Walter Dürr

«Es geht um Christus, nicht um unsere Konzepte»

War es im letzten Jahr der Heilige Geist, so haben die theologischen Studientage des Studienzentrums für Glaube und Gesellschaft in Fribourg diesmal Jesus Christus im Fokus. Das Patronat übernommen haben der Schweizerische Evangelische Kirchenbund und die Schweizer Bischofskonferenz. Was erwarten die Veranstalter von diesen drei Tagen? Ein Interview mit Walter Dürr, Direktor des Studienzentrums.

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Walter Dürr
Vor 2014 wurde das Studienzentrum für Glaube und Gesellschaft als Satellit des Instituts für Ökumenische Studien an der Uni Fribourg lanciert. Die seither regelmässig durchgeführten Studientage finden Anklang. Sind Sie mit der Entwicklung zufrieden, Herr Dürr?
Walter Dürr: Wir freuen uns sehr über die Erfahrungen der letzten Jahre und sind überwältigt vom Ausmass der wachsenden Freundschaften, Vernetzungen und Kooperationen, die sich in der kurzen Zeit ergeben haben. Gleichzeitig können wir uns aber durchaus weitere Schritte vorstellen und sind gespannt auf das, was Gott noch tun möchte.

Was ist das Ziel der Studientage?
Ein Ziel der Studientage ist es, ein neues Feuer für die Theologie zu entfachen – und während freundschaftliche Begegnungen zwischen Christen aller Denominationen gefördert werden, dürfen wir jedes Jahr erleben, wie die unterschiedlichen Perspektiven bereichernde theologische Prozesse anstossen. Die breite Unterstützung durch Mitveranstalter zeugt davon.

Hinter dem Studienzentrum steht die Idee, die akademische Welt mit der Welt des gelebten Glaubens zusammenzubringen. Dieses Ziel führt aber eher ein Schattendasein. Im Fokus steht der ökumenische Brückenschlag. Stimmt diese Beobachtung?
Die beiden Anliegen stehen für uns nicht in Konkurrenz zueinander. Vielmehr ist das Miteinander aller Christen ein wichtiges – wenn auch nicht das einzige – Bewährungsfeld, an dem die Welt des gelebten Glaubens mit der akademischen Welt zusammengebracht werden muss. Das heisst, wir sind davon überzeugt, dass «Ökumene» sowohl akademisch – und das heisst auch kritisch – reflektiert als auch im konkreten Glaubensleben inkarniert werden soll.

Aber die Ökumene scheint Ihr Kernanliegen zu sein.
Es stimmt, dieses und letztes Jahr steht die Einheit aller Christen besonders im Zentrum, – unter anderem in Bezug auf das durch Kirchenspaltungen überschattete Reformationsjubiläum schien uns 2017 ein Fokus auf das einende Wirken des Geistes und 2018 auf Jesus Christus als Fundament, Mitte und Ziel aller Christen wegweisend. Gerade weil dies nicht allein akademisch reflektiert werden soll, ist ein besonderer Höhepunkt der Studientage jeweils ein gemeinsamer Gottesdienst. Die überfüllte Kathedrale und das begeisterte Feedback zeugten bis jetzt immer davon, dass hier Herzen bewegt wurden – dies gehört ebenso zum Ziel der Studientage wie die Erneuerung der Theologie.

