Gerecht gesprochen und geheiligt – was bedeutet das?
«Gerechtsprechung» und «Heiligung» sind Begriffe, über die insbesondere Paulus immer wieder schreibt. Doch was genau bedeuten sie? Und was ist der Unterschied zwischen ihnen? Der nordirische Prediger Will Graham hat sich dazu Gedanken gemacht.
Gerechtsprechung ist nicht dasselbe wie Heiligung. Obwohl beide zur sogenannten «ordo salutis» (Heilsordnung) gehören, ist es extrem wichtig, genau zwischen den beiden zu unterscheiden.
1. Stellung oder Zustand?
Will Graham
Gerechtsprechung hat damit zu tun, wo ein Christ rechtlich steht, Heiligung, dagegen, bezieht sich auf seinen inneren Zustand. Die Gerechtsprechung ist ein rechtlicher Erlass Gottes, durch welchen er einen Sünder vor dem Gesetz Gottes als schuldlos und gerecht erklärt, dies dank der perfekten Gnade von Jesus. Ein Sünder kann damit nicht länger verurteilt werden, weil sein legaler Status oder seine rechtliche Stellung vor dem Herrn ausgeglichen wurde.
Bei der Heiligung geht es allerdings darum, was sich im Christen abspielt. Es betrifft seinen oder ihren Intellekt, den Willen und die Gefühle. Wenn man vom Prozess der Heiligung spricht, bezieht sich das darauf, dass der Gläubige Schritt für Schritt verändert wird, bis er seinem Retter Jesus immer ähnlicher wird. Genauso, wie ein Baby in diese Welt geboren wird und zu wachsen beginnt, läuft es auch in der geistlichen Welt ab. Gottes Kinder beginnen, in den Dingen, die Gott betreffen, zu reifen und sich zu entwickeln.
Demnach bezieht sich die Gerechtsprechung auf unsere rechtliche Stellung vor Gott, während die Heiligung unseren inneren Zustand betrifft.
2. Vollendet oder noch im Prozess?
Die Gerechtsprechung ist abgeschlossen. Es ist einmal geschehen und gilt für alle Zeit. Wenn Gott einen Kriminellen schuldfrei und gerecht spricht, gibt es kein Zurück mehr. Gott wird alle diejenigen ehren, die er gerecht gesprochen hat, weil er kein Mensch ist: Er lügt nicht und er ändert niemals seinen Sinn. Die berühmte Kette der Heilsgeschichte in Römer, Kapitel 8, Vers 30 erklärt es so: «Weil Gott sie für dieses Ziel bestimmt hat, hat er sie auch berufen. Und weil er sie berufen hat, hat er sie auch für gerecht erklärt. Und weil er sie für gerecht erklärt hat, hat er ihnen auch Anteil an seiner Herrlichkeit gegeben.» Durch diese rechtliche Erklärung des Vaters und den Verdienst von Jesus Christus am Kreuz darf ein Christ sich sicher sein, dass er gerettet ist, und sich darüber freuen.
Doch die Heiligung wird in diesem Leben nie beendet werden. Christen werden niemals komplett heilig sein, bis der Herr Jesus wiederkommt (Philipper, Kapitel 1, Vers 6). Bis dahin müssen wir Christen die Ärmel hochkrempeln und hart gegen unsere menschliche Natur ankämpfen, um dem Herrn zu gehorchen, der uns erkauft hat.
Die Gerechtsprechung ist also komplett vollendet, ein für alle Mal; Heiligung dagegen ist ein Prozess, Stück für Stück.
3. Gottes Wirken? Unser Verdienst? Oder beides?
Die Gerechtsprechung ist zu 100 Prozent das Werk von Gott, dem Vater. Allein Gott kann einen Sünder gerecht sprechen und zwar auf der Grundlage von Jesu Opfertod. In diesem Sinn liegt das nicht in den Händen der sterblichen Menschen.
Deshalb erhalten die Christen im Neuen Testament so viele moralische Aufforderungen. Wenn der Heilige Geist in einem Gläubigen wohnt, ist er nun dazu befähigt, nach dem Willen Gottes zu leben (Römer, Kapitel 6, Vers 13; Römer, Kapitel 12, Vers 1; Philipper, Kapitel 2, Vers 12; 1. Johannes, Kapitel 3, Vers 3). Demnach ist die Gerechtsprechung voll und ganz Gottes Werk, an der Heiligung sind aber sowohl Gott als auch der Gläubige mitbeteiligt.
4. Dasselbe Mass für alle?
Alle Christen werden im gleichen Masse gerecht gesprochen. Damit meine ich, dass es keinen Christ gibt, der «mehr gerechtfertigt» wird als ein anderer. Ein Gläubiger, der seit 25 Jahren Gott nachfolgt, ist vor Gott genauso gerecht wie ein anderer, der erst vor 25 Tagen sein Leben Jesus gegeben hat.
Bei der Heiligung dagegen gibt es unterschiedliche Grade. Es ist durchaus möglich, dass ein Jünger «heiliger» ist als ein anderer. Natürlich würde man erwarten, dass ein Christ, der seit 25 Jahren mit Jesus lebt, «heiliger» ist als derjenige, der erst seit 25 Tagen Christ ist. Denn Heiligung hat mit Wachstum und Reife zu tun. Es gibt sicherlich Gläubige, die schneller wachsen als andere. Aber die Idee ist, dass wir alle danach streben sollten, Christus immer ähnlicher zu werden.
Stellen Sie sich vor, Sie halten in Ihrer linken Hand eine kleinen, sauren Apfel, in der rechten dagegen einen grossen, reifen, saftigen Apfel. Welches ist der richtige Apfel? Natürlich sind beide richtig und echt, aber der in der rechten Hand hatte mehr Zeit zu reifen und zu wachsen.
In dem Sinne kann man sagen, dass es für die Gerechtsprechung keine Masseinheiten gibt, man ist entweder gerechtgesprochen oder nicht. Für den Prozess der Heiligung dagegen gibt es diese schon, denn der Wachstumsprozess besteht aus unterschiedlichen Reifegraden.
Was können wir daraus lernen?
Ein Christ muss sein Recht, dass er vor Gott stehen und bestehen darf, immer darauf gründen, dass er von Gott gerecht gesprochen wurde, niemals auf seine Heiligung. Denn wenn ein Christ die eigene Heilsgewissheit auf gute Werken oder die eigene geistliche Leistung gründet, wird er völlig erschüttert, wenn er sündigt. Doch wir müssen und dürfen uns immer daran erinnern, dass unsere Rettung von Gottes Rechtserlass abhängt. Denn so dürfen wir uns sicher sein, dass wir das ewige Leben haben, können Gott voller Freude gehorchen und auf Jesu Wiederkunft warten. Und wir können Gott dafür danken, dass er uns in Christus gerecht gesprochen hat und uns in seinem Geist heiligt!