Quellenhof-Stiftung Winterthur

Marcel Mettler: «Bereit für den nächsten Schritt»

Seit 25 Jahren sieht sich die Quellenhof-Stiftung als «Mosaikstück der diakonischen Kirchengeschichte in der Region Winterthur». Idea sprach mit Gesamtleiter Marcel Mettler über Vision und Anfang, Veränderungsprozesse und die Zukunft.

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Marcel Mettler
Marcel Mettler, im letzten Jahr hatte die Quellenhof-Stiftung einen Jahresumsatz von 11,8 Millionen Franken und ist hervorragend ausgelastet. Demnächst wird Jubiläum gefeiert. Drehen wir 25 Jahre zurück in die 1990er-Jahre. Wie hat alles begonnen?
Unser Sozialwerk entstand aus der Kirche, der GvC Chile Hegi, heraus. Wir machten Gassenarbeit, hatten eine Jugendgruppe. Die Menschen kamen. Sie fanden zum Glauben an Jesus und viele benötigten Lebenshilfe. Es genügte nicht, ihnen einfach eine Bibel in die Hand zu drücken und das wars dann. Wir stiessen an unsere Grenzen. Suchttherapiestationen hatten damals monatelange Wartelisten. Viele dieser Suchtkranken und psychisch beeinträchtigten Menschen landeten wieder auf der Gasse. In dieser Zeit schenkte Gott Johannes Wirth die Vision der Quellenhof-Stiftung, also die Idee, dass Menschen in Wohngruppen generationenübergreifend leben und einander unterstützend gemeinsam unterwegs sind. Nach vielen Gesprächen und langem Ringen wurde 1990 die Quellenhof-Stiftung gegründet. An unserem damaligen Wohnort in Gundetswil wurde ein Jahr darauf das Therapiehaus «Quellenhof» gebaut, auf Land, das mein Vater im Baurecht zur Verfügung stellte. Wir lebten als Familie mittendrin. Das war der Start. Unsere Aufgabe war es, den Bewohnern bei der Wiedereingliederung in die Arbeitswelt zu helfen. Wir erkannten rasch, dass dies nicht immer möglich war. Schon nach kurzer Zeit passten wir unser Konzept den Bedürfnissen an und richteten stationäre und nicht-stationäre Plätze ein. Von da an wuchs die Arbeit.

Übrigens: Die GvC hatte damals noch kein eigenes Kirchengebäude. Das erste Gebäude der GvC-Bewegung war ein Haus für Randständige. Ich bin noch heute innerlich bewegt, wenn ich darüber nachdenke.

Kirche und Diakonie sind zwischen GvC und Quellenhof eng verflochten. Wie ist das strukturiert?
Die Verbindung wird über die Besetzung der Trägerschaft gewährleistet, sowohl im Stiftungsrat wie im Kirchenrat. Die Zusammenarbeit erfolgt auf praktischer Ebene. Die Stiftung macht für die Kirche den ganzen Hauswartsdienst, betreibt das Kongresszentrum und als Pächter das Restaurant Kafi Müli. Diese Aufträge ermöglichen es uns, geschützte Arbeitsplätze und Lehrstellen anzubieten.

Im letzten Jahresbericht schreiben Sie, man blicke zurück auf 25 umkämpfte, aber auch gesegnete Jahre. Was war umkämpft, was gesegnet?
Unter «umkämpft» zähle ich zum Beispiel die Todesfälle. Schon ziemlich am Anfang starb ein Bewohner wegen einer Überdosis in der Badewanne. Einmal starb innerhalb von drei Wochen ein Ehepaar. Wir hatten mit ihnen gehofft, geglaubt, gekämpft… Man muss sich das mal vorstellen: Johannes Wirth hielt beide Abdankungen, zweimal zu denselben Angehörigen.

Kam nie der Gedanke ans Aufhören?
Alleine wäre die Versuchung gross gewesen aufzugeben. Aber wir standen zusammen und entschieden,gemeinsam, weiterzumachen. Dieser Wille, im Vertrauen auf Gott nie aufzugeben, wurde zu unserer Stärke. Die schweren Erlebnisse waren Wendepunkte. Unter «umkämpft» verstehe ich auch Rückfälle; Menschen, in die wir viel investierten und die ihre Lehre im vierten Jahr dann doch wieder abbrachen. Aber wir halten daran fest, dass es für Gott keine hoffnungslosen Fälle gibt. Dafür gilt es zu kämpfen.

Aber es gibt sicher auch erfreuliche Erlebnisse?
Ja, die gibt es Gott sei Dank! Es begeistert, konkret erleben zu dürfen, wie Gott die Biografien von Menschen umschreibt. Einige dieser Lebensberichte haben wir zum Jubiläum in einem Taschenbuch zusammengefasst. Zum Beispiel von Aireen, einer jungen Frau aus einem philippinischen Slum. Ihr Leben war der reinste Horror. Jetzt ist sie verheiratet, sie haben ein Kind und es geht ihr gut. Als ich ihren Bericht las, musste ich weinen vor Dankbarkeit und Freude. Es ist ein Privileg, Teil dieser Arbeit zu sein.

Wer waren die Quellenhof-Bewohner vor 25 Jahren, wer sind sie heute?
Damals waren die Menschen in der offenen Drogenszene in ihrer Lebensexistenz bedroht. Sie verwahrlosten. Das war radikal, genauso war die Therapie. Heute sind Suchtabhängige versorgt im staatlichen Drogenprogramm, ihr Leben verläuft medikamentengestützt in ruhigeren Bahnen mit allen Vor- und Nachteilen. Methadon ist ebenfalls ein Suchtmittel. Wer mit 80 Milligramm Methadon leben kann, gilt als clean. Aber mit dieser Dosis könnte man vier erwachsene Menschen vergiften. Ausstiegswillige benötigen heute eine weit höhere Motivation und entsprechend viel Überzeugungsarbeit. Anders als früher ist auch, dass Klienten viel mehr Freiheiten haben und jede Therapie individuell geplant wird. Das ist anspruchsvoll, aber auch richtig.

