Bischof Koch zur Ökumene

Deutliche Worte über den Graben

In einem neunseitigen offenen Brief an die Schweizer Reformierten hat Bischof Kurt Koch auf den protestantischen Ärger über die jüngste Vatikan-Erklärung reagiert und gleich auch offengelegt, was die Katholiken in der grosskirchlichen Ökumene irritiert.

Der auf der Internetseite der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) veröffentlichte Brief ist an den Präsidenten des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), Thomas Wipf, adressiert. Anlass ist die "offensichtlich schwierig gewordene ökumenische Situation“ in der Schweiz nach der Publikation des Dokuments der vatikanischen Glaubenskongregation zum Kirchenverständnis . Das partnerschaftliche Du des Schreibens kann nicht über den tieferen Graben hinwegtäuschen.

Kurt Koch, derzeit Präsident der SBK, schreibt, durch die verschiedenen öffentlichen Äusserungen reformierter Kirchenvertreter sei in der Schweiz der Eindruck entstanden, die Ökumene liefe gut, „wenn nur nicht die katholische Kirche stören würde“. Dieser Eindruck ist nach Koch ungerecht und falsch, und er kontert mit einer Aufzählung ökumenischer Irritationen und Verletzungen, die reformierte Stellungnahmen in den letzten Jahren auf der römisch-katholischen Seite verursacht haben.

„Kirchen eines anderen Typs“

In der Sichtweise von Bischof Koch war es nicht die Absicht des Vatikan-Schreibens, „die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften herabzusetzen oder zu diskriminieren“. Schon gar nicht habe man Katholiken als bessere Christen hinstellen wollen. Die Hauptaussage des Textes sei vielmehr eine Selbstverständlichkeit für jeden ökumenisch Informierten, nämlich dass die reformatorischen Kirchen keine Kirchen seien in dem Sinn, wie die katholische Kirche „sich selbst versteht und von ihren Glaubensgrundlagen her verstehen muss“.

Darum sei es angemessener (Koch verweist auf den evangelischen Theologen Edmund Schlink), von "Kirchen in einem analogen Sinne" zu sprechen. Koch unterscheidet von der Dimension gelebten Glaubens die „institutionelle, genauerhin sakramentale Dimension von Kirche“, die nach den unaufgebbaren Wesenselementen der Kirche frage. Hier bestünden zwischen der katholischen und den reformatorischen Kirchen „grundlegende Differenzen, über die wie miteinander ins Gespräch kommen sollten“. Die "Ökumene der Basis" dürfe nicht gegen jene der Kirchenleitung ausgespielt werden.

Was Koch und katholischen Amtsträgern zu schaffen macht

Die Verletzungen, welche auf protestantischer Seite entstanden seien, weil man die katholischen Gegebenheiten nicht berücksichtigt habe, bedauert der Bischof von Basel. Andererseits fordert er im Schreiben an Wipf auch Verständnis für katholische Sensibilitäten und lässt eine lange Liste von Vorkommissen folgen, welche Katholiken in den letzten Jahren irritiert haben. Dass ihre Leiter dazu in der Regel geschwiegen hätten, sei im Nachhinein als Fehler zu sehen. Denn dadurch habe man den in der Öffentlichkeit verbreiteten Eindruck bestätigt, dass die reformatorischen Kirchen die Protagonisten der Ökumene, die Katholiken hingegen deren Hindernis seien.

