13 Da rief einer aus der Menge: «Herr, sage doch meinem Bruder, er soll unser Erbe gerecht mit mir teilen.» 14 Aber Jesus wies ihn zurück: «Bin ich etwa euer Richter oder Schiedsmann?» 15 Dann wandte er sich an alle: «Hütet euch vor der Habgier! Wenn jemand auch noch soviel Geld hat, das Leben kann er sich damit nicht kaufen.» 16 An einem Beispiel erklärte er seinen Zuhörern, was er damit meinte: «Ein reicher Gutsbesitzer hatte eine besonders gute Ernte. 17 Er überlegte: 'Wo soll ich bloss alles unterbringen? Meine Scheunen sind voll; da geht nichts mehr rein.' 18 Er beschloss: 'Ich werde die alten Scheunen abreissen und neue bauen, so gross, dass ich das ganze Getreide, ja alles, was ich habe, darin unterbringen kann. 19 Dann will ich mich zur Ruhe setzen. Ich habe für lange Zeit ausgesorgt. Jetzt lasse ich es mir gut gehen. Ich will gut essen und trinken und mein Leben geniessen!' 20 Aber Gott sagte zu ihm: 'Du Narr! Noch in dieser Nacht wirst du sterben. Was bleibt dir dann von deinem Reichtum?' 21 So wird es allen gehen, die auf der Erde Reichtümer sammeln, aber mit leeren Händen vor Gott stehen.»
12,13 Nun trat "einer aus der Volksmenge" vor und bat den Herrn, einen Erbstreit zwischen ihm und seinem "Bruder" zu schlichten. Man hat oft gesagt, wo es ein Testament gibt, gibt es auch viele Verwandte. Das scheint hier zuzutreffen. Uns wird allerdings nicht gesagt, ob dem Mann sein rechtmässiger Anteil vorenthalten werden sollte oder ob er nach mehr als seinem Anteil gierte.
12,14 Der Erlöser erinnerte ihn gleich daran, dass er nicht in die Welt gekommen sei, sich mit solch trivialen Streitereien abzugeben. Der Zweck seines Kommens war die Erlösung sündiger Menschen. Er wollte sich nicht von dieser grossen und herrlichen Aufgabe abbringen lassen, um ein mickriges Erbe aufzuteilen. (Ausserdem hatte er auch kein Recht dazu, solche Streitigkeiten zu schlichten. Seine Entscheidung wäre nicht rechtsverbindlich gewesen.)
12,15 Doch der Herr benutzte diesen Vorfall, um seine Hörer vor einem der schlimmsten Laster des menschlichen Herzens zu warnen, nämlich vor der "Habsucht". Das unersättliche Streben nach materiellem Besitz ist einer der stärksten Antriebe im menschlichen Leben. Und doch geht man dabei am Sinn menschlicher Existenz vorbei. "Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat" (LU 1984). Wie J. R. Miller betont:
Das ist eines der Warnzeichen, die unser Herr aufgestellt hat, die die meisten Menschen heute anscheinend nicht mehr beachten. Christus sagte sehr viel über die Gefahren des Reichtums, doch es gibt nur wenige Menschen, die sich vor Reichtum fürchten. Habsucht wird heutzutage kaum noch als Sünde angesehen. Wenn jemand das sechste oder achte Gebot bricht, dann wird er als Krimineller hingestellt und wird mit Schande überschüttet, doch wenn er das zehnte bricht, dann ist er nur geschäftstüchtig. Die Bibel sagt, dass die Geldliebe die Wurzel alles Übels ist, doch jeder, der diesen Spruch zitiert, betont immer das Wort "Liebe" und erklärt schnell, dass nicht das Geld an sich, sondern die Liebe zum Geld eine so schlimme "Wurzel" ist.
Wenn man sich umschaut, dann hat man den Eindruck, dass der Mensch doch davon lebt, dass er viele Güter hat. Die Menschen denken, dass ihre Grösse von ihrem Reichtum abhängt. Und das scheint auch so zu sein, denn die Welt misst Menschen nach ihrem Bankkonto. Und doch hat es nie einen schlimmeren Fehler gegeben. Ein Mensch wird im Gericht danach beurteilt, was er ist, nicht danach, was er hat.42)
12,16-18 Das "Gleichnis" vom reichen Toren verdeutlicht die Tatsache, dass Besitz nicht das wichtigste im Leben ist. Weil ein reicher Bauer eine ausserordentlich gute Ernte hatte, schien er mit einem sehr schlimmen Problem konfrontiert zu sein. Er wusste nicht mehr, wohin mit all dem Korn. Alle seine Scheunen und Silos waren voll. Da dachte er nach. Er löste sein Problem. Er entschied sich, seine "Scheunen niederzureissen und grössere zu bauen". Er hätte sich die Ausgabe und die Mühe dieses riesigen Bauprojektes sparen können, wenn er nur die notleidenden Menschen um sich herum gesehen hätte und seinen Reichtum benutzt hätte, um ihren Hunger zu stillen, sowohl den geistlichen als auch den leiblichen. Ambrosius hat gesagt: "Der Schoss der Armen, die Häuser der Witwen und die Münder der Kinder sind die Scheunen, die ewig bleiben."
12,19 Als seine neuen Scheunen fertig waren, plante er, sich zur Ruhe zu setzen. Man beachte seinen Geist der Unabhängigkeit: "Meine Scheunen, mein Korn, meine Güter, meine Seele." Er hatte seine Zukunft schon geplant. Er wollte "ausruhen, essen, trinken und fröhlich sein".
12,20.21 Doch als er dachte, dass auch die Zeit ihm gehöre, brach über ihn das ewige Verderben Gottes herein. Gott sagte ihm, dass er noch "in dieser Nacht" sterben müsse. Dann würde er all seinen irdischen Besitz verlieren. Er würde anderen gehören. Jemand hat einmal einen Toren als jemanden beschrieben, der nur bis zu seinem Grab plant. Dieser Mann war ganz sicher ein Tor.
"Für wen wird es sein?" fragt Gott ihn. Wir könnten uns auch selbst die Frage stellen: "Wenn Jesus heute wiederkommen würde, wem würde all mein Besitz zufallen?" Wie viel besser, wenn wir ihn heute für Gott benutzen, als ihn morgen in die Hände Satans fallen zu lassen. Wir können uns jetzt im Himmel Schätze sammeln, und so "reich im Blick auf Gott" werden. Oder wir können sie für unser Fleisch verschwenden und so vom Fleisch Verderben ernten.
Quelle: Kommentar zum Neuen Testament - William McDonald