Bedauern und Verharmlosung

Das Doppelgesicht des türkischen Regierungschefs

2013 hatte Regierungschef Erdogan ein Demokratiepaket angekündigt, das neben den Kurden in erster Linie den Christen der Türkei zugute kommen sollte. Der einstige Reformer verbietet nun sogar die 1. Mai-Kundgebungen.

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Recep Tayyip Erdoğan
Nach der Freilassung der Mörder von Malatya, welche den Schluss nahelegt, dass christliche Opfer praktisch vogelfrei sind, hat Erdogan zum 24. April, der 99. Wiederkehr des Beginns der Morde und Todesmärsche an Armeniern und Aramäern, sein Bedauern über diese «Ereignisse» und alle ihre Opfer – auch auf der türkischen Seite – ausgesprochen.

Die Tatsache, dass sich die türkischen Christen vereinzelt zur Wehr setzten und dabei auch Türken und Kurden getötet wurden, lasse sich nicht mit dem gezielten Vorgehen der damaligen politischen und militärischen Führung der Türkei gegen ihre christlichen Bürgerinnen und Bürger auf eine Stufe stellen. Auch habe es sich um «kriegsbedingte» Aktionen gehandelt, die keineswegs gegen die Christen als solche gerichtet waren.

Neuer Verschleierungsversuch eines Völkermords?

Tatsächlich betrafen sowohl die Verhaftungen und Tötungen der christlichen Intelligenz in der damaligen Hauptstadt Stambul vom 24. April 1915 wie die folgenden, so genannten «Umsiedlungen» in der Provinz alle Angehörigen des armenischen «Religionsvolkes» (millet), zu dem auch die Christen der verschiedenen aramäischen Traditionen gehört haben. Beobachter in Istanbul erblicken daher in Erdogans Beileid nur einen neuerlichen Verschleierungsversuch seiner wahren Gesinnung und seiner christenfeindlichen Ziele.

Häufige Frontwechsel

Erdogan ist am Bosporus nicht der erste damit, einen so rasanten Frontwechsel von zunächst demokratisch-rechtsstaatlicher Politik zu brutaler Repression von Andersgläubigen und Andersdenkenden zu vollziehen. Kein Geringerer als Kemal Atatürk, Vater der modernen Türkei, schwankte dazwischen hin und her. Besonders waren es aber die Jungtürken, welche den Christen des Osmanenreichs 1908 endlich die gleichen Rechte wie den Muslimen eingeräumt, sie aber 1915 auf die Todesmärsche in Vernichtungslager geschickt hatten. Der gestern noch vermeintliche Christenfreund Erdogan ist jetzt ebenso unberechenbar geworden.

Zum Thema:
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Datum: 28.04.2014
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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