Interview

«Max Schläpfer, braucht der VFG einen Papst?»

Die Bischofskonferenz wird zitiert. Der Evangelische Kirchenbund wird von den Medien befragt. Vom Verband evangelischer Freikirchen und Gemeinden (VFG) ist kaum die Rede. Warum wohl? Fragen an VFG-Präsident Max Schläpfer.

idea: Braucht der Freikirchen-Verband einen Papst?
Max Schläpfer: Gewiss nicht! Der VFG ist ein Verband von unabhängigen Freikirchen und keine weltumspannende, organisierte Kirche. Er braucht starke Leiter und apostolisch begabte Persönlichkeiten, aber sicher keinen Papst!

Der VFG käme mit einem Papst in den Medien vermehrt vor.
Vielleicht schon – wir hätten dann einfach einen personifizierten VFG...

19 von 20 Journalisten können mit dem Kürzel VFG nichts anfangen. Was läuft falsch?
Die Positionierung des VFG in der Öffentlichkeit wurde bisher nicht als Schwerpunkt behandelt. Doch in den kommenden Jahren wollen wir dies als ein formuliertes Ziel konkret angehen.

Warum die Zurückhaltung bisher?
Das liegt auch daran, dass sich der VFG öffentlich nur dann geäussert hat, wenn es um Themen ging, die biblische Grundwerte betrafen. Vergessen wir aber nicht, dass in diesem Bereich auch Fortschritte festzustellen sind. Heute wird nicht einfach nur von Kirchen und Sekten gesprochen. Man hat erkannt, dass es die Freikirchen gibt. Trotzdem – wir müssen punkto Öffentlichkeitsarbeit unsere Hausaufgaben machen. Das Informationsbedürfnis ist anders als vor 20 Jahren. Die Gesellschaft ist heute sehr auf die Medien fixiert.

Künftig also mit Kommunikationsabteilung?
Dazu fehlen uns die finanziellen Mittel. Im Mandatsverhältnis arbeiten wir jetzt mit dem Journalisten Fritz Imhof zusammen. Noch haben wir kein ausgereiftes Informationskonzept. Immerhin sind wir daran, unsere Webseite an die neuen Gegebenheiten anzupassen (www.freikirchen.ch). Ausserdem haben wir dem VFG ein zeitgemässeres Logo verpasst.

Auch einzelne Freikirchen kommen in den Medien kaum vor. Eine neue Demut?
Freikirchen sehen ihren Auftrag oft mehr beim einzelnen Menschen, beim Bau der Gemeinde und bei der Evangelisation. Freikirchen leisten ihren Beitrag an die Gesellschaft dadurch, dass Menschen positiv verändert werden. Durch die Kraft des Evangeliums entwickeln sie einen neuen Lebensstil, der von hohen moralischen Massstäben, Verantwortungsbewusstsein und dem Dienst am Nächsten geprägt ist.

Also könnten traditionelle Freikirchen punkto Öffentlichkeitsarbeit von einem ICF oder einem Pfarrer Sieber einiges lernen...
Die Frage ist, ob sie das wollen. Die Meinungen gehen hier weit auseinander. Wollen sich Freikirchen so deutlich in der Öffentlichkeit positionieren? Ich kenne erfahrene Pastoren, die sagen: «Solange die Medien keine Notiz nehmen von uns, können wir in Ruhe arbeiten.»

Tatsache ist, dass noch immer viele Medien und Bürger die Freikirchen als Sekten sehen.
Wir sollten uns klar werden, wie eine Sekte definiert wird. Im Gegensatz zu früher steht Sekte heute nicht nur für religiöse Gruppierung, sondern wird für jede vereinnahmende Gruppierung verwendet. Darum ist es wichtig, dass wir für einen klaren Begriff von «Freikirche» kämpfen.

Welches wäre der korrekte Begriff von «Freikirche»?
Eine kirchliche Gemeinschaft, deren Mitglieder aus freier Entscheidung beitreten, auf der Basis des Evangeliums von Jesus Christus leben und dienen, und dies frei von staatlichen Abhängigkeiten. Freikirchen sind trotzdem keine isolierten Glaubensgemeinschaften, sondern sehen ihren Auftrag auch in der Gesellschaft.

Welchen Auftrag sieht der VFG?
Wir bieten Verbandsleitern von Freikirchen eine Plattform zum Austausch, zur Gemeinschaft und auch zur Diskussion von theologischen Fragen. Wir wollen durch Lobbyarbeit die Freikirchen bekannt machen. Wir wollen die christlichen Werte in der Gesellschaft fördern.

Und die Evangelisation?
Sie ist sozusagen integriert, denn sie ist ein zentrales Thema jeder Freikirche. An einer Retraite vor zwei Jahren haben wir uns verpflichtet, dass Evangelisation Chefsache ist. Das heisst, wir wollen als VFG dafür sorgen, dass Evangelisation in den einzelnen Gemeindeverbänden durch ihre verantwortlichen Leiter gefördert wird. Wenn in dieser Beziehung nichts läuft, haben die Gemeinden keine Zukunft.

14 Freikirchen unter einem Dach: Der gemeinsame Nenner?
Der gemeinsame theologische Nenner zeigt sich in grundlegenden Fragen wie im Schriftverständnis, im Bekehrungsverständnis und im Gemeindeverständnis. Dann verbindet uns die Tatsache, dass wir als gesamtschweizerischer Verband Dinge anpacken können, die einzelne Verbände wegen den begrenzten Ressourcen nicht tun könnten. Ich denke an Vernehmlassungen zu Gesetzen, aber auch an einen Event wie den «Christustag».

Wo sind die Unterschiede?
Die gibt es in den grundsätzlichen theologischen Fragen beim Taufverständnis. Dann sind die Mitgliedsverbände organisatorisch natürlich unterschiedlich strukturiert.

