«Wirklich?»

Christen und islamische Schutzbehauptungen

Auch in den reformierten Kirchen gibt der Ausgang der Minarett-Abstimmung am 29. November weiter zu reden. Der Religionswissenschaftler Georg Schmid, der Verantwortliche kritisiert hat, nimmt im Folgenden dazu Stellung.
 
Mit gutem Grund fragen sich Kirchenbehörden und kirchliche Medien, warum ein grosser Teil des Kirchenpublikums in der Abstimmung über das Minarettverbot ihre Abstimmungsempfehlungen in den Wind geschlagen und der Initiative zugestimmt hat. Einzelne Kommentatoren verweisen auf den zunehmenden Bedeutungsverlust der Kirchen in der Schweizer Öffentlichkeit. Wie immer dieser Bedeutungsverlust einzuschätzen wäre, zweifellos stossen kirchliche Verlautbarungen, die den Islam betreffen, in einem breiten Teil des Kirchenpublikums auf ein tiefes Misstrauen.

Gleichstellung der Frau: Die Behauptung...

Das verwundert niemanden, der die kirchlichen Printmedien studiert. Da wird zum Beispiel in der letzten Nummer a+o, der MitarbeiterInnenzeitung der reformierten Landeskirche Aargau, über Begegnungsfeiern und öffentliche Gespräche von Christen und Moslems berichtet. Im Zusammenhang mit einem Rückblick auf ein interreligiöses Frauengespräch wird die Meinung einer Muslima und Islamologin erwähnt, wonach die Gleichstellung von Mann und Frau «konstitutiv» sei für den Islam. «In der anschliessenden Diskussion ...wurde klar, dass kulturell bedingte Frauenfeindlichkeiten von den Vertreterinnen beider Religionen kritisiert wurden» (a+o, Nr. 12, Dezember 2009, S.5). Mit keiner Bemerkung gibt die Artikelschreiberin zu verstehen, dass die erwähnten Aussagen Fragen in ihr wachrufen. Es ist wie es ist: Für den Islam ist Gleichstellung von Mann und Frau «konstitutiv». Als hätten nur kulturelle Umstände dieser Gleichstellung hie und da im Wege gestanden.

...und was der Koran sagt

Doch die Appelle an die Kirchenbasis, sich mit dem Islam zu befassen, haben gefruchtet. Es gibt Leute, die selbst im Koran lesen und darin Aussagen finden, die nichts von dieser konstitutiven Gleichstellung erkennen lassen. Aussagen, die eindeutig die Männer über die Frauen stellen (2,228; 4,34), den Männern das Recht oder gar die Pflicht zuschreiben, widerspenstige Frauen zu schlagen (4,34), die die Polygamie befürworten (4,3) und viele ähnliche Aussagen mehr.

Wie soll nun das denkende Kirchenpublikum die These deuten, wonach die Gleichstellung von Mann und Frau konstitutiv für den Islam und alle gegenteilig lautenden Bräuche rein kulturell bedingt seien? Der Koran ist doch konstitutiv für den Islam.

Moslemische Schutzbehauptungen...

Die nahe liegende Deutung lautet: Moslems, inklusive muslimische Islamologen, greifen Not gedrungen zu Schutzbehauptungen, wenn dies der Ehre des Islams dient. Historische und theologische Wahrheit darf verdreht werden. Aber auf keinen Fall darf ein Schatten der Kritik auf den Islam fallen. Das ist in jedem Fall und mit jedem Argument zu verhindern.

Die Angst um die Ehre des Islams greift im Gespräch zu irgendwelchen Schutzbehauptungen, zum Teil plausibel, zum Teil völlig absurd. So hat einmal ein Moscheevorsteher uns öffentlich erklärt, niemand habe je die Rechte und die Stellung der Frauen so sehr gefördert wie Mohammed. Derselbe Experte meinte im Blick auf die Friedensliebe des Islams, noch nie habe sich der Islam mit Gewalt oder Krieg ausgebreitet. Solche Schutzbehauptungen sind im Munde von Moslems nicht verwunderlich. In einer Religion, die noch immer oder wieder neu jede Selbstkritik in die Nähe der Gotteslästerung rückt, sind Schutzbehauptungen in öffentlichen Debatten fast naturgegeben.

...unbefragt weitergetragen

Wenn sich aber informierte Christen über solche Schutzbehauptungen ärgern oder gar entsetzlich aufregen, wirkt es umso seltsamer, dass andere Christen solche Schutzbehauptungen unbefragt kolportieren und beim Kirchenpublikum den Eindruck erwecken, sie würden die Schutzbehauptung als solche nicht erkennen.

Komplizen islamischer Propaganda

Der Umgang mit islamischen Schutzbehauptungen spaltet zur Zeit das kirchliche Publikum. Die tolerante Minderheit, in den Redaktionsstuben der kirchlichen Medien und in den Kirchenverwaltungen reichlich vertreten, wagt oft sogar dann kaum, den Schutzbehauptungen öffentlich zu widersprechen, wenn sie dies im kleineren Kreise tut. Sie macht sich so zum Komplizen einer Islampropaganda, die beim breiten Publikum nur noch als Propaganda wahrgenommen wird. Die islamkritische Mehrheit hingegen ereifert sich über die «Lügenpropaganda» der öffentlich sich äussernden Moslems und ihrer Islamologen und über die Naivität ihrer eigenen Kirchenvertreter, die scheinbar oder tatsächlich dieser Propaganda auf den Leim kriechen.

Vertrauenskrise überwinden

Wenn die beiden Gruppen wieder zueinander finden sollen und die Vertrauenskrise im Kirchenpublikum überwunden werden soll, müssen auch in den offiziellen christlichen Medien Schutzbehauptungen ohne Häme und Schadenfreude, ruhig und sachlich als solche qualifiziert werden. Die islamkritische Mehrheit aber muss den Umstand akzeptieren, dass Ehrlichkeit überall dort zu kurz kommen muss, wo die Ehre der eigenen Religion um jeden Preis geschützt wird.

Beide Seiten stehen vor schwierigen Aufgaben: Manche Tolerante würden so gerne nur tolerant sein und auf jede kritische Rückfrage verzichten. Und die Islamkritiker würden am liebsten jedes religiöse Lügengewebe sofort wütend in der Luft zerreissen. Mit einer (gerade im Blick auf die Wahrheitsfrage) anderen religiösen Mentalität zusammenzuleben, ohne zum Feind oder zum Komplizen zu werden, ist eine Kunst, die wir er erst noch lernen müssen.

«Wirklich?»

Manchmal beherrschen die säkularen Medien diese Kunst schon ein wenig besser als wir. Im «Blick» vom 27.November behauptete der Mufti von Jerusalem in einem Interview mit dem Journalisten: «Niemals hat sich ein Muslim gegen den Bau einer Kirche in einem muslimischen Staat negativ geäussert.» Diese Aussage ist angesichts der zahllosen Einschränkungen, die Christen in vielen islamischen Ländern auf sich nehmen müssen und die nicht nur ihre Kirchenbauten oder gar nur eventuelle Kirchtürme betreffen, völlig absurd.

Der Blick-Journalist wagte dieser Behauptung zwar nicht direkt zu widersprechen. Aber er setzte ein grosses Fragezeichen zur Schutzbehauptung des Mufti: «Wirklich?» In manchen kirchlichen Stellungnahmen und Zeitschriften wäre es schon ein Fortschritt, wenn der Mut zum grossen Fragezeichen angesichts islamischer Schutzbehauptungen nicht unterdrückt würde.

Datum: 16.12.2009
Quelle: Livenet.ch

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