Neue Leidenschaft

Frischer Wind im Schlafzimmer

So manches Paar wünscht sich diese Zeit zurück, dieses Prickeln im Bauch bei jeder Begegnung, diese erwartungsvolle Spannung, diese Sehnsucht, wie zu Beginn der Beziehung, die dann in ein beglückendes gemeinsames Erleben von Sexualität mündet. Doch so einfach lässt sich die Zeit nicht zurückdrehen.

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Über die Jahre hat sich Routine eingeschlichen, Sehnsucht wurde immer wieder enttäuscht, Gleichgültigkeit macht sich breit. Unterschiedliche Erwartungen, die alltäglichen Anforderungen in Beruf und Familie, der ganz normale Alltagsstress führen zu Störungen im Erleben von Sexualität. Vorgeformte einseitige Vorstellungen und Bilder aus der Pornoindustrie oder aber auch die mit dem Alter organisch bedingte nachlassende Lust an Sex. Ganz bestimmt aber beschädigen irrige Mythen das glückliche Intimleben von Paaren.

Zum Beispiel Überzeugungen wie:

  • vergleichen, sich messen, Leistung bringen (wollen, müssen, sollen)
  • ständiges Reflektieren und Sich-selbst-Kommentieren (War ich gut, hätte ich besser sein können, warum hat es heute nicht so geklappt?).

Oder Überzeugungen aus der Mottenkiste sexueller Mythen:

  • Wer als Mann seiner Frau keinen Höhepunkt bescheren kann, ist kein richtiger Mann.
  • Der Penis muss möglichst gross sein, um eine Frau lustvoll befriedigen zu können.
  • Zur Sexualität ist immer eine starke Erregung notwendig.
  • Sexualität bedeutet immer, mit den Geschlechtsorganen Verkehr zu haben.
  • Männer sind prinzipiell immer bereit zum Sex.
  • Frauen sollten gleich mehrere Orgasmen haben.
  • Gleichzeitiger Orgasmus beider Partner ist das höchste Glück.

Manche dieser Mythen sind alt. Viele sind aber in den Köpfen unzufriedener Paare u.a. in der Zeit der sogenannten sexuellen Revolution entstanden. Sicher mögen manche Paare jene Aufbruchzeit in die Freizügigkeit als grosse Befreiung erlebt haben. Fakt ist aber, dass dieses «Alles ist zu jeder Zeit und überall erlaubt» nicht zwingend zu mehr Lust beigetragen hat. Im Gegenteil: Zweierbeziehungen lassen sich auf Dauer nicht mit idealisierter, intensiver Sexualität vereinbaren. Sex als Dauerbrenner ist ein moderner Mythos. Wer sich nur noch auf Sex konzentriert, verliert die Lust daran. Ein Wort schleicht sich dann heimlich in die Gedanken und Bewertungen von Sexualität und Lust ein: Ich müsste können. Und alles Müssen verdirbt hier die Freude – wie auch sonst im Leben. Vielmehr geht es um eine andere Haltung: Ich darf – muss aber nicht.

Echte Freiheit im Schlafzimmer

Es geht um echte Freiheit, die für Christen in der Glaubensbeziehung zu Jesus Christus verankert ist. Wer im Glauben geborgen ist, dem erschliesst sich in wahrer Freiheit und gebotener Begrenzung die Vielfalt des Lebens, auch im Blick auf Erotik und Sexualität. In diesem Wissen, zuerst von Gott geliebt zu sein, gibt es Befreiungswege für das eigene Denken: Wir müssen nicht unsere inneren Bilder von Sexualität ausleben, um ein kleines Stück des Lebensglücks und des Gefühls, geliebt zu werden, zu erhaschen. Wir müssen auch nicht den in der Biographie vorgespurten Erregungsmustern um jeden Preis folgen. Wir dürfen sie überwinden, sexuelle Lust und körperliches Glückserleben, Intimität und körperliche Vertrautheit gerade dort erfahren, wo wir sein dürfen, wie wir sind. Ein Höhepunkt darf sein, muss aber nicht. Zärtlichkeit kann in Geschlechtsverkehr münden, muss aber nicht. Was ist das für eine entwürdigende Entstellung von stimmungsvoller Erotik, wenn die Beteiligten unter dem Zwang innerer Vorstellungen bestimmte Ziele erreichen müssen, um dann und nur dann (eventuell) für einen kurzen Moment glücklich zu sein?

