Keine «christliche Taliban»

Georg Schmid distanziert sich von böser Freikirchenkritik

Auf dem Blog des ehemaligen Tages-Anzeiger-Redaktors Hugo Stamm schrieb Georg Schmid schon Anfang 2015 einen Beitrag mit dem Titel «Die Stündeler sind keine Taliban», in dem er eine Lanze für die Freikirchen brach. Seine Worte sind aktueller denn je.

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Georg Schmid
Der 74-jährige Theologe Georg Schmid war Titularprofessor an der Universität Zürich, leitete die Sektenberatungsstelle der evangelischen Kirche und schrieb mehrere Sachbücher. Er beginnt seinen Beitrag mit einem Bekenntnis: «Ich zähle Freikirchenmitglieder zu meinem Freundeskreis. Sie sind keine humorlosen Fundamentalisten und noch weniger bedrohliche Taliban.» Darum frage er sich: Wie kommt es zur leisen Freikirchenverachtung oder gar zur lauten Freikirchenschelte?

Schmid nennt im folgenden fünf Gründe dafür, die auch von Freikirchenmitgliedern gut nachvollziehbar sind.

Missionarische Anspruch und Konvertitensyndrom

Zuerst ein psychologischer: Weil man ihnen missionarische Absichten zuschreibe, fühlte sich mancher als Sünder oder gar Höllenkandidat eingestuft. Darauf gelassen zu reagieren, bereite vielen Mühe.

Schmid spricht sodann das Konvertitensyndrom an. Menschen, die von einer Freikirche enttäuscht wurden und sich von ihr abgewendet haben, sind oftmals deren schärfste Kritiker.

Gottvertrauen und Fundamentalismus

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Screenshot von Hugo Stamms Blog
Eine interessante Beobachtung macht Schmid in Punkt 4 seiner Ausführungen: «Wir spötteln zwar über die Frommen. Aber im tiefsten Grund unserer Seele bedauern wir, dass es uns nicht oder nicht mehr gelingt, so kindlich zu glauben.» Und er bekennt: «Weil uns das nicht mehr möglich ist, lästern wir.»

Schliesslich spricht Schmid den Vergleich von Freikirchlern mit «frommen Taliban» an, der von Kritikern gemacht werde, um den Islam zu entlasten. Schmid findet das «geradezu peinlich» und findet: «Man mag manches gegen die Evangelikalen einwenden, aber christliche Taliban sind sie nicht.»

Schlechte Reaktion auf Skandale?

Eine Kritik an den Freikirchen lässt er dennoch stehen: Sie reagierten «seltsam ungeschickt» auf Skandale und versuchten, sie zu verschweigen oder herunterzuspielen. Obwohl sie wissen, dass «wir alle Sünder sind», hätten sie Mühle, konkrete «Fehler im eigenen Verhalten» öffentlich einzugestehen.

Leider bringt Schmid hier kein konkretes Beispiel, das seine Kritik belegt. Aber Hand aufs Herz: Wer geht gerne an die Öffentlichkeit, wenn in der eigenen Organisation oder der Gemeinde etwas Ungutes passiert ist? Schlechte Beispiele wären wohl leicht zu finden, gerade auch unter «frommen Christen». Dennoch stelle ich fest, dass viele Werke und Gemeinden Krisenszenarien erarbeitet haben mit dem Ziel, sachgerecht zu reagieren, wenn ein Problem auftaucht oder von Medien als solches wahrgenommen wird. Vertuschungsszenarien gehören nicht dazu. Vielmehr zielen sie darauf, den Fehler einzuräumen und zu bedauern, nötigenfalls Dinge richtig zu stellen, Korrekturmassnahmen zu formulieren und allen Mitbetroffenen Hilfe und Informationen zugänglich zu machen.

Die Absichtserklärung

Vieles lässt sich heute unter «freikirchlich» oder «evangelikal» subsummieren. Auch ausserhalb von demokratisch organisierten Verbandsstrukturen. In ihrer kürzlich verabschiedeten Erklärung stellt jedenfalls der Freikirchenverband (VFG) dazu fest: «Unsere Aktivitäten und Angebote sind geprägt von Transparenz, Freiwilligkeit und Gewissensfreiheit. Manipulative Methoden werden nicht geduldet. Austritte aus den Freikirchen VFG sind jederzeit möglich und mit keinerlei Nachteilen verbunden.» Dass eine solche Erklärung immer eingehalten wird und alle Fehler verhindert, kann keiner überwachen oder gar garantieren. Und oft ist es schwierig, bei öffentlich gewordenen Krisen die Ursachen zu klären und Schuldige zu benennen. Aber es wäre zu wünschen, dass auch gute Beispiele von Krisenbewältigung von Schmid und andern Freikirchenbeobachtern wahrgenommen – und vielleicht sogar mal erwähnt – werden.

Zur Webseite:
Blogbeitrag von Georg Schmid

Zum Thema:
Die Zürich-Connection: Das Bermuda-Dreieck der Sektenexperten
Mission im Asylzentrum: Wie berechtigt sind die «Sorgen» der Sektenexperten?
Satirische Betrachtung: Freikirchler dienen Asylsuchenden – und Sektenexperten

Datum: 21.12.2015
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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