Wir müssen darüber reden

Livenet-Talk: Depression und ihre Auswirkung

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Susanna Aerne und Janice Braun (Bild: Livenet)
Heute leiden viele Menschen unter Depressionen. Leider wird auch in christlichen Gemeinden viel zu wenig darüber gesprochen. Eine spannende Diskussion dazu im Livenet-Talk.

Im Livenet-Talk spricht Redaktionsleiter Flo Wüthrich mit zwei Frauen über ein Thema, welches nach wie vor viel zu stark Tabuthema ist. Es geht um Depression.

Eine Betroffene und eine Beraterin im Livenet-Talk

Susanna Aerne ist Einzel-, Paar- und Familienberaterin IKP. Sie erklärt, was eine Depression ausmacht, durch welche Symptome sie erkannt und wodurch sie ausgelöst wird.

Janice Braun ist Jugendarbeiterin im ICF Zürich, frisch verheiratet und schliesst im Sommer ihr Studium bei IGW ab. Sie litt jahrelang unter Depresseionen. «Mit 13 oder 14 Jahren realisierte ich, dass mein Zustand nicht so ist wie bei anderen Personen.» Sie weiss nicht genau, wann ihre Depression begonnen hat, glaubt aber, dass sie sich schon früher anzubahnen begann.

Der Auslöser von Depressionen

«Klassische Auslöser für eine Depression ist eine langandauernde Belastung», erklärt Susanna Aerne. Doch auch Traumata oder andere Faktoren können dazu führen. Für Janice Braun ist unklar, was ihre Depression ausgelöst hat. «Es gab aber belastende Stressfaktoren, die sicher dazu beigetragen haben.» Darunter fallen das Engagement im Leistungssport oder eine ungesunde Beziehung.

Susanna Aerne spricht davon, dass eine Depression für Leute, die gerne die Kontrolle haben, eine grosse Herausforderung ist. Anzuerkennen, die Situation nicht im Griff zu haben, ist ein grosser und wichtiger Schritt.

Depressionen eingestehen oder verbergen

Janice Braun hatte keine Ahnung, was mit ihr nicht stimmte, und versuchte, ihren Zustand mit aller Kraft zu verbergen. Dies gelang ihr erstaunlich gut. «Während meiner Berufslehre sprach mich ein Ausbilder auf meinen Zustand an.» Er war die erste Person, die etwas bemerkte. Damals litt Janice schon mehrere Jahre an ihrer Depression.

Für Susanna stellt diese Geschichte kein Einzelfall dar. «Jugendliche mit Kämpfernatur gehen oft aufs Letzte und kämpfen sehr lange, womit ihrem Umfeld ihr wahrer Zustand verborgen bleibt.» So war es bei Janice. «Meine Familie war schockiert, als sie erfuhr, wie lange ich bereits krank war.» Sie selbst beschreibt ihre damalige Haltung mit folgenden Worten: «Ich sagte mir: Mir geht es gut, ich habe eine tolle Familie – ich habe kein Recht, dass es mir nicht gut geht.»

Eine Depression zu verbergen, ist aber eine schlechte Strategie. Letztlich gibt es keinen Grund, sich dafür zu schämen. Für Janice war das Gespräch mit ihrem Ausbildner ein Wendepunkt.

Das Problem, nicht verstanden zu werden

Oftmals kann sich das Umfeld nicht vorstellen, was die betroffene Person erlebt. Susanna Aerne empfiehlt den Angehörigen, sich den Zustand von der betroffenen Person erklären zu lassen. Es lohne sich auch zu fragen, was ihr gut tut. Aussagen wie «Du musst dir einfach einen Schubs geben» seien hingegen nicht hilfreich. Janice Braun erzählt, wie ihre Familie versuchte, ihren Zustand zu verstehen. «Ich glaube, sie haben jede Internetseite zum Thema gelesen», sagt sie mit Bewunderung. Das half ihr. «Ich merkte: Ich darf krank sein und mit meiner Familie einen Weg gehen.»

Der Weg aus einer Depression heraus

«Jahrelang nahm ich Beratung in Anspruch. Dabei lernte ich, wie ich mit meiner Krankheit umgehen muss. Irgendwann wurde die Krankheit dann zu einem Teil meiner Identität und es viel mir schwer, die Freiheit von der Depression überhaupt zu wollen.» Letztlich erlebte sie in einem Jugendlager einen grossen Durchbruch. «Dort veränderte sich mein Leben. Ich rief meine Eltern an und sagte: Ich bin frei von der Depression!» Dieser Erfahrung ging ein grosser Kampf voran, bei welchem es ums Vertrauen auf Gottes Güte ging. «Nach jahrelanger Depression wurde ich frei.» Eine schnelle Veränderung erlebten schon manche Betroffene, normalerweise gehe es aber langsamer.

Der Glaube ist eine Ressource

Susanna Aerne spricht davon, dass Glaube eine Ressource ist. Janice spricht diese Formulierung an. Sie kann bestätigen: «Ich hatte nie das Gefühl, als würde Jesus auf der anderen Seite darauf warten, bis ich wieder gesund würde. Vielmehr erlebte ich ihn an meiner Seite, der mit mir durch die Situation hindurchging.»

In einer Depression kann aber auch ein Leistungsdruck aufkommen, indem man ständig glaubt, mehr beten oder glauben zu müssen. Deshalb ist ein gesundes Gottesbild sehr entscheidend. In der Klinik wurde der Glaube von Janice positiv wahrgenommen. Immer schien sie den Glauben zu haben, dass es besser werden würde. «Zuweilen war es nur ein kleiner Funke von Glaube, aber er trug mich durch.» Susanna Aerne bestätigt, dass eine positive Zukunftsperspektive zentral wichtig ist.

Das Thema nicht verschweigen

«Mir hat es extrem geholfen, wenn Leute mich direkt ansprachen und nach meinem Ergehen fragten», erzählt Janice. Oft hätten Leute aus Überforderung geschwiegen, was bei ihr ein Gefühl der Scham zurückliess. «Es ist sehr wichtig, offen über das Thema Depression zu sprechen.» Susanna pflichtet dem bei: «Lasst uns darüber sprechen – auch am Sonntagmorgen im Gottesdienst. Wenn wir es nicht tun, fühlen sich die Betroffenen allein.»

Hier können Sie sich den ganzen Livenet-Talk zum Thema Depression ansehen:

Zum Thema:
Dossier: Livenet-Talk
Depression durch Schuldgefühle: «Bitte schick ein Auto, das mich überfährt»
Nach Jahren der Depression: «Ich erkannte, wie kostbar ich Jesus bin»
Den Glauben teilen: Als Familie gemeinsam durch die Adventszeit

Datum: 10.12.2020
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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