Familiär und jesusmässig

Vineyard-Gemeinden in Deutschland

Was ist aus den Anstössen von John Wimber in Deutschland geworden? Zum 25-Jahr-Jubiläum der Vineyard-Gemeinde Bern im Oktober 2006 reiste der Hamburger Pastor Ralf Miro an. Livenet fragte ihn, wie seine Gemeinde entstand und was sie auszeichnet.

Livenet: Wie sprang der Vineyard-Funke nach Deutschland – in den hohen Norden – über?
Ralf Miro: Das läuft alles über Beziehungen. 1987 und 1988 fanden Konferenzen mit John Wimber in Frankfurt statt. Eingefädelt wurden sie vom Hamburger Pastor Wolfram Kopfermann. Durch diese Konferenzen sind ganz viele Pastoren angesprochen worden. Erweckung – das grosse Ziel von Kopfermann – hat viele Facetten. Ihm ging es damals um Zeichen und Wunder, um das Heilungsgebet. Seine Gemeinde in der Hamburger Petrikirche hatte einen Aufbruch erlebt. In eigener Verantwortung lud Kopfermann Wimber ein, über das Gebet für Kranke zu lehren.

Durch die Konferenzen entstanden viele Beziehungen, die die Jahre überdauert haben. Dazu kommen persönliche Begegnungen einzelner Pastoren zur Vineyard-Bewegung in den USA. So konnte durch Gemeinde-Neugründungen die Vineyard-Bewegung in Deutschland Fuss fassen.

Dann sind, nachdem John Wimber gesät hatte, in den Neunzigerjahren Teams entstanden, die von ihm und den Bernern inspiriert Gemeinde bauen wollten?
Martin Bühlmann, der Berner Leiter, war der Übersetzer von John Wimber an den erwähnten Konferenzen. Die Basileia Bern – wie sie damals noch hiess – war uns immer einen Schritt voraus. Wir konnten gucken, wie sie’s machen. Sie haben weiterhin Konferenzen und Seminare veranstaltet. Wir Hamburger sind erst 1999 dazugekommen. Unsere Gemeinde wurde 1995 als freie Gemeinde gegründet. Ich habe mich umgeguckt, überlegt, was mich geprägt hatte, und bin so auf die Vineyard gekommen. 1995 suchte ich den Kontakt. Wir gingen ein Stück Wegs miteinander; ich nahm an den Pastorenkonferenzen teil und lernte John Wimber in England auch noch persönlich kennen.

Wie kam es 1995 zur Gemeindegründung?
Ich stamme aus Österreich. Während 12 Jahren arbeitete ich südlich von Wien als Pfarrer in der evangelischen Kirche A.B. Nun bin ich österreichischer Missionar in Norddeutschland. Wolfram Kopfermann lud mich 1989 ein, beim Aufbau der Anskar-Kirche mitzuhelfen. Ich wirkte da sechs Jahre mit. 1995 war der innere Druck in der Gemeinde so gross, dass gleich mehrere Gemeinden entstanden – nicht schmerzfrei, aber letztlich ein guter Prozess. Wir entschieden uns, in Hamburg zu bleiben.

Die Vineyard hat Werte bezeichnet, nach denen sie leben will. Wollen Sie sich damit von anderen Kirchen abheben?
Vineyard will nichts Besonderes sein; wir sind ein Kräutlein in der Suppe, das mit zu ihrem Geschmack beiträgt. Werte sind uns in der Tat ganz wichtig. Anbetung Gottes – die wird in anderen Gemeinden auch gemacht, keine Frage. Aber für uns ist Anbetung mehr als Musik. Es geht darum, Anbetung als Lebensstil zu haben, ein ‚jesusmässiges’ Leben zu führen, wie wir nun auch sagen. Das alles machen andere auch – aber trotzdem, wenn man in eine Vineyard-Gemeinde kommt, spürt man doch, dass es relativ frei und ungezwungen zugeht. Wir sagen immer, jeder kann kommen, wie er ist, ohne Kragen und ohne Schlips. Wir richten unser Augenmerk auf die Menschen, die zerbrochen sind, eher am Rand der Gesellschaft stehen. Unsere Vineyard-Gemeinden sind auch so etwas wie Krankenhäuser der Gesellschaft, in denen Menschen, die zerbrochen sind, gepflegt werden.

