Sudan

Die Sternstunde

Tag 6 im kriegsgeschüttelten Süden des Sudan. 500 Sklaven sind freigekommen. Ihre Geschichten sind erschütternd. Wir begleiteten das Hilfswerk CSI in das flächenmässig grösste afrikanische Land.

Gunnar Wiebalck und John Eibner vom christlichen Hilfswerk CSI (Christian Solidarity International) dokumentieren im nahen Warawar 500 freigekommene Sklaven. Die Lebensgeschichten erschüttern. Sie gleichen zum Teil denjenigen von Adut Adam Ich war 15 Jahre lange eine Sklavin und Ahuk Tong Gefangen, verkauft, unterdrückt . Cindy Castano filmt für den TV-Sender «National Geographic». Gunnar Wiebalck bezeichnet diese Befreiung als Sternstunde des Werks.

Die Spritze

Mit mir selbst ist heute wenig los. Auf dem Programm wäre heute anderes gestanden: Interviews mit Helena Adelino, einer ehemaligen Sklavin, sowie das Einholen der Erlaubnis, sie vor dem Panzer fotografieren zu dürfen. Doch nach einer beschwerlichen ersten Nachthälfte schleppte ich mich so gegen fünf Uhr morgens zu Dr. Luka, der unter freiem Himmel schläft. Halb k.o. fiel ich in den warmen Sand. Die kühle Brise war angenehm, im Gegensatz zur kräfteraubenden Krankheit. Der Arzt verabreichte mir eine Spritze und ein paar Pillen.

Die Fliege

Der Rest des Tages bestand für mich aus Halbschlaf, Einnahme von möglichst viel Wasser und einem intensiven Zweikampf mit einer Schwadron von Fliegen. Dieser endete schätzungsweise mit einem Unentschieden – sie fanden mein Insektenspray zwar nicht besonders lustig, kamen aber trotzdem regelmässig wieder angeschwirrt.

Der Commissioner – ein Regierungsbeamter der Region – besuchte den Doktor und versicherte mir, dass ich den Sudan gesund verlassen würde. An der Umsichtigkeit von Dr. Luka sollte es nicht fehlen, ebenso wenig an der seines Teams. Erwähnt sei an dieser Stelle Bono. Er ist um die 20 Jahre alt und erledigt diverse Jobs für den Arzt. Zum Beispiel serviert er alle paar Stunden den bereits beschriebenen Tee. «Ich möchte mich weiterbilden», hatte der junge Mann zu mir gesagt. «Doch ich kann nicht.» Wegen dem Krieg. Es ergeht hier vielen wie Bono. Die Männer müssen die südsudanesische Befreiungsarmee SPLA verstärken. Diese verhindert das Vorrücken der moslemischen Regierungsmilizen und dämmt die damit verbundenen massenweisen Vertreibungen durch das Regime ein.

Auch heute kein Abschuss

In meiner liegenden Position unter freiem Himmel könnte man gut eine Kalaschnikow anlegen und einen Antonow-Bomber aus Khartum abschiessen. Doch die Armierung fehlt ebenso wie – glücklicherweise – die Bomberstaffeln aus dem Norden.


Lesen sie auch die Serie dazu:
1. Teil Ich war 15 Jahre lang eine Sklavin
2. Teil Meine Klinik begann unter einem Baum
3. Teil Ein Arzt im Bombenhagel
4. Teil Noch keine Skorpione
5. Teil Die Milizen geben auf
6. Teil Gefangen, verkauft, unterdrückt
7. Teil Um diese Zeit kommen manchmal die Bomber
8. Teil Hühner schreien zwischen den echten "Music Stars
9. Teil So wurde aus der Kornkammer ein Armenhaus
10. Teil Vier Kinder vom angetrauten Vergewaltiger
11. Teil Eine entvölkerte Schweiz, mitten im Sudan
13. Teil Der älteste Sohn der Familie vergewaltigte mich
14. Teil Nicht ohne meine Kinder
15. Teil Schweizer Hilfswerk macht Weltpolitik
16. Teil So wurde die UNO zum Regime-Komplizen
17. Teil Wir haben die Hand Khartums geführt
18. Teil Die USA und das gigantische Missverständnis
19. Teil Wir machen uns zu Komplizen
20. Teil Wie viele sterben noch in Darfur?
21. Teil Nothilfe Sudan
22. Teil Gegen die Hungerkatastrophe im Sudan ankämpfen
23. Teil Weihnachten im Hungergebiet
24. Teil Diesesmal kein Tränengas zu Weihnachten
25. Teil "Wir werden eure Männer und Söhne töten" - wie lange schaut die Welt den Gräueln in Darfur zu?

Webseite: www.csi-int.org

Datum: 11.06.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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