«Originell und unorthodox»

Pfr. Paul Veraguth nimmt Abschied nach 30 Jahren

In Wattenwil BE ging am letzten Sonntag eine Ära zu Ende: Pfr. Paul Veraguth (59) wurde nach exakt 30 Jahren Pfarrdienst in eine neue Phase seines Lebens entlassen. Mehrere Jahre lang produzierte der populäre Pfarrer u.a. auch für Livenet.ch und Jesus.ch tägliche Videoandachten.

Zoom
Von links: Pfr. Samuel Hug, Pfr. Regula Scharnowski, Pfr. Paul Veraguth, Yvonne Veraguth, Pfr. Sarah Linder und Kirchgemeinderatspräsident Kurt Güngerich vor der Kirche Wattenwil bei seinem Abschied im Oktober 2014
Das ist selten, und der Abschiedsgottesdienst war bewegend: Nach 30 Jahren Einsatz in der Kirchgemeinde Wattenwil wagt Pfr. Paul Veraguth den Schritt in die Selbständigkeit als Publizist und Referent. Er hinterlässt ein reiches Erbe in der Landgemeinde im Gürbetal mit 2'300 «Seelen». Was er lange allein bewältigte, erledigen heute drei PfarrerInnen mit insgesamt 150 Stellenprozenten.

«Total loyal»

In den – sehr persönlich gehaltenen – Dankesworten verschiedener Mitarbeiter wurde vor allem die unbedingte Loyalität als ein hervorstechendes Merkmal von Paul Veraguth hervorgehoben. «Selbst wenn wir Fehler machten und Böcke schossen, stand er hinter uns und auch vor uns hin und hat uns immer gedeckt», berichtete eine Mitarbeiterin dankbar. «Du hast deinen MitarbeiterInnen Freiraum und in prekären Situationen Rückendeckung gegeben», bestätigt auch Pfarrkollege Samuel Hug in seiner Würdigung.

Wachstum

Paul Veraguth lehrte das «allgemeine Priestertum» nicht nur, sondern lebte es nicht zuletzt in den Gottesdiensten: Kirchgemeinderäte und viele weitere Freiwillige wurden regelmässig in die Gestaltung miteinbezogen. Immer mehr Menschen kamen zum Glauben und wurden als Mitarbeiter eingesetzt. Veraguth erkannte früh, dass er Ergänzung brauchte und bekämpfte erfolgreich das Bild des Pfarrers als Alleinmacher und Einzelkämpfer.

In dem allem wurde die unbedingte Unterstützung seiner Frau Yvonne in der Würdigung durch den Kirchgemeinderat besonders hervorgehoben. Paul und Yvonne Veraguth haben 8 Kinder und mittlerweile drei Grosskinder.

Innovativ

Als eine der ersten «Amtshandlungen» schaffte Paul Veraguth den alten Zopf ab, dass die Leute in der Kirche aufstehen mussten, wenn der Pfarrer im Talar einmarschierte. In diesem Geist ging es mit Innovationen weiter: 1985 wurde eine Jungschar gegründet. Eine Sekretärin wurde anfangs mit dem eigenen Geld bezahlt, und weitere Pfarrer konnten angestellt werden, weil Paul Veraguth freiwillig auf einen Teil seines Lohns verzichtete. Unter einigen Kämpfen setzte Veraguth es durch, dass Mitarbeiter auf Spendenbasis angestellt werden konnten.

Auch theologisch brachte Paul Veraguth manch neue und ungewohnte Gedanken – nicht aus Bibelkritik, sondern aus unbedingter Bibeltreue heraus. So erlaubte er sich zum Beispiel, die traditionelle Sicht von Weihnachten in Frage zu stellen und diese Infragestellung sogar an Weihnachten in der Kirche zu inszenieren.

Als begabter Musiker – er spielt unter anderem virtuos Geige – führte Paul Veraguth nicht zuletzt neue Gottesdienstformate in der Kirche ein. Heute gibt es Lobpreis- und Ländlergottesdienste, aber auch Pop- und Jugendgottesdienste in Wattenwil.

Unorthodox und umkämpft

Paul Veraguth war es immer wichtig, kompromisslos zu dem zu stehen, was er als richtig erkannte. Seine direkte Art wurde lange nicht immer von allen goutiert, und bisweilen wurde ihm Sturheit nachgesagt; seine Mitarbeiter erfuhren jedoch, dass er abweichende Meinungen ohne weiteres stehen lassen konnte. Als Kritiker vor Jahren einen Pressesturm losliessen und er als «reformierter Taliban», als mittelalterlicher Exorzist und theologischer Dinosaurier in den Zeitungen herumgeboten wurde, zog er seinen Entschluss durch, sich nicht zu wehren, sondern den Akteuren (es gab auch Verleumdungen) zu vergeben. «Das Gute ist oft das Böse, das wir nicht tun – und dass wir stattdessen Jesus Christus wirken lassen», schreibt er in seinem persönlichen Rückblick.

Kommunikator

 «Gegen zweitausend Predigten habe ich gehalten und nie eine alte hervorgeholt», hält Paul Veraguth in seinem Rückblick fest. Er schöpfte aus einem stupenden Allgemeinwissen, steckte viel Zeit in Forschung rund um die biblische Archäologie und bereiste verschiedene Male Israel und das Gebiet des Ararat. Selbst mit täuferischen Wurzeln, setzte er sich - bis nach Amerika - für die Versöhnung zwischen Täufern und Reformierten ein. Seine interessanten Sendungen auf Radio BEO und die täglichen Videoandachten von 2008 bis 2013 auf Livenet.ch und Jesus.ch schliesslich fanden regen Anklang.

Paul Veraguth wird in Wattenwil wohnen bleiben, seine Leidenschaft zum Beruf machen und als freier Publizist, Seminarreferent und Reiseleiter tätig sein.

Zum Thema:
Inspiration zum Tag: Die Video-Losung von Livenet.ch & Jesus.ch
Pläne für Schloss Trachselwald: Täuferzentrum mit Amischen-Geld?

Datum: 21.10.2014
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet

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