Trauriges Jubiläum

Ruanda zwischen Völkermord und Versöhnung

Im April 1994 begann der 100 Tage währende Völkermord in Ruanda. Damals töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit wahrscheinlich fast eine Million Tutsis. Dreiviertel dieser Volksgruppe wurden regelrecht ausgelöscht. An den Folgen leidet das afrikanische Land auch heute noch - 20 Jahre später.

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Alex Nsengimana (rechts) besuchte im März 2013 den Mann, der seinen Onkel in einem Gefängnis in Ruanda umbrachte.
Vordergründiger Auslöser des Genozids war der Abschuss des Flugzeugs des damaligen Präsidenten Habyarimana am 6. April 1994. Habyarimana gehörte zur dominierenden Bevölkerungsgruppe der Hutu. Diese machten die Tutsi für den Anschlag verantwortlich und nahmen das Attentat zum Anlass für eine systematische Jagd auf die Angehörigen der Minderheit.

Ein trauriges Jubiläum

In einem Festakt gedachte Ruanda zusammen mit der ganzen Welt in Kigali an die Gräuel des Völkermordes vor 20 Jahren. Auch wenn das Land inzwischen politisch stabiler ist, die Spuren sind nach wie vor sichtbar: Viel mehr verstümmelte Menschen als anderswo bewegen sich auf den Strassen. Über 100'000 Kinder leben in sogenannten «Kinderhaushalten», wo sie sich in grösster Armut und weitgehend ohne Schulbildung durchschlagen. Die wenigen Waisenhäuser sind immer noch hoffnungslos überfüllt. Und noch immer treibt die Schuldfrage neue Blüten: Wegen der anhaltenden Diskussion über die Komplizenschaft Frankreichs am Völkermord sagten deren Vertreter eine Teilnahme an den Gedenkfeiern zunächst ab.

Erforscht, aber nicht bewältigt

Politiker vieler Länder und Vertreter der Vereinten Nationen betonten: So etwas darf nie wieder geschehen. Vor 20 Jahren wollte sich allerdings niemand so recht einmischen in den – vorher angekündigten – Genozid. Rund um die Gedenkfeiern und die Trauer um die Opfer wurde deutlich, dass der Völkermord in Ruanda nicht nur der grösste, sondern auch der am besten erforschte in der Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg ist. Doch Forschung (bisher hauptsächlich von Europa ausgehend – Wissenschaftler aus Ruanda sind kaum involviert) und Bewältigung, Versöhnung oder Heilung sind zwei Paar Schuhe. So bestimmen die «Bapfuye Buhagazi» immer noch das Bild des Landes, die «lebenden Toten», die sich nie mehr erholten von dem entsetzlichen Geschehen und seinen Folgen.

Ist ein Neuanfang möglich?

Es ist jedem klar, dass sich ein Konflikt dieses Ausmasses nicht wie ein Streit zweier Kinder klären lässt: «Und jetzt gebt euch die Hand und vertragt euch wieder …» Zu tief sind die Gräben, zu schwer die Folgen. Auch nach 20 Jahren haben die Überlebenden Albträume von ihren Erlebnissen. Auch nach 20 Jahren spricht kaum jemand darüber, was er damals erlebt hat. Traumaexperten setzen hier immer wieder an, doch es sind viel zu wenige. Auch nach 20 Jahren leben noch zu viele Opfer – und zu viele Täter. Auch nach 20 Jahren sind jedoch viele Christen im Land, die nicht aufhören, Versöhnung zu denken, zu predigen und vorzuleben. Floskeln und schnelle Antworten helfen Ruanda nicht weiter, doch dieses afrikanische Land hat nur mit Versöhnung die Chance auf einen Neustart, eine Zukunft, die diesen Namen verdient.

Zum Thema:
Versöhnung statt Hass: Nigeria: Von Feinden zu Friedenskämpfern
Licht am Ende des Tunnels: Versöhnung in Ruanda
Frei sein: Die Kunst zu vergeben

Datum: 07.04.2014
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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