Corona macht etwas mit uns

«Menschen werden dünnhäutiger und tragen Konflikte heftiger aus»

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Werner Jampen (Bild: zVg)
Als Personalverantwortlicher des EGW hat Werner Jampen zahlreiche Gemeinden im Blickfeld. Aus dieser Perspektive teilt er einige Gedanken zur aktuellen Situation und weist auf den zentralen Wert von tragfähigen und lebensverändernden Beziehungen hin.

Werner Jampen (60) ist Personalverantwortlicher des Evangelischen Gemeinschaftswerkes (EGW), einer eigenständigen Bewegung innerhalb der Berner Landeskirche. Er trägt Verantwortung für ungefähr 50 Angestellte (Pfarrpersonen und JugendarbeiterInnen) aus den 36 Gemeinden. Dass Werner im vergangenen Jahr ganz unterschiedliche Gespräche geführt hat, muss an dieser Stelle wohl nicht speziell erwähnt werden.

Menschen werden dünnhäutiger, Konflikte heftiger

Als anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des EGW das Motto «Begeistert von Gott Brücken bauen» gewählt wurde, ahnte niemand, welche Bedeutung das Brückenbauen noch haben würde. «Je länger die Coronakrise dauert, desto wichtiger wird Brückenbauen», ist Werner überzeugt. «Menschen werden dünnhäutiger und tragen Konflikte heftiger aus als zuvor.»

Werner will einen Unterschied machen. «Ich möchte dort, wo Meinungen auseinandergehen, die Beziehung nicht abbrechen, sondern das Verbindende stärken.» Aktuell geht es immer wieder ums Vermitteln zwischen Menschen, wenn Meinungsverschiedenheiten auftreten.

«Ich vermisse die Gemeinschaft nach dem Gottesdienst»

«Wir müssen uns darauf fokussieren, Beziehungen zu pflegen», ist Werner überzeugt. «Wollen wir nach Corona möglichst schnell wieder eine Veranstaltungsgemeinde sein? Oder schaffen wir es, vermehrt Beziehungsgemeinde zu werden?» Solchen Fragen will Werner nicht ausweichen und auch in einer «neuen Normalität» weiterbewegen.

«Es darf nicht die Hauptsache sein, möglichst schnell wieder grosse Anlässe durchzuführen.» Vielmehr sei es Zeit zu überlegen, wie Gemeinde tragende und lebensverändernde Gemeinschaft leben kann. «Vielen Gemeindegliedern fehlen die einfachen Kontakte und der ungezwungene Austausch.» Diesem Wunsch können auch Livestream-Gottesdienste nicht abhelfen. «Um eine gute Predigt zu hören, bin ich im Internet gut bedient», sagt Werner. «Ich vermisse aber die Gespräche im Foyer und das gemeinsame Kaffeetrinken nach dem Gottesdienst.»

«Mit dem Livestream können wir die Zeit des Gottesdienstes frei wählen und anstrengenden Menschen aus dem Weg gehen.» Das sei zwar angenehm, aber auch ein Verlust. «Wo können wir lernen zu streiten und einander zu vergeben? Und wo lernen wir zu dienen und einander zuzuhören?»

Wir dürfen uns Gemeinschaft nicht rauben lassen

Die Sehnsucht nach sozialen Kontakten teilen heute viele. Eine EGW-Pfarrerin sagte: «Wir wollen daran festhalten, dass uns das Wesentliche durch die Coronakrise und alle Einschränkungen nicht genommen werden kann. Auch wenn wir die Form anpassen müssen: Wir gehören als Gemeinschaft zusammen und können miteinander beten.»

Verschiedene Grundreaktionen auf Corona

«Mir fiel auf, dass die Krise zwei Grundreaktionen hervorgerufen hat», schildert Werner seine Beobachtung. «Es gibt Menschen, die kreativ werden, um der Not zu begegnen und in allen Begrenzungen Chancen sehen. Andere hingegen sind wie gelähmt und verharren in einer Schockstarre. Es ist wichtig, einander aus dieser Starre herauszuhelfen und den Blick vor allem auf das Machbare und Mögliche zu richten.»

Menschen sind unterschiedlich und empfinden die aktuelle Situation verschieden. «Eine grosse Herausforderung der Mitarbeitenden, auch von den Ehrenamtlichen, besteht darin, einen guten Weg zu finden, welcher sowohl das Sicherheitsbedürfnis, wie auch das Freiheitsbedürfnis der Gemeindeglieder ernst nimmt. «Hier brauchen wir ein grosses Mass an Barmherzigkeit einander gegenüber.» Existenzängste bei Pfarrpersonen hat Werner bislang nicht erlebt.

Wodurch sich Nächstenliebe ausdrückt

Die Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit der Coronasituation unterscheidet sich an einem wesentlichen Punkt von früheren Diskussionen. «Meistens haben mein persönlicher Glaube und meine theologischen Überzeugungen wenig oder gar keine direkten Auswirkungen auf das Leben der Mitchristen. Momentan haben aber z.B. Entscheide betreffend Schutzmassnahmen direkte Auswirkung auf den Nächsten und deshalb ist Nächstenliebe zu einer realen Herausforderung geworden.»

«Was gar nicht geht, ist einander aus der eigenen Position heraus den Glauben abzusprechen.» Leider komme dies immer wieder vor. Nächstenliebe drücke sich aber nicht durch die Verurteilung anderer Ansichten aus, sondern durch die Annahme von Menschen – gerade dann, wenn uns deren Meinung gegen den Strich geht.

Um die Auswirkungen der Corona-Krise unter Christen ging es bei einem Livenet-Talk vor wenigen Wochen. Hier können Sie den Talk in voller Länge ansehen:


Zum Thema:
Corona, der Mensch und Gott: Wenn Covid-19 die Spiritualität infiziert
Angst und Depression: Frankreich: Junge Christen setzen sich für Mitstudenten ein
Corona-Pandemie: Fürs Alleinsein sind wir nicht gemacht
Kolumne von Sam Urech: Corona darf uns nicht spalten

Datum: 19.03.2021
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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