Sie nehmen den Auftrag von Jesus wahr, diesen Menschen zu dienen – aber sind auch angeregt von der Vineyard Bern?
In unserer Gemeinde lassen wir uns leiten von Gottes Auftrag, daran zu arbeiten, dass Menschen heil werden an Körper, Seele und Geist, dass sie heil werden in ihrer Beziehung zu Gott, zu den Nächsten und zu sich selbst, der eigenen Biografie. Relativ viele Menschen bei uns haben Zerbruch erlebt, was nicht unbedingt heisst, dass sie jetzt unter der Brücke schlafen. Sie sind irgendwie gescheitert, wurden an den Rand gedrängt. In unserer Gemeinde haben wir eine spezielle Berufung, für diese Menschen dazusein.

Immer noch nach dem Vorbild von John Wimber: doing clinic?
Wir haben regelmässige Gebetszeiten, für unterschiedliche Anliegen. Bei uns liegt der Schwerpunkt eher auf der seelisch-geistlichen Erkrankung. Wir beten für kranke Menschen und erleben da auch, dass Gott eingreift, aber nicht in der dramatischen Weise, die man mit Wimber verbindet. Seit kurzem bieten wir einmal pro Woche ein zweistündiges Gebet an. Jeder kann kommen, der für sein persönliches, familiäres und berufliches Umfeld Gebet wünscht. Wir nehmen uns Zeit, eine halbe Stunde, eine Stunde und beten für die eine Person, für ihr Umfeld, aber auch, dass sie ein Zeugnis für Jesus sein kann. Dass sie in ihrer Zerbrochenheit, trotz ihren Schwierigkeiten sagen kann: “Ich kenne Jesus und vertraue ihm, auch wenn es mir jetzt nicht so doll geht. Ich weiss trotzdem, dass Jesus meinem Leben Sinn gibt.“

Ist Vineyard in Deutschland eine wachsende Bewegung, immer noch Bewegung oder eine freikirchliche Denomination?
Wir sind eine Bewegung – und hoffentlich noch lange in Bewegung. Es gibt in Deutschland ungefähr 40 Vineyard-Gemeinden. Wir haben fünf Regionen gebildet; es gibt einzelne Projekte für Gemeindegründungen. In Hamburg sind wir in die ACK, die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen, aufgenommen worden. Dazu gehören 36 verschiedene Kirchen, von den Alt-Orientalen über die Lutheraner, Reformierten und Katholiken bis zu den Pfingstlern.

Ist die Zahl der deutschen Vineyard-Gemeinden letzthin langsamer gewachsen?
Ja. Anfänglich liessen sich viele Gemeinden in die Bewegung aufnehmen, die vorher allein standen, irgendwie heimatlos oder unzufrieden waren oder vielleicht nach Inspiration gesucht haben. Die sind dann Vineyard geworden. Neugründungen haben wir einige, auch in Hamburg. Wir sind im Osten zu Hause, hatten aber Leute aus Altona, westlich der Stadtmitte. Sie wünschten selbst zu beginnen. Darauf haben wir 30 Leute, vor allem Junge, losgeschickt. Die Vineyard in Altona ist in fünf Jahren auf 80 gewachsen.

Die meisten der 40 Gemeinden haben weniger als 100 – meist sehr engagierte – Mitglieder. Wer zu Vineyard kommt, kommt immer ein Stück weit in die Familie hinein. Gefragt ist Offenheit, sich in ihre Dynamik hineinzugeben.

Familiär Gemeinde leben kann man gut mit 70 oder 90 Christen, weniger mit 400…
Menschen suchen sich ihre Gemeinde, sie haben unterschiedliche Bedürfnisse. Wir sprechen vor allem jene an, die Anschluss suchen. Natürlich gibt es auch grosse Gemeinden, wo man sich seine Predigt ‚abholt’ und in der Masse mitschwimmen kann. Das ist bei uns nicht möglich. Bei uns wird jeder Einzelne gesehen. Da kann man nicht so leicht abtauchen.

Vineyard-Bewegung in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Vineyard Hamburg-Bergedorf
Interview mit Martin Bühlmann von der Vineyard Bern

Datum: 29.01.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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