezifische Bedürfnisse bei der traditionellen Nothilfe oft aussen vor gelassen werden. Medair macht diese Personen bewusst zur Zielgruppe und lässt ihnen bestmögliche, massgeschneiderte Hilfe zukommen.

Um der stetig wachsenden Zahl von Vertriebenen begegnen zu können, setzt Medair auf Innovationen und Partnerschaften mit Universitäten und der Privatwirtschaft. Alle Errungenschaften sind bei Medair «open source», d.h. sie werden allen humanitären Organisationen zur Verfügung gestellt, denn der grosse Hilfsbedarf lässt schlicht kein Konkurrenzdenken zu.

Lokalisierung der Hilfe

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Amin Awad, Tony Burgener und David Verboom (v.l.)
Aus der Warte der Geldgeber referierte Tony Burgener, Direktor der Glückskette. Er legte die Gründe dar, warum ein Wandel in der Flüchtlingshilfe unvermeidbar ist. So hat sich einerseits die finanzielle  Situation vieler humanitärer NGOs verändert durch neue Verteilschlüssel von Bundesgeldern, der wegfallenden Unterstützung der EU und einer Verlagerung der Spenden hin zu Umweltaktivitäten.

Andererseits erfahren Hilfsorganisationen einen Push aus dem Süden: Viele Regierungen wehren sich gegen eine (zu hohe) Präsenz von internationalen humanitären Helfern in ihren Ländern. Sie wollen selbstbestimmende Akteure sein und keine Bittsteller, denen von Ausländern gesagt wird, was zu tun ist. In vielen Ländern gibt es mittlerweile professionelle lokale NGOs, die über ein kulturelles Verständnis sowie ein existierendes lokales Netzwerk verfügen. So gilt es, in Zukunft vermehrt auf Augenhöhe, gemeinsam mit lokalen Partnern, Projekte zu erarbeiten und die lokalen NGOs gezielt dort zu unterstützen, wo diese Hilfe benötigen oder auch durch die Vermittlung von Know-how.

Weiter strich Burgener heraus, dass neben den Flüchtlingen auch die Aufnahmeländer mehr Hilfe benötigen. Diese sind mit der Situation vielfach völlig überfordert (so ist z.B. im Libanon jeder vierte Bewohner ein syrischer Flüchtling) und es verwundert nicht, dass es oft und leicht zu Spannungen in bzw. mit der lokalen Bevölkerung kommt.

Die Internationale Gemeinschaft ist gefordert

Amin Awad, Leiter UNHCR für den Nahen Osten und Nordafrika, führte als erstes den grossen Hilfsbedarf der Vertriebenen aus. Die neuste Erhebung des UNHCR weist mit 70 Mio. die höchste je registrierte Zahl von Flüchtlingen aus. Innert zehn Jahren hat sich ihre Zahl verdoppelt – und jeden Tag kommen 45'000 weitere Flüchtlinge dazu. 40 Prozent von ihnen stammen aus dem Nahen Osten (Syrien, Irak, Jemen etc.). Sein Appell an die internationale Gemeinschaft lautete: Gute Regierungsführung in den Krisenländern zu stärken und damit gescheiterte Staaten zu verhindern sowie Konfliktprävention, damit Kriege gar nicht erst ausbrechen, denn die allermeisten Flüchtlinge fliehen vor gewaltsamen Konflikten. Dazu braucht es gemeinsame, ehrliche internationale Lösungen ohne versteckte politische Agenda. Damit könnten humanitäre Katastrophen wie im Jemen oder eine verlorene Generation wie diejenige der syrischen Kinder, die wegen des Krieges zum Teil acht Jahre lang die Schule nicht besuchen konnten, in Zukunft verhindert werden.

Ein weiteres grosses Problem sind die Machenschafften von internationalen kriminellen Netzwerken (Menschen-, Waffen- und Drogenhändlern sowie religiösen Fanatikern). Hier fliesst sehr viel Geld und die Netzwerke sind ausserordentlich mächtig, auch weil sie sich gegenseitig unterstützen.

Um dem Flüchtlingselend zu begegnen, setzt auch das UNHCR auf Innovationen. So werden vermehrt erneuerbare Energien eingesetzt, um den Energiebedarf in Flüchtlingslagern zu decken oder den Flüchtlingen in entwickelteren Ländern wie dem Nahen Osten werden nicht mehr physische Güter verteilt, sondern sie können via Iris-Scan monatlich Bargeld beziehen, mit dem sie dann diejenigen Güter kaufen können, die sie am dringendsten benötigen. Dies gibt ihnen Würde zurück und spart viel Kosten für Transport, Lagerhäuser, Personal etc. Awad Amin unterstrich zudem noch einmal die Wichtigkeit, neben den Flüchtlingen auch die Aufnahmeländer zu unterstützen. Denn die grösste Herausforderung für das UNHCR in der Unterstützung von Flüchtlingen besteht darin, Staaten zu bewegen, ihre Grenzen überhaupt zu öffnen und Flüchtlinge aufzunehmen.

Zum Thema:
Im Flüchtlingslager: Syrische Flüchtlinge entdecken Jesus
«Der Frieden dazwischen»: Ein Film über Flüchtlinge und ungewöhnliche Freundschaften
Rohingya-Krise: Ein Bericht aus dem grössten Flüchtlingslager der Welt

Datum: 01.07.2019
Autor: Iris Fontana
Quelle: Medair

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