Sie haben ein Diskussionspapier «Suchet das Wohl des Landes» entworfen. Gibt der VFG künftig Parolen heraus?
Das ist dort denkbar, wo wir von unserem biblischen Auftrag her substanziell etwas einbringen können. Ich denke an politische Fragen in den Bereichen Familie, Ehe, Jugend, soziale Gerechtigkeit oder auch Arbeitswelt.

Warum haben die Freikirchen beim Partnerschaftsgesetz nicht klarer Stellung bezogen?
Der VFG hat keine Möglichkeit, direkt auf Gemeinden einzuwirken. Er kann an die Verbandsleiter nur Empfehlungen abgeben. Unter den Verbänden gibt es eben unterschiedliche Verständnisse über die politische Einflussnahme. So war beim Partnerschaftsgesetz unter den Gemeinden einerseits relative Gleichgültigkeit, anderseits aber auch grosses Engagement festzustellen.

Wird der VFG wie jüngst ein katholischer Würdenträger einzelne Parteien als nicht wählbar beurteilen?
Das ist undenkbar. Wir sind uns einig, dass der VFG keine parteipolitischen Stellungnahmen abgeben soll. Die Politiker, mit denen wir Kontakte pflegen, kommen glücklicherweise aus den verschiedensten Parteien.

Immer wieder zu reden gibt die Steuerbefreiung für Spenden an freikirchliche Werke.
Mit dem Kanton Bern hatten wir eine Lösung mit einer Abzugsfähigkeit von 50 Prozent für Spenden an VFG-Gemeinden gefunden. Da andere Kantone diese Lösung nicht übernehmen, wird sie auch in Bern leider wieder wegfallen. Hier werden wir vom Staat missverstanden. In unseren Augen würdigt er den Beitrag der Freikirchen an die Gesellschaft zu wenig. Jetzt wägen wir andere Möglichkeiten ab wie die öffentlich-rechtliche Anerkennung von Freikirchen.

Wo grenzen sich VFG und Evangelische Allianz ab?
Die Allianz sieht sich als Verbindung zwischen den christlichen Werken, den evangelikalen Kräften in der Landeskirche und den Freikirchen, während der VFG die organisierten Freikirchen als Lobby vertritt. Wer die Meinung der Freikirchen hören will, muss sich an den VFG wenden.

Wie spielt der Kontakt mit dem Evangelischen Kirchenbund?
Wir haben die Treffen mit dem SEK institutionalisiert. Zusammen mit der Evangelischen Allianz treffen wir uns zwei Mal jährlich. Natürlich gibt es substanzielle Unterschiede, die gar nicht verwischt werden müssen. Aber es gibt auch eine konkrete Zusammenarbeit, wie etwa beim «Christustag».

Wann gibt es die nächste gemeinsame Evangelisation...?
So schnell wird es nicht dazu kommen! Zwischen den beiden Organisationen gibt es stark unterschiedliche Auffassungen über Evangelisation.

Gibt es Kontakte zur katholischen Bischofskonferenz?
Nein, dies ist auch nicht ratsam. Selbst wenn in der Wertefrage oft ähnliche Positionen vertreten werden, liegt das grundlegende theologische Verständnis zu weit auseinander.

Ihr «Hirtenwort» an die örtlichen Gemeinden?
Lebt und wirkt glaubwürdig auf der Ebene des Evangeliums von Jesus Christus! Dann werdet ihr auch öffentlich wahrgenommen.

***

SEK zu Freikirchen: „Gleiche Familie“

Simon Weber, Leiter Kommunikation des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK): «Die regelmässigen Treffen mit Vertretern des VFG sind aus Sicht des Evangelischen Kirchenbundes wichtig und ergiebig. Sie finden auch im Vergleich mit anderen Gremien auf einem guten Niveau statt. In ökumenischem Geist ist es wichtig, aufeinander zuzugehen, gerade weil es in der Landeskirche und den Freikirchen auch viele Doppelmitglieder gibt. Wir gehören als Christen ja zur gleichen Familie. Wir diskutieren über grundsätzliche Fragen der Zusammenarbeit und der Kirche, aber auch über konkrete Projekte wie den „Christustag“.»

150’000 Besucher

Dem Verband der Freikirchen und Gemeinden (VFG) sind nach eigenen Angaben 14 Freikirchen mit 600 örtlichen Gemeinden und 57’000 Mitgliedern angeschlossen. Ihre Gottesdienste werden von durchschnittlich 150’000 Personen besucht.

Die Mitgliederzahlen der Freikirchen

Bund der Baptistengemeinden: 1300 (Repräsentant in der VFG-Leiterkonferenz: Peter Deutsch)
Bund Evangelischer Gemeinden: 1100 (Heinz Strupler)
Bewegung plus: 4700 (Toni Nyffenegger)
Chrischona-Gemeinden Schweiz: 6950 (René Winkler)
Evangelisches Gemeinschaftswerk: 4280 (Daniel Sutter)
Evangelisch-Methodistische Kirche: 7085 (Heinrich Bolleter)
Bund der Evangelischen Täufergemeinden: 2000 (Peter Marti)
Freie Charismatische Gemeinden: 1400 (Daniel Moser)
Freie Evangelische Gemeinden: 7000 (Claudius Zuber)
Heilsarmee: 3900 (Ines Adler)
Mennoniten: 2430 (Madeleine Bähler)
Schweizerische Pfingstmission: 9200 (Max Schläpfer)
Vereinigung Freier Missionsgemeinden: 4000 (Paul Beyeler)
Vineyard Schweiz: 2350 (Wilfried Gasser).

Eingangsseite zu den Deutschschweizer Freikirchen
www.freikirchen.ch

Datum: 12.07.2005
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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