Das heisst, die Arbeit ist komplexer geworden?
Sie hat sich stark verändert, aber sie ist spannend geblieben. Wir arbeiten hochprofessionell. Dabei besteht die Gefahr zu vergessen, dass Gott jede Diagnose auf den Kopf stellen kann. Diese Überzeugung und Erwartung wachzuhalten ist heute anspruchsvoller.

Inzwischen ist die Institution so gross, dass es nicht mehr so einfach sein dürfte, diese Grundmotivation zu leben. Ist diese Lebendigkeit vom Anfang, diese Leidenschaft, die der Glaube im Herzen weckt, noch vorhanden oder wurde sie von der Professionalisierung abgelöst?
Teilweise wohl schon, das passiert unweigerlich. Aber wir wollen die Leidenschaft, den Nächsten zu lieben, hochhalten. Unser Leitbild basiert auf dem christlichen Fundament. Diese Basis und Werte vermitteln wir an jährlich zwei Visionstagen und an regelmässigen Bereichsleitersitzungen. Das Festhalten an unseren Werten «Würde geben, Hoffnung wecken, Perspektiven schaffen» ist ein dauerndes und zentrales Thema. Dafür investieren wir viel Zeit. Übrigens sind unsere Mitarbeitenden zu 40 Prozent GvC-Mitglieder. 60 Prozent besuchen andere Kirchen und Gemeinden. Diese Einheit in der Vielfalt begeistert.

Der Quellenhof versteckt seine christliche Motivation nicht. Wie ist die Zusammenarbeit mit den Sozialbehörden?
Sie ist mittlerweile sehr gut. Wir erhalten immer wieder positive Rückmeldungen von Behörden, die unsere Einrichtungen regelmässig kontrollieren. Sie stellen fest, dass wir zu unseren Glaubensüberzeugungen stehen, aber verantwortungsvoll damit umgehen, ohne Druck auszuüben. Menschen, die wir begleiten, sollen fähig werden, ehrliche Entscheidungen zu treffen. Wir machen unter den Teilnehmern, die an Gott glauben und solchen, die nicht glauben, keinen Unterschied. Durch ein menschliches Klima und durch Professionalität wollen wir unseren Betreuten einen Rahmen der Geborgenheit in kleinen Wohn- und Arbeitseinheiten bieten und sie in überschaubaren Gruppen bestmöglich fördern.

Im Laufe der vergangenen 25 Jahre musste die Quellenhof-Stiftung ihr Angebot laufend ändern und neu ausrichten. Wie geht es weiter, was ist die nächste Innovation?
Es ist nicht so, dass es ständig innovativ aufwärts gegangen wäre. Wir haben auch Fehler gemacht oder wurden von aussen eingeschränkt. Aber jetzt sind wir wieder in der Lage, die Vision weiterzuverfolgen. Konkret geht es um generationendurchmischtes Wohnen. Hier braucht es in Zukunft neue Formen. Unsere Idee «TownVillage» ist ein solches. Sie soll neuen Lebensraum zum Wohnen und Arbeiten schaffen. Dabei versuchen wir, Brücken zur Wirtschaft zu schlagen und Brücken zwischen Jung und Alt, mit abrufbaren Leistungen wie Einkaufsservice oder Pflegeleistungen. Das ist alles noch in der Planungsphase. Aber wir sind bereit für den nächsten Schritt.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Marcel Mettler und die Quellenhof-Stiftung

Marcel Mettler ist 53, verheiratet, vier erwachsene Kinder, Kaufmann, Sozialpädagoge, Gesamtleiter Quellenhof-Stiftung Winterthur und seit ihrer Gründung im Jahr 1990 dabei. Die Stiftung sieht es als christlich-diakonischen Auftrag, Menschen die Rehabilitation und, wo möglich, die berufliche und soziale Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen. Präsident des Stiftungsrats ist Johannes Wirth.

Heute arbeiten in der Stiftung 82 Angestellte. Dazu kommen 14 Praktikanten und 57 freiwillig Mitarbeitende. Sie sind zuständig für 126 Betreuungsplätze (50 Wohn- und 76 Arbeitsplätze, die von rund 120 Personen in Teilzeitpensen besetzt sind). Insgesamt werden 27 Lehrstellen in 16 Berufen angeboten. Die Quellenhof-Stiftung machte 2014 einen Gesamtumsatz von 11,8 Millionen Franken. Dieser setzte sich wie folgt zusammen: Produktionsertrag 4,9 Mio. (42%); Taggeldertrag 3,5 Mio. (29%); Kantonsbeiträge 2,5 Mio. (21%); Spenden 940'000 Franken (8%).

Am Samstag, 11. Juli, 10 bis 17 Uhr, steigt das Jubiläumsfest im Eulachpark Oberwinterthur. Marktbetrieb, Spiel und Spass, Live-Musik und Führungen durch die Werkstätten gehören zum Programm.

Zur Webseite:
Quellenhof-Stiftung

Zum Thema:
«TownVillage»: Wie eine grosse Vision wahr wird
Unsichere Zeiten: Gemeinsam hoffen, teilen und helfen
Johannes Wirth am LEAD'15: «Nie im Leben wollte ich Pastor werden»

Datum: 12.07.2015
Autor: Rolf Höneisen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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