Positive Auswirkungen von Situationen erkennt man oft gar nicht oder erst sehr viel später. So erging es der Autorin Kerstin Hack vor kurzem bei einem Erlebnis in der U-Bahn. Sie leitete daraus ein paar Tipps zum Thema «Perspektivwechsel» ab.
Als ich die U-Bahn betrat, stand sie da schon: eine Papiertüte aus
dem Biomarkt sass allein auf einer ganzen Sitzreihe. Kokosmilch und eine
Suppe konnte ich erspähen.
Situation in der U-Bahn
Kurz nach mir betritt eine obdachlose Frau die U-Bahn. Sie verkauft
die Obdachlosenzeitung und bittet um Spenden. Ich zeige ihr die Tüte mit
den Worten: «Die hat jemand vergessen. Nehmen Sie die doch mit.» Mehrfach fragt sie, ob das wohl ok sei. Eine andere Frau und ich
ermutigen sie. Der Einkäufer war offensichtlich nicht mehr im Wagen, die
Lebensmittel würden bei der nächsten Reinigung wohl nur weggeworfen
werden. Ins Fundbüro tut so was niemand.
Als ich aussteige steht die obdachlose Frau mit strahlendem Gesicht neben mir: So was Gesundes habe ich schon lange nicht mehr gegessen. Ich weiss gar nicht, ob ich das vertrage. Alles an ihr zeigt, wie glücklich sie ist.
Ich frage mich, wie die Person, die die Tüte vergessen hat, sich wohl
gefühlt hat. Vermutlich hat sie sich über sich selbst geärgert. Wie konnte ich nur so dumm sein. Oder in Selbstmitleid gedacht: Immer muss mir so etwas passieren. Sie ist vermutlich nicht auf den Gedanken gekommen, dass ihr Versehen Glück in das Leben eines anderen Menschen gebracht hat.
Wir neigen alle dazu, uns zu ärgern, wenn uns Missgeschicke passieren
oder Dinge nicht klappen. Da ist uns der Bus vor der Nase weggefahren,
die Strumpfhose bekommt auf dem Weg zum Vortrag eine Laufmaschen, der
Lieblingsjoghurt ist ausverkauft und die tolle Jeans gibt es nicht mehr
in unserer Grösse.
Negativ-Szenarien
«Ist das Glas halb voll oder halb leer?»
Wir neigen dazu, uns in solchen Situationen nur die Negativszenarien auszumalen.
Wir denken sicher...
Wir kommen zu spät
Leute denken, wir sind schlampig
Immer haben wir Pech
Jetzt habe ich nichts zum Anziehen
….
Wer automatisch davon ausgeht, dass Missgeschicke negative
Auswirkungen haben, wird insgesamt unglücklicher durchs Leben gehen und
sich häufiger als Opfer fühlen. Es wird ihm schwerer fallen, Gott und
dem Leben zu vertrauen.
Positiv-Szenarien
Wer glücklicher durchs Leben gehen will, kann sich einfach auch
vorstellen, dass das Geschehen vielleicht, nur ganz vielleicht auch
positive Auswirkungen haben könnte.
Vielleicht…
…tut mir die frische Luft jetzt gerade gut. / … ist der nächste Bus nicht so voll / … begegne ich neuen Menschen
…finden Leute es ja sympathisch, dass ich nicht perfekt bin. / …gebe ich jemanden die Chance mir zu helfen…
…waren ja Salmonellen im Joghurt./ … tut es mir gut, mal etwas Neues auszuprobieren, nicht zu eingefahren zu sein.
… ist es sinnvoll, erst meinen Kleiderschrank auszumisten, bevor ich mir neues kaufe (Tipp: Hier gibt's ne Challenge von mir dazu)
Wer auch die positive Möglichkeit mitdenkt, hat mehr.
Die Realität?!
Die Realität ist: Wir können in der Regel nicht wissen, wie genau
sich unser Handel auswirkt. Der Lebensmittel-Einkäufer wird nie
erfahren, dass seine vergessene Tüte einen anderen Menschen beglückt
hat.
Nur selten erfahren wir, dass das vermeintlich Negatives positive
Auswirkungen hatte. Etwa, dass eine Freundin sich freut, mit farblosen
Nagellack die Laufmasche zu stoppen und so ein kleines Stück Verbindung
zwischen zwei Menschen geschah.
Oder wie in der Geschichte von Joseph in der Bibel, der von seinen
Brüdern in die Sklaverei verkauft wurde, was am Ende dazu führte, dass
er seiner ganzen Familie und vielen anderen mehr in einer Hungersnot das
Leben retten konnte.
Oder auch wie bei Antonis Mavropoulos, der kürzlich einen Flug
verpasste, weil er zwei Minuten zu spät am Gate war. Natürlich ärgerte
er sich. Doch nur so lange, bis ihn – beim Einchecken in den nächsten
Flug – Polizisten zur Seite nahmen. Wieso er denn nicht mitgeflogen sei? Die Maschine Boeing 737 Max 8 mit der er eigentlich hätte fliegen wollen, war abgestürzt.
In den meisten Fällen erfahren wir die positiven Wendungen niemals. Doch natürlich gibt es diese Fälle auch.
Das Gute für denkbar halten – eine Übung
Autorin und Coach Kerstin Hack
Das Gute in Gedanken auch zuzulassen, ist kein Selbstbetrug.
Schliesslich können wir in der Regel tatsächlich nicht wissen, wie etwas
sich auswirkt. Diese Wahrheit anzuerkennen, ist gesunde Demut: Ich weiss nicht alles. Ich weiss nicht einmal 100%, wie genau sich dieses Situation sich negativ auswirken wird.
Wenn wir uns darin üben, das mögliche Gute auch zu denken, halten wir
unser Gehirn flexibel und schützen uns davor, in unserem Denken
engstirnig und eingefahren zu werden.
Ausserdem senden wir neben den Stresshormone auch einige Glückshormone
aus, die unseren Körper und unserer Seele gut tun. Das sorgt für eine
entspanntere Sicht auf die Welt und bessere Gesundheit. Schon dafür
lohnt es sich.
Aus der Psychotherapie stammt die sehr ähnliche Methode Reframing: "Stellen sie sich einmal vor, das Geschehen hängt in der Gallerie Ihres Lebens. In zwei Räumen zweimal dasselbe Bild.
Im ersten Raum hat das Bild einen dicken, breiten schwarzen Rahmen.
Und dann gehen Sie in den anderen Raum. Dort dasselbe Bild - diesmal mit einem feinen silbernen Rahmen. Was für ein Unterschied!"
Und dann die Schlüsselfrage: "Was brauchen sie, damit sie es sich erlauben können, Ihrem Bild einen neuen Rahmen zu geben?"
Das Ganze lässt sich gut mit einer Vorstellungsübung verbinden. Und: wir dürfen nach der Liebe Gottes als Rahmen fragen. Damit kann, siehe oben, das Gute im Licht der Gnade de
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