Im einzelnen erwähnt Koch, dass
- die Reformierten ihr Kirchenverständis oft undifferenziert auf Kosten des katholischen profilieren (Kirche von unten, demokratisch, ohne Bischof)
- die Reformierten einer ‚Ökumene der Profile’ das Wort reden, aber der katholischen Seite eine Profilierung ihres Kirchenverständnisses vorwerfen
- der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber behauptete, in der evangelische Kirche gehe es um Jesus Christus, in der katholischen um seinen Stellvertreter
- die Anregung von Gottfried Locher, über ein (bischöfliches) geistliches Leitungsamt in der reformierten Kirche nachzudenken, mit „vielen unerfreulichen und teilweise gehässigen Seitenhieben gegen die katholische Kirche und ihre bischöfliche Struktur“ abgeschmettert wurde
- das Berner reformierte Monatsblatt ‚saemann’ Kochs Wahl zum SBK-Präsidenten mit einer niveaulosen „Persiflage über die apostolischen Sukzession“ kommentierte
- der Zürcher reformierte Kirchenbote die vermeintlichen Kandidaten für den Churer Bischofsstuhl auf ihre Ökumenefreundlichkeit (= Bereitschaft, Reformiertes zu übernehmen) meinte testen zu müssen
- die freundschaftlichen Beziehungen von Gottfried Locher (europäischer Vizepräsident des Reformierten Weltbundes) zum Einsiedler Abt und zu ihm selbst Locher in den Augen massgeblicher Reformierter als Berner Synodalratspräsident ungeeignet machten
- die EKD die römische und die evangelische Vorstellung von Kircheneinheit bzw. –gemeinschaft schroff als nicht kompatibel hinstellte und über Papstprimat, das Nein zu Priesterinnen und den Rang des Kirchenrechts kein ökumenisches Gespräch als möglich ansah
- die deutschen Lutheraner (Kirchenbund VELKD) das katholische Kirchen- und Amtsverständnis als nicht „das eigentliche“ abqualifizierten
- dass die Schweizer Kirchen die unter dem Dach des Genfer Weltkirchenrats erarbeitete Konvergenzerklärung zu Taufe, Eucharistie und Amt von 1982 ablehnten
- dass in Schweizer Medien regelmässig Entrüstung verbreitet wird, wenn Katholiken die Ökumene belasten, und Schweigen herrscht, wenn Reformierte Ärger provozieren.

Offensichtlich verletzt ist Koch über die Disqualifikation Lochers aufgrund seiner persönlichen Kontakte – als würde „Freundschaft mit Amtsträgern der katholischen Kirche als eine übertragbare Krankheit beurteilt, vor der man sich schützen muss“. Niemand auf reformierter Seite habe sich von einem solchen unökumenischen Affront distanziert.

Wie der Anspruch der Protestanten wirkt

Mehrfach unterstellt Koch, dass die reformatorischen Kirchen den eigenen konfessionellen Standpunkt genauso verabsolutieren, wie sie dies Rom vorwerfen: „Auf Eurer Seite ist die Aussage der Glaubenskongregation, die katholische Kirche verstehe sich als Kirche Jesu Christi, als geistliche Anmassung gebrandmarkt worden. Aber wird denn nicht auch auf Eurer Seite seit der Reformation bis heute in Anspruch genommen, sie und in der Folge die aus ihr hervorgegangenen Kirchen hätten die Kirche Jesu Christi wieder hergestellt? Warum nur ist das eine geistliche Arroganz und das andere christliche Demut?“ Und weiter unten: „Wenn Ihr es von euch weist, als Reformierte nach Rom ‚heimzukehren’, könnt Ihr auch nicht von uns erwarten, dass wir als Katholiken nach Zürich, Genf oder Wittenberg ‚umkehren’ sollen.“

Grundfragen: Reformierte nahmen Dialog nicht auf

Seinem reformierten Gegenüber Wipf widerspricht Koch vor allem in der Bewertung des Römer Dokuments. Dieses habe nicht „wesentliche Erfolge von vierzig Jahren Ökumene in Gefahr“ gebracht, wie Wipf schrieb. Die Katholiken hätten die Reformierten „immer wieder eingeladen und gebeten, einen Dialog mit uns darüber aufzunehmen, was für die jeweilie Seite hinsichtlich des Kirchenverständnisses unabdingbar ist. Mit grossem Bedauern muss ich feststellen, dass diese Einladung kaum wirklich angenommen und dass diese Frage zwischen uns nie ernsthaft angegangen worden ist.“

Kurz: "Man kann etwas, das eigentlich nie wirklich stattgefunden hat, nämlich ein aufrichtiges Gespräch über das theologische Verständnis von Kirche, auch gar nicht rückgängig machen", so der Basler Bischof. Die Klarstellungen des Vatikan-Schreibens (welches ausserhalb des deutschen Sprachraums viel differenzierter gewürdigt worden sei) wollten gerade dem Fortschritt des Dialogs dienen und nicht ihn verunmöglichen.

