«Wir Christen haben 60 Jahre Theorierückstand.» – Mit dieser These rüttelte der Basler Zukunftsforscher Andreas Walker die Leiter in freikirchlichen Verbänden und in der SEA vor Jahresfrist auf. Nun hat ihm die VBG ein Podium gegeben, um seine These zu erläutern.
Andreas Walker, Walter Dürr und Felix Ruther in der Diskussion
Am Studientag der VBG an der ETH Zürich begründete der promovierte Historiker und Geograf Andreas Walker am 8. November seine These und warf dazu Fragen in den Raum, die vom Bieler Theologen Walter Dürr, vom VBG-Studienleiter Felix Ruther und schliesslich von ihm selbst mit einer Replik beantwortet wurden.
Dr. Andreas Walker stellt die These in den Raum
Walker betonte, er wolle eine Antithese gegen gemeinhin gültige Überzeugungen und Werte formulieren und darauf hinweisen, dass die evangelischen Christen den Anschluss an die Entwicklungen in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft verloren hätten.
Bringschuld für die akademische Welt
Er erklärte dazu, das Evangelium sei in seinen Grundaussagen sehr einfach und damals ja an Hirten und Fischer ergangen. Dennoch müsse es heute so formuliert werden, dass es von den Eliten in Universitäten, Forschungszentren und Konzernzentralen verstanden werde und auf deren aktuelle Bedürfnisse eingehe. Die starke Fixierung evangelikaler Kreise auf Endzeit- und Entrückungsszenarien und auf die Kurzzeitschöpfungs-Theorie im 20. Jahrhundert habe sie daran gehindert, an diesen Themen zu arbeiten.
Weil Christen an einen Gott der Wahrheit, Weisheit und Erkenntnis glauben, seien sie der akademischen Welt schuldig, ihr die Antworten des Evangeliums zu erläutern. Dies erfordere einen Sichtwechsel. Die evangelischen Christen bräuchten Exponenten, deren Befunde auch ausserhalb der evangelischen Welt wahrgenommen würden. «Wo finden unsere Hochbegabten eine geistliche Heimat?», fragte Walker. In einer Zeit, in der Weltanschauungen, Menschen- und Gottesbilder stigmatisiert werden.
Postmoderne als Chance
Dr. Walter Dürr antwortet
Walter Dürr bezeichnete in seiner Antwort die Postmoderne für Christen als grosse Chance, weil sie die falschen Götter abgeschafft habe. Ihr totaler Werterelativismus und die Forderung, alles selbst zu entscheiden, überforderten aber die Menschen. Um ihnen Antworten zu vermitteln, müssten die Christen aber erst ihr duales (zweistöckiges) Weltbild überwinden, das Gott und sein Reich, und damit die eigene Bestimmung nur in der geistigen Welt sieht. «Wer Gott weltlos macht, darf sich nicht wundern, wenn die Welt gottlos wird», so Dürr.
Begabte Leute fördern, Netzwerke bilden
VBG-Studienleiter Felix Ruther erläuterte seine Bemühungen, die freikirchlichen Christen für die Fragen um Bedürfnisse der akademischen Welt, insbesondere der Naturwissenschaft, zu gewinnen. Er sei damit gescheitert, bilanziert Ruther. Er schlägt vor, auch Wissenschafter in ihren Arbeitsbereich auszusenden wie Missionare in ferne Länder. Und er leidet an der Engführung zum Beispiel beim Thema Schöpfung oder Evolution. Er suche daher für sein Anliegen neue Koalitionen – auch über den evangelischen Raum hinaus. Der VBG schlägt er vor, begabte Studierende, die sich an den Unis mit Grundfragen von Glaube und Denken befassen, mit Stipendien zu fördern und dafür einen Fonds zu äufnen. Weiter empfahl er, Fachgruppen und Netzwerke für integriertes Wissen zu bilden und gute Referate in der Studierendenarbeit in einem Bulletin zu publizieren.
In seiner eigenen Antwort betonte Andreas Walker, es gehe ihm nicht um schnelle christliche Antworten und Werte, sondern darum, die gesellschaftlichen Fragen, Probleme und Nöte zu entdecken, zu verstehen und zu lösen. Die evangelischen Christen hätten eine Übersetzungsleistung zu erbringen. Er sei sich bewusst, dass es dazu einen langen Atem brauche. Persönlich lässt er sich auf Wanderungen auf dem Jakobsweg inspirieren und organisiert Salongespräche, bei denen er namhafte Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik zusammenführt.
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