Kommentar

Missbrauchsfälle ohne Ende

Die täglich neuen Enthüllungen über sexuellem Missbrauch in Schulen, Heimen und Organisationen reissen nicht ab. Erst vereinzelt, dann dutzendweise, jetzt hundertfach kommen die Verfehlungen ans Tageslicht. Rücktritte, Amtsenthebungen und Entschuldigungen, die kaum ernst genommen werden, begleiten diesen Prozess.

Wie sagte ein Missbrauchsopfer in einer Diskussion am Fernsehen: "Die katholische Kirche wird jetzt ernten, was sie gesät hat." Immer neue Details über die Fälle erschüttern die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche. Man wird das auch an den Austritten aus der Kirche in den nächsten Monaten feststellen können. Die Zahl der Kirchenaustritte in einigen Regionen steigt offenbar schon jetzt an. Ein eindeutiger Trend lässt sich allerdings anhand der aktuellen Zahlen noch nicht belegen.

Inzwischen ergibt die Vielfalt der pädagogischen Institutionen, in denen Missbrauch geschehen ist, ein differenziertes Bild. Was ist all diesen Institutionen gemeinsam? Offenkundig dies: Sie alle, Internate, Schulen und manche Kinderheime, haben eine stark hierarchische Struktur. In allen gibt es ein ausgeprägtes Abhängigkeitsverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern. Unbestritten ziehen solche Systeme potentielle Täter an.

Im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch steht auch der Zölibat   im Kreuzfeuer der Kritik. Man weiss doch, dass diese Verpflichtung nur unter enormen Konflikten eingehalten werden kann. "Der Zölibat lockt Pädophile in den Dienst der katholischen Kirche", behauptet beispielsweise der Sexualmediziner Professor Klaus Beier von der Charité in Berlin.

Die katholische Kirche sollte schnell herausfinden, warum es so viele Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern in ihren Reihen gibt. Es muss Gründe geben. Ein Vergleich: Die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland haben etwa gleich viele Mitglieder. Wie oft hört man von derartigen Vorfällen bei den Evangelischen?

Gut versichert ist halb missbraucht. Das US-Online-Magazin Slate berichtete: Sowohl die katholische als auch die protestantischen Kirchen in den USA versichern sich gegen sexuelle Übergriffe ihrer Priester und Angestellten. Eine Versicherung gegen Sex mit Kindern. Eine Gemeinde mit einem Priester zahlt etwa 100 Dollar Jahresprämie. Betreibt die Gemeinde auch einen Kindergarten, dann steigt die Prämie auf rund 6000 US-Dollar. Das heisst doch, man rechnet damit, dass der Missbrauch weitergeht.

Mit grosser Betroffenheit habe Papst Benedikt XVI. auf die Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen in Deutschland reagiert. Das Kirchenoberhaupt unterstütze uneingeschränkt die Massnahmen der deutschen Bischöfe zur Aufklärung und zur Prävention künftiger Missbrauchsvorfälle, sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, nach einem Treffen mit dem Papst in Rom. Der Freiburger Erzbischof hatte Benedikt über Strategien im Umgang mit dem Missbrauchsskandal unterrichtet.

Ein weitere Skandal ist der: Als Kardinal und Präfekt der römischen Glaubenskongregation hat der heutige Papst Joseph Ratzinger als rechte Hand von Karol Wojtyła im Jahr 2001 jedoch weltweit alle Bischöfe zur absoluten Geheimhaltung in Sachen Pädophilie verpflichtet. 2003 berichtete der "Observer" von einem vertraulichen Dokument, das vierzig Jahre zuvor von Papst Johannes XXIII an alle katholischen Bischöfe weltweit gesandt wurde. Joseph Ratzinger hatte 2001 in einem Rundschreiben ausdrücklich die Anweisungen des päpstlichen Dokuments von 1962 bestätigt.

Oberstes Ziel war, möglichen Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und zwar in der Weise, dass sie Schweigegeld erhalten. Für den Fall, dass die Opfer des Missbrauchs sich an kirchliche Stellen wenden, sollten sie einen Eid schwören, dass sie Stillschweigen bewahren und das Geld annehmen.

Die deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erhob auch Vorwürfe in diese Richtung: "Ich erwarte von der katholischen Kirche konkrete Festlegungen, welche Massnahmen für eine lückenlose Aufklärung ergriffen werden." Die Ministerin warf der Kirche vor, nicht mit den staatlichen Behörden zusammenzuarbeiten.

Wenn alles möglichst lange totgeschwiegen wird, bis es verjährt, dann kann man auch keinen verurteilen. Diese Kultur des Vertuschens muss ein Ende haben - das ist man den Kindern schuldig.

Datum: 13.03.2010
Autor: Bruno Graber
Quelle: Livenet.ch

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