Das Rezept für guten Sex?!

Der Mythos vom Warten und das Märchen vom Ausprobieren

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Die einen halten christliche Werte für überholt und propagieren, dass sich Paare sexuell «ausprobieren» sollten. Die anderen legen Reinheitsversprechen ab und planen, aus Glaubensgründen jungfräulich in die Ehe zu gehen. Doch so unterschiedlich diese Motive und Positionen auch sind: Beide gehen dabei oft von einer übertriebenen Gewichtung der Sexualität aus.

Die US-Autorin und Dozentin Rachel Pietka schrieb darüber einen Artikel im christlichen Relevant Magazine und berührte damit einen wunden Punkt: Jenseits der Diskussion, welches Verhalten richtig und welches falsch ist, kommt sie zu dem Schluss, dass manches christlich geprägte Reinheitsgelübde nicht besonders hilfreich ist, weil es sich im Kern viel zu stark ums Thema Sex dreht.

Romantisch verklärtes Warten

«Wahre Liebe wartet» (WLW) ist eine Keuschheitsbewegung aus den USA. Dort gibt es etliche vergleichbare Organisationen, doch WLW ist als einzige auch im europäischen Raum vertreten. Mit einer Selbstverpflichtung legen sich junge Menschen hier fest, mit dem Sex bis zur Ehe zu warten: «In dem Glauben, dass wahre Liebe wartet, verpflichte ich mich vor Gott, gegenüber mir selbst, meiner Familie, meinen Freunden, meinem zukünftigen Ehepartner und meinen künftigen Kindern, von diesem Tag an sexuell enthaltsam zu leben bis zum Tag meiner kirchlichen Heirat.» Doch dieses Warten hebt die Erwartung auf ein besonders hohes Niveau. Barbara Müller, die Frau des Leiters der deutschen WLW-Bewegung, beschreibt ihre Entscheidung, zu warten, folgendermassen: «Sie… hatte andere Vorstellungen von Liebe und Glück, als diese kurzen Beziehungen mit tränenreichem Ende. Sex sollte etwas Besonderes und Erfüllendes sein. Etwas, das sie mit ihrem Geliebten verbinden sollte. Sie beschloss, mit dem Sex bis zur Ehe zu warten.» Was Müller als beglückend erlebte, wurde für andere zur Katastrophe. Jessica Henriquez schrieb einen desillusionierten Artikel über ihre Erfahrungen und meinte darin: «Ich versprach Enthaltsamkeit in der Hoffnung, dass dies eine starke Ehe ermöglichen würde. Stattdessen führte es zu einer schnellen Scheidung.»

Die beiden Berichte unterstreichen zwei Grundsätze: Erstens sind es «nur» persönliche Erfahrungen. Sie sagen nichts darüber aus, welches Verhalten tatsächlich biblisch fundiert ist. Zweitens sind es persönliche Erfahrungen, die beide voll gültig sind und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Am Ende von Rachel Pietkas Artikel kommentieren einige Leser kritisch: «Wir haben gewartet und sind so glücklich darüber…» Das ist wunderbar und voll gültig. Es hebt aber nicht die gegenteiligen Erfahrungen anderer Christen auf, die unter ihrem Reinheitsversprechen und seinen Folgen leiden.

Partnerschaft ist mehr als Sex

Aus biblischer Perspektive ist das Ausprobieren, welcher Partner wohl der geeignetste ist und mit wem man sexuell am besten harmoniert, nicht das Mass aller Dinge. Doch manche Christen schiessen hier weit über das Ziel hinaus. Bei ihnen kommt ein überzogenes Versprechen zum Tragen: Wer seine Sexualität aufspart, der wird belohnt. Der spätere Sex wird all das erfüllen, was sie oder er sich erträumt haben. Er wird elektrisierend sein, erotisch oder, wie Elisabeth Elliot es ausdrückte, «das Warten unbeschreiblich wert sein».

Das einzige Problem bei dieser Betonung ist: Sie ist grundfalsch. Enthaltsamkeit ist völlig in Ordnung, doch ihr Zweck ist Gehorsam gegen Gott und nicht besonders guter Sex. Ehe und Partnerschaft werden in der Bibel intensiv beschrieben. Tatsächlich geht es darin um Vertrauen, Freundschaft, Kommunikation… und auch um Sex. Doch Sex ist eben nur ein Element unter vielen. Und die Gleichung: «Je länger ich warte, desto erfüllender wird er am Ende» geht nicht auf. Tatsächlich gibt es viele Christen, die im Laufe ihrer Ehen sehr ernüchtert sind über ihr Liebesleben. Und die doppelt darunter leiden, denn sie haben den Anspruch, dass Sex gerade für sie als Christen besonders gut «funktionieren» muss. Vorsicht: Das kann sein, aber es muss nicht.

Die eigentliche Berufung von Christen

Manche christlichen Ratgeber enthalten vollmundige Versprechungen: «Gott möchte, dass du grossartigen Sex erlebst.» Das Problem bei Aussagen wie diesen ist, dass die Bibel solche Berufungen nicht gibt. Gott beruft Menschen zu allen möglichen Aufgaben – ein erfülltes Sexualleben gehört nicht dazu! Das bedeutet nicht, dass sexuelle Erfüllung als Christ nicht wünschenswert oder nicht möglich ist. Aber es gibt eben keine Garantie dafür. Christen, die zwar mit dem Sex bis zur Ehe warten wollen, aber dann mit Gottes grosser Belohnung rechnen, werden nicht nur leichter enttäuscht, sie sind genauso auf individuellen Lustgewinn programmiert wie Menschen, die nicht nach Gott fragen.

Aber was tut man als Ehepaar, wenn sich die erwartete Harmonie im Bett nicht einstellt? Wenn Kinder, Arbeit oder Krankheit ein erfülltes Sexualleben – mindestens zeitweise – unterbinden? Richtig: Man kommt zurück zu der eigentlich einleuchtenden Vorstellung, dass Sex nicht alles ist. Auch dann nicht, wenn wahre Liebe gewartet hat.

Zum Thema:
Dieses Buch polarisiert: «Liebeslust» - Sexualität unverschämt und echt geniessen 
Sexualethik in der Bibel: Was die Bibel wirklich zu ausserehelichem Sex sagt
Wahrnehmungsstörung: Wir brauchen ein «Reset» für unser Denken beim Thema Sex
Gesunde Intimität: Wie man eine erfüllte sexuelle Beziehung leben kann

Datum: 11.08.2019
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Relevant Magazine

Kommentare

Sie sprechen mir mit ihrem Artikel aus dem Herzen. Ich selber habe auch gewartet in der Überzeugung, mit einem guten Sexleben in der Ehe belohnt zu werden. Nach 28 Ehejahren sehe ich das etwas nüchterner ;-) Letztendlich ist es ein lebenslanger Prozess und liegt zum grossen Teil an uns, wie wir unser Sexualleben gestalten und leben. Zudem sehe ich heute, dass gerade in christlichen Kreisen die "Gefahr" einer verfrühten Ehe besteht, weil man nicht mehr warten mag... und dann all zu bald auf dem Boden der Realität landet. Wäre es nicht sinnvoller, mehr den Sex IN der Ehe, als VOR der Ehe zu thematisieren? Das ist nämlich nach wie vor ein grosses Tabu...

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