Erstmals offiziell dabei sind die Schweizer Bischofskonferenz und der Schweizerische Evangelische Kirchenbund, während die freikirchlichen Verbände eher am Rand erscheinen. Woran liegt das?
Der Akzent ist bewusst gewählt und ist – so glauben wir – dem Umstand angemessen, dass die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) und der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) dieses Jahr erfreulicherweise das Patronat für die Studientage übernehmen. Wir freuen uns sehr, dass beide Institutionen die Arbeit des Studienzentrums würdigen, und verstehen die konkret-einigenden Bemühungen der diesjährigen Studientage nicht als Kurswechsel, sondern als wichtigen Schritt auf einem längeren Weg. Das Studienzentrum ist quasi auf einen Marathon eingestellt und weniger auf einen Sprint – deshalb können wir nicht alles gleichzeitig, auch wenn wir das vielleicht möchten. Das Zusammenrücken von Katholiken und Reformierten ist gut für die Kirche insgesamt und ein wichtiger Schritt. Natürlich sind auch die Freikirchen ein wesentlicher Teil unseres Anliegens. Aus diesem Grund führten wir dieses Jahr – neben den Studientagen – mehrere Veranstaltungen mit freikirchlicher Beteiligung durch. Schon nächstes Jahr werden wir übrigens mit Miroslav Volf wieder einen Hauptreferenten mit freikirchlichem Hintergrund erleben. Das Studienzentrum ist per Definition eine Plattform für Christen aus allen Hintergründen. Wenn die SBK und der SEK das Patronat der diesjährigen Studientage übernehmen, ist das unseres Erachtens eher ein Zeichen dafür, dass diese ein Interesse äussern, mit Freikirchen ins Gespräch zu kommen, als umgekehrt. Zudem: Der Hauptreferent Alister McGrath ist weit über den grosskirchlichen Bereich hinaus auch bei vielen Freikirchlern beliebt.

Das Schlagwort der Studientage lautet «Gemeinsam zur Mitte». Wird diese «Mitte» von allen Kirchen gleich definiert?
Vermutlich nicht. Genau darüber wollen wir sprechen. Und dieser Umstand entspricht auch dem Hauptthema der Studientage: Jesus Christus lässt sich nicht so einfach in unsere menschlichen Definitionen zwängen. Die Studientage nennen diese Mitte «Christus». Nach Ostern ist damit der auferstandene Jesus Christus, der lebendige und erhöhte Herr der Kirche gemeint – weniger unsere Bilder von ihm. Wir sind davon überzeugt, dass sich im Gespräch die unterschiedlichen Perspektiven und Bilder von Jesus Christus seiner Wirklichkeit annähern und sich gegenseitig ergänzen können. Am Ende geht es aber um ihn und nicht um unsere Konzepte von ihm – ob also die teilnehmenden Kirchen ihre Mitte gleich definieren, ist uns weniger wichtig, als dass sie ihm vertrauen, ihm glauben und ihn anbeten.

Ein Vertiefungsvortrag erklärt das «mystische Gebet zur Einheit der Kirche». Das klingt in den Ohren von Christen, die ihren Glauben mit dem Bibelwort verbinden, suspekt. Braucht der ökumenische Weg mystische Erfahrungen, um weiterzukommen?
Das Wort «Mystik» lässt sich auf das griechische Wort für «Geheimnis» zurückführen. Damit wird eine Grenze für jede Form des Rationalismus gesetzt – unter anderem auch für den akademischen –, der Gott in menschliche Verstandeskategorien zwängen will. Eine personale Begegnung als Glaubenserfahrung mit Jesus lässt sich niemals nur rationalistisch erklären und beinhaltet immer eine geheimnisvolle Dimension, die unsere Denkkategorien übersteigt. Das gilt übrigens auch für die Bibel: Der lebendige Jesus, der Logos, ist grösser als unser Verständnis der Bibel. Wenn wir mehr über die «geheimnisvolle» Erfahrung mit Jesus sprechen würden als von unseren Konzepten von ihm, wäre dies gut für den Weg vorwärts.

Erlauben die Studientage auch kritische Auseinandersetzungen?
Die breite Beteiligung mit Uni-Professoren, freikirchlichen Dozenten, Menschen aus der kirchlichen Praxis mit unterschiedlichen konfessionellen Hintergründen wird viele Perspektiven mitbringen und Gespräche, die durchaus auch kritisch sein können. Aber das Gemeinsame überwiegt.

