Regelmässiger Gottesdienstbesuch – ist das wirklich nötig?
Viele Gemeinden bieten mitterweile Live-Übertragungen oder Aufnahmen
ihrer Gottesdienste an. Ein angenehmer Service. Ist es dann überhaupt
noch nötig, in die Kirche zu gehen? Doch, und zwar nicht nur wegen dem
anschliessenden Kirchencafé.
Sonntag – für viele der einzige Tag, an dem man ausschlafen, gemütlich brunchen oder einfach ausruhen kann. Aber in die Kirche gehen? Andere meiden die Kirche, weil sie mit gewissen Mitgliedern einfach nicht können. Ein Freund fragte mich einmal: «Wieso muss man überhaupt in die Kirche gehen? Ich lebe meinen Glauben viel besser und intensiver allein in meinem Zimmer mit Gott…» Was ist also dran mit dem wöchentlichen Gottesdienstbesuch? Muss man ein aktives Mitglied einer Gemeinde sein, um ein guter Christ zu sein?
Ob man Christ ist oder nicht, das hängt natürlich weder von der Gemeinde, noch von der Anzahl der Gottesdienstbesuche ab. Denn hier ist allein entscheidend, ob man Jesu Opfer am Kreuz für sich persönlich angenommen hat und mit Jesus lebt. Und doch ist es nicht egal, ob ein Christ zu einer Gemeinde gehört oder nicht. Selbst Predigten online anzuschauen, was mittlerweile viele Gemeinden anbieten, oder sie vor Ort live zu hören macht einen Unterschied – finden viele Prediger und Theologen.
Ermutigung für sich und andere
Der Brite Sam Allberry von Ravi Zacharias International Ministries bezieht sich dabei schlicht und einfach auf die Bibel, denn im Hebräerbrief wird das Thema ganz deutlich angesprochen: «Einige haben sich angewöhnt, den Gemeindeversammlungen fernzubleiben. Das ist nicht gut; vielmehr sollt ihr einander Mut machen.» (Hebräer, Kapitel 10, Vers 25a) Und Allberry fügt hinzu: «Das Gegenteil davon, nicht in die Kirche zu gehen, ist also, einander zu ermutigen.»
Dies ist für den Pastor einer der Hauptgründe, regelmässig zur Kirche zu gehen. «Eine der Hauptsachen, die in der Kirche geschehen, und einer der Hauptgründe, weshalb wir Kirche brauchen, ist, dass wir als Christen Ermutigung brauchen. Wir sind nicht dafür geschaffen, das christliche Leben allein zu leben. Gott hat es so gemacht, dass eines der Dinge, die dich anspornen, die Ermutigung und der Input der christlichen Familie ist. Und was die anderen anspornt, ist deine Ermutigung ihnen gegenüber! … Aber dafür musst du ein Mitglied deiner Gemeinde sein.» Denn, so folgert Allberry, wer nicht regelmässig in der Kirche ist, kennt die anderen Mitglieder überhaupt nicht gut genug, um sie zu ermutigen – und andersherum. Sich in die Gemeinde einzubringen, ist also nicht nur zum eigenen Vorteil, sondern vielmehr eine Verantwortung anderen gegenüber.
«Gemeinschaft ist wichtig»
Auch der bekannte Prediger Billy Graham wurde gefragt, ob es nicht ausreicht, Predigten von zuhause aus am Fernsehen oder online zu gucken. Fast ein wenig ironisch, wurden doch unzählige Predigten Grahams bereits über TV ausgestrahlt (dabei handelt es sich allerdings meistens auch um evangelistische Predigten, die eh für Nichtchristen gedacht sind). Der US-Prediger gab zwar zu, dass das Schauen von Predigten und ganzen Gottesdiensten seine Vorteile hat, insbesondere für Menschen mit gesundheitlichen Problemen wie er selbst. Aber, so Graham, man verpasse doch jede Menge. «Zum einen verpasst du die Gelegenheit, Teil der Gemeinde zu sein – mit anderen zu singen, für Gottes Werk zu spenden und insbesondere andere Christen kennenzulernen und von ihnen zu lernen. Aber du verpasst auch die Gelegenheit, Jesus zusammen mit anderen Gläubigen zu dienen. Eine lebendige Gemeinde schaut nicht nur nach innen. Sie schaut nach aussen und sucht nach Möglichkeiten, anderen im Namen Jesu zu dienen.»
Keine Rechenschaft ablegen
Der Präsident des Theologischen Seminars der Südbaptisten in den USA, Albert Mohler, empfindet es sogar als «gefährlich für Christen», wenn sie Gottesdienste nur von zu Hause aus verfolgen. «Jesus beabsichtigt es ganz klar, dass sein Volk sich in einer Gemeinde trifft. … Natürlich kann man durch Online-Predigten bereichert werden oder dadurch, in das Wissensmeer christlicher Webseiten einzutauchen, aber das darf nicht die Authentizität ersetzen, die einzig in der lokalen Gemeinde und in ihrem Dienst zu finden ist.»
Etwas anderes, das Mohler bei den «Haus-Christen» vermisst, ist das Thema «Rechenschaft abgeben». Wenn niemand weiss, dass ich Christ bin, dann muss ich auch vor niemandem mein Benehmen, meinen Lebensstil oder meine Wesensart verantworten. Und manchmal ist es auch wichtig, Vergebung laut zugesprochen zu bekommen. «Wir brauchen es, unsere Sünden zu gestehen und einander Vergebung zuzusprechen», schreibt Mohler.
Doch der (regelmässige) Gottesdienstbesuch hat noch weitere Vorteile, wie unterschiedliche Studien insbesondere in den USA zeigen. Laut einer Studie von Jama Psychiatry ist die Suizidgefahr bei Frauen, die einmal wöchentlich oder öfter in den Gottesdienst gehen, fünf Mal geringer als bei Frauen, die sich nie zum Gottesdienst treffen. Und eine Havard-Studie hat herausgefunden, dass Paare, die gemeinsam Gottesdienste besuchen, sehr wahrscheinlich länger leben, mit geringerer Wahrscheinlichkeit depressiv werden und sich mit geringerer Wahrscheinlichkeit scheiden lassen.