Für statt gegen

Kirche in Berührung mit der Gesellschaft

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Markus Baumgartner (Bild: zVg)
Markus Baumgartner ist Kommunikationsexperte. Im Interview erklärt er, dass er sich Kirchen wünscht, die mehr wissen, wofür sie stehen, als wogegen sie sind.

Markus Baumgartner, wie werden die Kirchen heute von aussen wahrgenommen?
Markus Baumgartner: Die Kirchen befinden sich in einer Rückzugsposition und verlieren gesellschaftlich immer mehr an Bedeutung: Die Skandale, die gelebte Subkultur und der stetige Mitgliederschwund dokumentieren, dass die Gesellschaft immer weniger Berührungspunkte mit den Kirchen hat. Sie werden immer weniger verstanden und ihre Angebote verlieren an Relevanz.

Was sind die Gründe dafür?
Täglich prasseln vier- bis fünftausend Werbebotschaften auf uns ein. Im Zeitalter von Smartphones nimmt die Reizüberflutung noch zu. Da schaffen es die Kirchen immer weniger, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu bekommen und die eigene Botschaft verständlich zu kommunizieren.

Wo liegen denn die grössten Schwellen?
Viele haben mit der Kirche abgeschlossen, weil sie irgendwo ein negatives Erlebnis oder Empfinden hatten. Zudem leben die Kirchen nicht, was sie verkündigen: Christen treten mit dem Anspruch an, dass der Glaube an Jesus sowohl das geplagte Individuum, als auch das gefährdete Miteinander zu heilen vermag. Aber wo gelingt es uns, diesen Anspruch gesellschaftlich relevant einzulösen? Darum sind wir für die draussen vor der Kirchentür oft schmerzlich unglaubwürdig und gesellschaftlich nicht von Bedeutung.

Wie können wir den Menschen einfachere Zugänge zu uns schaffen?
Wenn ein Investmentbanker oder eine Grafikdesignerin nach Sinn, Tiefe und Fülle, also nach einer spirituellen Dimension sucht, wohin wendet er/sie sich? Google liefert für Veranstaltungen zum Stichwort Spiritualität vor allem Chakren, Chi und Yoga: Seminare, Praxen, Bücher etc. Christliche Spiritualität kommt praktisch nicht vor.

Wo sehen Sie als Kommunikationsfachmann Themen und Brücken, mit denen Kirchen nahe sowohl an der Gesellschaft wie auch an der Botschaft der Bibel sind?
Zum einen kann Kirche nur authentisch sein, wenn sie sich diakonisch bewegt. «Glaube und Tat!», schrieb schon Jakobus. Damit kommt die Kirche wieder in Berührung mit der Gesellschaft, und es entstehen wieder eine Beziehung und Gespräche.

Zum anderen war Jesus informiert. Er las und diskutierte die politische, kulturelle und theologische Geschichte Israels schon als Zwölfjähriger. Damit lernte er zum Beispiel, warum er das Wort «Messias» nie für sich verwenden durfte. Ebenso sollten wir die Geschichte der Schweiz und Europas, einschliesslich unserer Bedeutung, besser kennen und sagen können, was uns ausmacht. Das bedeutet, statt uns auf Wohlfühlprogramme und Kundenbindung vielmehr auf die Klärung und Festigung unserer Identität zu fokussieren.

Worauf gilt es beim Sprechen über unseren Glauben besonders zu achten?
Freikirchen sind bekannt dafür, dass sie gegen Sex vor der Ehe, gegen Abtreibung und gegen Homosexualität sind. Stattdessen müssen wir ganz neu lernen, für etwas Hoffnungsvolles, Positives zu stehen. Da haben Christen einen Wettbewerbsvorteil: Sie haben eine bereinigte Vergangenheit, einen Sinn im Hier und Jetzt und eine hoffnungsvolle Zukunft. Welche andere Gruppe kann das von sich sagen? Christen müssten somit die fröhlichsten, hoffnungs- und humorvollsten Menschen sein, mit denen man gerne zusammen ist.

Schon die erste Kirche weckte mit ihrer Botschaft teilweise grossen Widerstand. Gibt es Widerstände, wo Sie sagen: Es ist ganz okay, wenn wir hier einen Kontrast zur Gesellschaft leben und sich Leute darüber ärgern?
Es gibt ja beides: «Sie hatten Gunst beim Volk», schreibt die Apostelgeschichte. Und kurz darauf wurden sie aufs Schärfste verfolgt. Weltweit gibt es rund 250 Millionen verfolgte Christen, deren Kirchen trotzdem stark wachsen. Für Ärger sorgten die Kirchen in der Schweiz mit dem starken Engagement bei der Konzernverantwortungsinitiative. Die Abstimmung ging zwar verloren, doch es entstand ein breiter gesellschaftlicher Diskurs.

Markus Baumgartner (55) ist Mitglied der BewegungPlus Zug und Kommunikations- und Marketingberater mit eigener Agentur. Seit 2020 ist er zudem Mediensprecher des Dachverbands Freikirchen.ch.

Dieser Artikel erschien zuerst im BewegungPlus-Magazin.

Zum Thema:
Kirche und unsere Gesellschaft: Zwischen Anpassung und Abgrenzung
Kirstine Fratz: Der Zeitgeist ist kein Feind
Kampf mit Schutzkonzepten: «Fühlte mich wie Mose beim Schreiben des Leviticus»

Datum: 23.04.2021
Autor: Christian Ringli / Markus Baumgartner
Quelle: BewegungPlus

Kommentare

Schade, dass dauernd wiederholt wird, was aus meiner Sicht total am Problem vorbeigeht. Muss das sein? Dass Freikirchen dafür bekannt sind, gegen Abtreibung, Sex vor der Ehe und Homosexualität sind, ist das Framing der Medien und Gesellschaft. Wieso verstärkt ihr das? Die Wahrheit ist doch: sobald es um Anliegen geht, die trendy sind, darf man gegen etwas sein. Sogar laut und orange! Liebe Kommunikationsexperten: Würden die Christen sich 1000x Arme, Hungernde einsetzen (was sie auch tun, mich inbegriffen) und 10x etwas gegen Abtreibung oder Sex vor der Ehe sagen, würde behauptet, wir seien immer gegen etwas. Sexy werden wir nur sein, wenn wir uns uns drücken, ausweichen, schweigen...autsch!
Sehr guter Kommentar! Es sind nicht die Christen, sondern die Gesellschaft, die von diesen Themen besessen ist u. ständig darauf herumreitet. Wir sagen einfach, was gemäss unserem Glauben geht, und was nicht – damit hätte es sich eigentlich (Wir hätten im Grunde andere, positivere Anliegen, wobei Lebensschutz sehr wichtig ist). Die postchristl. Gesellschaft will das aber nicht akzeptieren, es genügt ihr nicht, wenn nicht wirklich alle die «Fesseln» von sich streifen. Damit wären wir auch schon bei den Aussagen der Bibel zum Wesen der Gemeinde, und was sie über diese Zeiten sagt. Liebe Geschwister, bekümmert euch nicht über Dinge, die man schon lange wissen kann u. die ihr nicht ändern könnt.

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