Die
Zukunft von Kirche ist düster. Falls es überhaupt eine gibt. Sie wird bestimmt
von Mitgliederschwund, Überalterung und fehlendem Realitätsbezug … So weit das
Klischee. Doch stimmt das? Tatsächlich gibt es mehr Aufbruch als Untergang in
der Kirchenlandschaft. Und Projekte wie das der «Kirche am Start» in Offenbach machen
deutlich, dass Kirche durchaus Zukunft und Antworten für morgen hat.
Gottesdienst von «Kirche am Start»
Offenbach
am Main ist nicht unbedingt die Umgebung, wo man eine blühende und wachsende Kirche
erwartet. Die 125'000-Einwohner-Stadt hat den prozentual höchsten
Ausländeranteil in Deutschland. Knapp 40 Prozent. Hier leben Menschen aus 156
Nationen. Und mittendrin existiert eine Kirche, die noch keine zwei Jahre alt
ist und die genau dieses multikulturelle Umfeld abbildet.
Gottesdienst: gelebte
Willkommenskultur
Alle
14 Tage veranstaltet «Kirche am Start» ihren Gottesdienst im Mehrzwecksaal
eines Gründerzentrums. Mitten in der Stadt, wo sonst Startups und
Selbstständige ihre Büros haben, kommen dann um die 70 Erwachsene und ein
Dutzend Kinder zusammen. Es ist gar nicht so einfach zu beschreiben, was hier
anders ist als bei vielen anderen Kirchen und Gemeinden: es gibt Lobpreis, eine
Predigt und nach dem Gottesdienst gehen praktisch alle noch an das Büfett.
Wahrscheinlich ist es diese Atmosphäre, die jedem Besucher zu sagen scheint: Du
bist hier willkommen! «An dieser Willkommenskultur haben wir hart gearbeitet»,
bestätigt Lionel Bendobal, einer der Pastoren. «Respekt und Wertschätzung
bedeuten für uns, unsere Überzeugungen mit anderen in einer Atmosphäre des
konstruktiven Dialogs zu teilen. Wir nehmen Zweifel, Kritik und Gegenmeinungen
zu unserem Glauben ernst, lösen sie im Gespräch auf, lernen daraus oder lassen
sie einfach stehen.»
Tatsächlich sind in den Gottesdiensten Alte und Junge, vor
allem junge Familien, es kommen Christen und solche, die noch auf der Suche
sind, und es sind fast alle Hautfarben vertreten. «Versöhnung erleben –
Offenbach lieben» ist hier mehr als ein Slogan. Es funktioniert tatsächlich,
dass ein Arbeitsloser und eine Unternehmerin, eine Polizistin und ein
Geflohener sich miteinander von Gott beschenken lassen. Dieser Gottesdienst
findet alle 14 Tage statt – und das soll auch nicht mehr werden. Warum?
Chor: genutzte Chancen
Der
grössere Teil des Gemeindelebens findet ausserhalb des Gottesdienstes statt.
«Kirche am Start» geht eher zu den Leuten. So wie beim Chorprojekt. Marie,
ebenfalls Pastorin, sah auf dem Weihnachtsmarkt die vielen Leute, alles Nachbarn aus der
Gemeindeumgebung, und die grosse Bühne mit der tontechnischen Vollausstattung.
«Da müsste man was machen…», war ihr gleich klar. Aber was? «Wie wäre es mit
einem Chor? Aber es muss einer sein, der typisch ist für 'Kirche am Start',
also einer, bei dem jeder mitmachen kann.» Sie sprach darüber Musikern,
Interessenten und Nachbarn – und der Chor war geboren. Sie singen christliche und
allgemein bekannte Lieder, haben Spass und begegnen
nebenbei Jesus Christus. Eine Sängerin erklärte: «Beim Singen bekomme ich ein
Gespür fürs Unendliche …» Genau!
Sprachkurse: Hilfe, die
ankommt
Multikulti
in der Gemeinde und darüber hinaus ist nur machbar, wenn man sich versteht.
Hier setzen weitere Angebote der Christen in Offenbach an: MainAnker nennen sie
sich. Und sie bieten neben dem Chorprojekt eine offene Jugendarbeit und
Sprachkurse an. Anika engagiert sich dort. Sie wollte aber nicht das Rad neu
erfinden und den 137. Deutschkurs der Stadt anbieten. Doch sie kommt in Kontakt
mit Müttern, die sich wegen ihrer Kinder oder schlechter Erfahrungen in keinen
etablierten Sprachkurs trauen. Mit ihnen startet sie und sagt heute: «Genau das war
der Start für unseren eigenen Sprachkurs, den wir eigentlich nie anbieten
wollten.»
Ein Sprachkurs ist keine Gemeindeveranstaltung. Doch
die Kurse finden in den Räumlichkeiten einer Partnergemeinde statt. Dies und
die persönlichen Bekannten, die man dort treffen kann, wirken auf jeden Fall
einladend. Und – hier schliesst sich der Kreis zum Gottesdienst – natürlich
können die Teilnehmerinnen ein internationales Büfett im Rahmen des
Gottesdienstes von «Kirche am Start» anbieten. All dies sind gute Möglichkeiten,
Freundschaften zu vertiefen, Respekt voreinander zu leben und zum Glauben
einzuladen.
Frucht: Menschen finden Leben
Britta
und Andi besuchen «Kirche am Start schon eine Weile. Das junge Ehepaar nennt
als einen Grund dafür: «Wir kommen gerne zu KAS, denn wir möchten dabei sein,
wenn Gott die Stadt Offenbach zum Positiven verändert.» Ansatzweise geschieht
das bereits. Menschen schöpfen Hoffnung, wissen sich geliebt und angenommen.
Und etliche kamen bereits zum Glauben, wollten nicht nur die Gottesdienste
besuchen, sondern ganz zu diesem Jesus gehören. Lionel träumt davon, «dass Menschen, die Gottes Liebe
und Kraft erlebt haben, viel aktiver gegen die Ungerechtigkeiten unserer Welt
handeln und sich für Frieden und Versöhnung in den Konflikten unserer Zeit
einsetzen». Auch dafür steht «Kirche am Start». Und er ergänzt: «Ich wünsche
mir, dass Gottes Liebe jeden Ort und jeden Menschen in unserer Stadt und Region
erreicht. Weil Offenbach es wert ist…»