Wen wollen Sie mit den Studientagen ansprechen und was erwartet die Teilnehmenden?
Die Studientage sind für alle Menschen, denen die Kirche Jesu am Herzen liegt und die wollen, dass Jesus Christus und der christliche Glaube in unserer Gesellschaft relevant, versöhnend und fruchtbringend Gestalt gewinnt. Wir hoffen, dass diese Tage Menschen ansprechen, die Verantwortungspositionen innehaben oder auch ohne offizielles Mandat willig sind, in ihrem konkreten Umfeld Einfluss zu nehmen. Wir hoffen, dass sich die Teilnehmenden schulen und kritisch mit Themen auseinandersetzen, mit unterschiedlichsten Menschen in Kontakt treten und eine Perspektive dafür entwickeln können, wie in der Gegenwart – in Kirche und Gesellschaft – wieder über Jesus Christus und den Glauben an ihn gesprochen werden kann.

Sind neben versöhnlichen Gesten zwischen Katholiken und Evangelischen auch Hinweise auf Zeichen der Zeit und Beiträge zur kirchlichen und gesellschaftlichen Erneuerung zu erwarten?
Populismus, Entfremdung und Hass sind leider Zeichen unserer Zeit, mit denen die Welt täglich konfrontiert ist. Eine zerrüttete und zerstrittene Kirche leistet keinen Beitrag zur Besserung dieser Umstände. Jesus hat sehr deutlich gemacht, was er will: Die Christen sollen «eins» sein, so wie er und der Vater eins sind, auf dass die Welt ihn erkennen möge (vergleiche Johannes, Kapitel 17, Vers 21). Wenn also die Christen, die Jesus als Zentrum ihres Lebens bekennen, ihre bleibenden Differenzen in Christus versöhnen könnten – das heisst konkret, die Spannungen dieser Unterschiede aushalten –, dann wird die Kirche selbst zu einem Zeichen und einem Beitrag der gesellschaftlichen Erneuerung und Versöhnung.

Was ist Ihr Gebet im Blick auf die bevorstehenden Studientage?
Wir beten, dass die Studientage zu einem Ort der Begegnung für Christinnen und Christen unterschiedlichster Prägungen und Überzeugungen werden, sowohl intellektuell wie auch existentiell zu einem Ort der Begegnung mit Jesus Christus. Und wir beten, dass die Impulse dieser Tagung in verschiedensten Gemeinden der Schweiz Wirkung entfalten und die Freude am Evangelium von Jesus Christus zunimmt.

Theologie im Dialog: Vom 20. bis 22. Juni 2018 finden an der Uni Fribourg Studientage unter dem Titel «In Christus. Gemeinsam zur Mitte» statt.

Zur Webseite:
Studientage

Lesen Sie das Interview mit Walter Dürr im Wochenmagazin ideaSpektrum 21-18.

Zum Thema:
Studientag an Uni Fribourg: Walter Dürr: «Die Kirche sollte weniger reden und mehr tun»
Justin Welby an Studientagen: «Ohne Evangelisation ist die Kirche nur eine NGO»

Studientage Uni Fribourg: Das Bild der Kirche von morgen entdecken

Datum: 29.05.2018
Autor: Rolf Höneisen
Quelle: idea Spektrum Schweiz

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Ein Tipp an die "Ökumene-Turbos": Wenn ihr auch die kritischen Wahrheitsliebenden für das Projekt der sichtbaren Einheit (die unsichtbare existiert ja bereits) gewinnen wollt, versäumt es nie, beim Thema Ökumene auch von der Wahrheit zu sprechen. Es entsteht sonst der Eindruck, dass man notfalls bereit wäre, die Wahrheit unter die Räder kommen zu lassen, nur um mit der äusserlichen Einheit ans Ziel zu gelangen. Dazu gehört auch, nicht negativ von der Reformation zu reden, so als sei sie an der Kirchenspaltung schuld. Leider werden jedoch Wahrheit und Ökumene viel zu selten als unabdingbare Einheit beschrieben, weshalb das Misstrauen der Wahrheitsliebenden fortbesteht.

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