Nach der Unruhe von Palmsonntag, als der Galiläer auf dem Esel in Jerusalem einritt, hält die Spannung in der Stadt an. In den Diskussionen auf dem Tempelberg legt Jesus den Finger auf den eigentlich wunden Punkt: die Spannung zwischen dem Volk und Gott.
Der Tempelberg in Jerusalem: Hier spricht Jesus über die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk.
Die Jerusalemer können sich mit dem prächtigen Bau auf dem Tempelberg brüsten. Kein anderer Herrscher der Region hat in den letzten Jahrzehnten seiner Hauptstadt eine ähnliche Anlage finanziert. Weit über den Tod von König Herodes hinaus dauerten die Bauarbeiten. Doch was sagen die Prachtsbauten über die tatsächliche Beziehung zwischen Gott und seinem Volk, den Juden? Dem König Salomo, der den ersten Tempel errichten liess, sagte Gott zu, er werde seinen Namen hier wohnen lassen. Finden die Leute die Stille, um zu beten und mit ihrem Schöpfer ins Reine zu kommen? Begegnet der Gott des Himmels und der Erde seinen Menschen, den Armen und den Reichen? Strahlt der Gottesdienst aus ins öffentliche Leben?
Gottes Segen auf sicher?
Es geht Jesus um diese Beziehung zwischen Gott und seinem Volk. Sie gründet auf dem Bund, den Mose einst am Berg Sinai vermittelte und der durch David auf Jerusalem, auf den Berg Zion zentriert wurde. Im Tempel will Gott für sein Volk anwesend, segnend gegenwärtig sein. Sein Segen ist indes abhängig von der Lebensführung der Menschen, von ihrem Gehorsam seinen Weisungen gegenüber. Darauf legt Jesus – Matthäus gibt in den Kapiteln 21-25 seines Evangeliums einen Eindruck davon – wiederholt den Finger, in Debatten mit gelehrten Juden, in Gleichnisgeschichten und Gesprächen. Was er sagt, trifft nicht nur die Juden seiner Zeit, sondern – im übertragenen Sinn – alle Menschen, die meinen, sie hätten eine gesicherte Beziehung zu Gott.
Was will denn der Galiläer uns predigen? fragt die religiöse Elite in Jerusalem, dem Zentrum der jüdischen Gelehrsamkeit. Wie begründet er den Anspruch, die Wahrheit zu verkündigen? Jesus weicht der Frage, wie sie ihm gestellt wird, nicht aus – und formuliert gleich eine Gegenfrage: Woher war die Taufe des Johannes? Stand Gott dahinter oder war sie seine Erfindung? Die Gelehrten wollen sich nicht den Zorn der Menge zuziehen, die den Täufer verehrt, und stellen sich unwissend. Damit geben sie zu erkennen, dass sie an der Wahrheit gar nicht interessiert sind. Jesus verweigert dementsprechend eine Antwort auf ihre Frage.
Drei gestörte Beziehungen
Und nun, die Menge der Festpilger vor sich, die zum Passahfest nach Jerusalem gekommen sind, beleuchtet Jesus die Beziehung der Juden zu ihrem Gott, seine Vorgaben und sein anhaltendes Werben um sie (wie es vor Jahrhunderten schon Hosea und andere Propheten zur Sprache gebracht hatten). Er erzählt drei Geschichten. Da ist ein Vater von zwei Söhnen, der dem einen und dann dem zweiten sagt, er solle im Weinberg arbeiten gehen. Der erste verweigert zuerst den Gehorsam, besinnt sich dann aber und geht; der zweite nickt, folgt der Weisung dann aber nicht.
Da ist ein Weinbergbesitzer, der verreist und sein Gut Pächtern überlässt. Sie wirtschaften auf eigene Rechnung und verhöhnen und misshandeln seine Boten, die den Pachtzins fordern. Den letzten, seinen eigenen Sohn, töten sie sogar. Da ist – die dritte Geschichte – ein König, der für seinen Sohn, den Kronprinzen, die Hochzeit ausrichtet. Alles ist bereit fürs grosse Fest, doch die Gäste mögen nicht kommen! Sie schieben wichtige Geschäfte vor und erscheinen nicht zum Fest…
Was dem Höchsten zukommt
Der Vater, der Weinbergbesitzer und der König: Sie alle fordern zu etwas auf, dem nicht Folge geleistet wird. Sie erwarten mit Fug und Recht ein Handeln – es wird verweigert. Jesus fragt die Leute, welche Strafe die hinterhältigen Pächter verdienen. Den Tod, heisst es. Die abweisenden Geladenen lässt der König umbringen, bemerkt er selbst und deutet damit an, dass hier Entscheidendes geschieht. Es geht nicht um eine gute oder weniger gute Saison, nicht um eine leicht getrübte Beziehung, sondern um Sein oder Nichtsein. Die Zukunft des Volks steht auf dem Spiel.
In den drei Personen des Vaters, des Rebbauern und des König ist Gott in seinem Werben dargestellt: Er meint es gut; er fordert ein, was vereinbart wurde; er lädt zum glanzvollen Fest. Die dritte Geschichte ist besonders pikant: Wie kommt es dazu, dass die Eingeladenen fernbleiben – wo sie doch nie Glanzvolleres erleben werden? Jesus verdeutlicht einen Grundzug Gottes: Er will die Menschen an seinem Reichtum teilhaben lassen. Und eine Tatsache der Geschichte der Israeliten: Sie haben sich wiederholt von Gott abgewandt. Wo stehen sie nun, die Jerusalemer, seine Zuhörer?
Lesen Sie morgen die Fortsetzung: Hochspannung in Jerusalem (2)