Wenn Jesus Geschichten erzählt, begegnen sich darin höchst irdische
Situationen und himmlische Gedanken. Zum Beispiel in seinem Gleichnis vom Bau
der beiden Häuser. Es scheint eine typische Geschichte für den
Kindergottesdienst zu sein. Doch Jesus hatte eher die Erwachsenen im Blick. Was
hat die bildhafte Story mit uns zu tun?
Wenn wir heute an «Einstürzende Neubauten» denken, haben einige wohl die
gleichnamige Berliner Band um Blixa Bargeld vor Augen. Mit ihrem sehr
experimentellen Stil prägen sie seit Jahrzehnten die Avantgarde der Musikszene.
Dass ein reales neu gebautes Gebäude tatsächlich einstürzt, gehört glücklicherweise
kaum zu unserer Lebenswirklichkeit. Das war zu der Zeit von Jesus leider
anders. So waren ihm die offenen Ohren der Zuhörerinnen und Zuhörer sicher, als
er in seiner Bergpredigt eines der bekanntesten Gleichnisse erzählte:
«Ein jeder nun, der diese meine Worte hört und sie tut, den will ich mit
einem klugen Mann vergleichen, der sein Haus auf den Felsen baute. Als nun der
Platzregen fiel und die Wasserströme kamen und die Winde stürmten und an dieses
Haus stiessen, fiel es nicht; denn es war auf den Felsen gegründet. Und jeder,
der diese meine Worte hört und sie nicht tut, wird einem törichten Mann gleich
sein, der sein Haus auf den Sand baute. Als nun der Platzregen fiel und die
Wasserströme kamen und die Winde stürmten und an dieses Haus stiessen, da
stürzte es ein, und sein Einsturz war gewaltig» (Matthäus-Evangelium, Kapitel 7, Verse
24–27)
Plakativ und praktisch
Wahrscheinlich ist das Gleichnis bis heute so beliebt, weil sich alle
vorstellen können, wie hier Häuser erst gebaut werden und sich dann bewähren
müssen. Dabei ist die Erzählung von Jesus kunstvoll kurz. Da ist kein Wort zu
viel. Ein Bauherr baut sein Haus auf Felsen als Fundament. Beim folgenden
Unwetter leidet es keinen Schaden. Der andere Bauherr hat sein Haus im wahrsten
Wortsinn «auf Sand gebaut». (Ja, hierher kommt das Sprichwort!) Beim folgenden
Unwetter wird es zerstört «und sein Einsturz war gewaltig». Selbst ohne die
Verse vor und nach dem Gleichnis ist schnell klar, dass niemand so dumm wäre,
sein Haus ohne jedes Fundament in den Sand zu setzen. Das muss geradezu eine
bildliche Bedeutung haben und für etwas anderes stehen.
Doch zunächst einmal knüpft Jesus mit seinem Gleichnis an etwas an, was
damals jedem geläufig war. Für grosse Bauvorhaben gab es durchaus schon
Architekten oder erfahrene Bauhandwerker. Im privaten Bereich und auf dem Dorf
wurde dagegen oft mit einfachen Mitteln selbst gebaut. Kein Wunder, dass Statik
(vgl. Lukas-Evangelium, Kapitel 13, Vers 4)
und Brandschutz (vgl. 1 Korinther, Kapitel 3, Verse 12–15)
im damaligen Palästina echte Problemfelder waren. Jesus selbst war
Bauhandwerker – er wusste, wovon er sprach. Doch wofür stehen die beiden
Baustellen im Gleichnis?
Gegenübergestellt
Es gibt viele Beispiele in der Bibel, in denen zwei unterschiedliche
Lebensweisen und Einstellungen gegenübergestellt werden. Meist ist dabei sofort
klar – wie auch hier –, welche Variante die Bibel bevorzugt. Typische Beispiele
sind die von den zwei Wegen in Psalm 1 oder die von Segen und Fluch am Ende des 5. Mosebuchs.
Auch das Bild vom Hausbau wird in der Antike wiederholt verwendet. So
erzählte der jüdische Rabbiner Elisha ben Abyah um 120 nach Christus eine ganz
ähnliche Parabel:
«Ein Mensch, der viele gute Werke hat und viel Tora gelernt hat, womit lässt
sich der vergleichen? Mit einem Menschen, der unten mit Steinen baut und danach
mit Ziegeln; auch wenn viele Wasser kommen und an ihren Seiten stehen bleiben,
lösen sie sich nicht auf von ihrer Stelle weg. Ein Mensch aber, der keine guten
Werke hat und Tora lernt, womit lässt sich der vergleichen? Mit einem Menschen,
der zuerst mit Ziegeln baut und danach mit Steinen; auch wenn nur geringe
Wassermengen kommen, stürzen sie alsbald um.»
Sicher hat hier keiner vom anderen «abgekupfert», doch die jüdische
Geschichte unterstreicht, dass der Bau des Lebenshauses mit dem Wort Gottes als
Fundament ein bekanntes Bild war. Spannend ist in diesem Zusammenhang die
Reaktion der Zuhörerinnen und Zuhörer von Jesus: «Und es geschah, als Jesus
diese Worte beendet hatte, erstaunte die Volksmenge über seine Lehre, denn er
lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten» (Matthäus-Evangelium,
Kapitel 7, Verse 28–29).
Seine Botschaft war nicht neu – doch sie hatte echte Kraft.
Treu und tätig
Was ist denn für uns das Besondere am Gleichnis, das Jesus erzählte? Zum
einen sicher, dass es nicht «gut evangelisch» ist. Denn Jesus geht in dieser
kurzen Geschichte weiter als Martin Luther mit seinem Anspruch: «Allein die
Schrift». Er betont hier sehr deutlich, dass zum Wort Gottes, zur Bibel, die
gerne als Fundament des Glaubens bezeichnet wird, unbedingt auch das Tun
gehören muss.
Zum anderen schwingt in dieser kurzen Geschichte noch einmal die gesamte
Bergpredigt mit. Alle antiken Redner hätten sich daran gefreut, denn für sie
musste der Schluss jeder Rede einprägsam und anschaulich sein. Und das ist er!
Ungefähr so wie das parallele Gleichnis, das Jakobus erzählt: «Seid aber Täter
des Wortes und nicht bloss Hörer, die sich selbst betrügen. Denn wer [nur]
Hörer des Wortes ist und nicht Täter, der gleicht einem Mann, der sein
natürliches Angesicht im Spiegel anschaut; er betrachtet sich und läuft davon
und hat bald vergessen, wie er gestaltet war» (Jakobus-Brief, Kapitel 1, Verse
22–24). Absurd. Aber
sehr einprägsam.