Auch wenn Geschlechtsverkehr statistisch die häufigste Form von sexuellem Kontakt ist, gibt es viele Männer und Frauen, die sich aus den verschiedensten, teils medizinischen Gründen auf andere Weise sexuell begegnen. Auch diese Formen können glücklich machen. Wer gegenüber dem anderen mit der Haltung «Ich will Lust haben und befriedigt werden. Das ist deine Pflicht!» antritt, der geht einen Lustverhinderungsweg. Eine gebotene Begrenzung ist die Grenze des anderen. Stehen mehr Wünsche im Raum, bedarf dies gemeinsamer Gespräche und der freiwilligen Bereitschaft des anderen, sich weiterzuentwickeln.

Jede Form von Gewalt ist nicht nur strafbar, sondern zerstört tief innen Vertrauen und die Sehnsucht nach erfüllender Erotik und Sexualität. Paare, die wenig oder unzureichend miteinander reden, tun sich schwer, Störungen in ihrer Zärtlichkeit zu überwinden. Paare, die lernen, aus der (in Gott verankerten) Freiheit zu leben, können unbefangener und gelassener Zeiten von Depressionen und Stresserleben durchleben, auch wenn im Bett mal nicht «so viel läuft».

Die Erotik neu entflammen

Damit wieder ein frischer, erotischer Wind durchs Schlafzimmer weht, ist es nötig, aufeinander zuzugehen, miteinander zu reden, Gemeinsames zu erleben (z.B. miteinander ausgehen, kleine Überraschungen im Alltag) und an einer tragbaren Beziehungsebene zu arbeiten. Dazu kommt, dass man auch beeinflussbare Störungsquellen beseitigt. So ist es hilfreich, wenn beide die Angst, bestimmten Erwartungen nicht zu genügen, angehen und überwinden. Auch wenn einen Sorgen umtreiben und andere Themen die ganze Aufmerksamkeit an sich reissen, braucht es zuerst eine Phase der Entspannung und Ruhe, um «in Stimmung zu kommen». Sonst überfordert sich das Paar. Förderlich sind auch Absprachen in äusseren Dingen: Wie findet mich der andere attraktiv, weiss ich das überhaupt, was kann ich dafür tun? Was können wir miteinander neu entdecken? Gelingt dies dem Paar im Gespräch miteinander nicht, so kann es hilfreich sein, in der Beratung moderiert das Gespräch zu suchen.

Manchmal stehen der Erotik auch schwere Störungsquellen entgegen, wenn körperliche Schwierigkeiten auftreten, psychische Probleme, z.B. aufgrund von Gewalterfahrungen, unüberwindbare Angst auslösen, wenn unversöhnliche Erwartungen im Raum stehen, zähe und lang andauernde Beziehungsprobleme belasten, «unerklärliche» Ekelgefühle vor den eigenen Geschlechtsteilen oder denen des anderen auftreten, wenn starke Abwehrgedanken kommen, sich selber nackt zu betrachten oder sich nackt betrachten zu lassen. In solchen Situationen ist es dringend geboten, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dort kann man lernen, negative Gefühle zu überwinden und positive auszudrücken, Zärtlichkeit ganz neu einzuüben und positive Lernerfahrungen zu machen, den Umgang mit Ärger und Enttäuschung zu optimieren, auch einmal versagen zu dürfen und zu begreifen, dass die Angst des einen Partners die Angst des anderen mit bedingen kann.

Eine gemeinsame Freiheit finden

Jeder Mensch hat sein persönliches Verständnis von Erotik und Sexualität. Und die wiederentdeckte Erkenntnis, dass sexuelle Aktivität keine Voraussetzung für psychische Gesundheit ist, führt immer mehr Menschen in die Befreiung von der sogenannten sexuellen Revolution. Ein Ehepaar definiert selber, was zu ihm passt und was nicht. Es gibt kein zwingendes «Richtig» oder «Falsch», sondern die Frage: Was ist für uns beide gemeinsam ein gangbarer und erfüllender Weg? Wichtig ist, dass beide diese Freiheit finden: Geschehen lassen, was geschieht, Freiheit schenken, die den anderen beglückt, neugierig bleiben auf den anderen: Wie mache ich den anderen glücklich? Glück und Zufriedenheit können dann zurückkommen. Klar ist: Erotik geschieht höchst selten schicksalhaft. Erotik braucht Zeit und eine möglichst stressfreie Zone.

Weitere Artikel zum Thema in der Zeitschrift vom Weissen Kreuz.

Datum: 29.10.2013
Autor: Wilfried Veeser
Quelle: Weisses Kreuz

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