„Politically incorrect“

Koch ist sich bewusst, dass sein Schreiben nicht Gepflogenheiten unter Kirchenleitern entspricht. Er hofft auf die reinigende Wirkung des „ökumenischen Gewitters in diesem Sommer“ und ruft Wipf und die Schweizer Reformierten dazu auf, „nicht bei den negativen Empfindungen und Verletzungen stehen zu bleiben, sondern den ökumenischen Dialog mit uns weiterzuführen und mutig jene Fragen anzugehen, die uns noch trennen“. Denn viel grösser als das Trennende sei das, „was uns bereits verbindet“. Der Weg der Ökumene, den die katholische Seite im Zweiten Vatikanischen Konzil beschritten habe, sei irreversibel – ein Zurück gebe es nicht.

***

Kommentar: Ein Bischof zeigt Nerven

Der Umfang des Schreibens und sein Ton verbieten es: Man wird dem Bischof von Basel nicht absprechen dürfen, dass er sich um Ökumene müht. Dies auch im Wissen, dass verletzende Worte die grossen Kirchen weiter schwächen und die Glaubwürdigkeit des Christentums zu einer Zeit mindern, da in der Gesellschaft vermehrt Atheisten Keulen schwingen.

Dass Kurt Koch nun kontert, indem er auf seiner Seite erlittene Frustrationen öffentlich macht, erstaunt. Der Bischof, der für die Katholiken vom Rheinknie bis ins Berner Oberland Verantwortung trägt, zeigt Nerven. Ökumenewillige Protestanten tun gleichwohl gut daran, die lange Liste zur Kenntnis zu nehmen. Sie dürfen sich auch ohne Scham der Frage nach der Oberflächlichkeit reformierten Profilierungsstrebens stellen.

Die von Koch angesprochene grundlegende Differenz ist in der Tat gegeben mit der im jüngsten Vatikan-Dokument bekräftigtigen Selbstdefinition der katholischen Kirche. Danach verwirklicht sich (subsistiert) die von Christus gestiftete eine Kirche allein in der römisch-katholischen. Alle protestantischen Kirchen – Landes- und Freikirchen – sind für Rom bloss „kirchliche Gemeinschaften“ mit „Elementen der Heiligung und der Wahrheit“, nicht Kirche. Der Ausdruck „Kirchen eines anderen Typs“ spiegelt etwas vor, was der Vatikan den Protestanten eigentlich nicht zugesteht.

Andererseits ist hier festzuhalten, dass die Reformatoren im 16. Jahrhundert nicht eigene Kirchen gründen, sondern die eine allgemeine Kirche erneuern wollten – was ihnen von Rom von Beginn weg mit allen Mitteln verwehrt wurde. So haben sich konfessionelle Identitäten in Abgrenzung voneinander verfestigt, und Rom hat diesem Prozess mit Papst- und Mariendogmen bis in die neuste Zeit Nahrung gegeben.

Zudem nimmt die römisch-katholische Weltkirche ihre Tradition so ernst, dass sie darin gefangen bleibt. Die vom Vatikan behauptete ununterbrochene Kette von Bischöfen von Rom seit Petrus, die so genannte apostolische Sukzession, ist keine heilige, wie ein flüchtiger Blick in die Kirchengeschichte zeigt. Die fortwährende Sakramentsverwaltung durch geweihte Amtsträger kann die Gegenwart von Christus im Heiligen Geist nicht garantieren. Diese Gegenwart des Auferstandenen ist entscheidend, was hundert Jahre nach dem Aufbruch der Pfingstbewegung auch der Vatikan zur Kenntnis nehmen sollte.

Der Brief von Bischof Kurt Koch im Wortlaut

Datum: 09.08.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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