Die Werte der säkularen Gesellschaft
entfernen sich von christlichen Werten oder ersetzen diese. Wir haben Leiter
aus der Evangelischen Allianz und den Freikirchen gefragt, wie sie die gesellschaftliche
Entwicklung und ihre Konsequenzen beurteilen.
Heute dominieren Werte
wie Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Diskriminierungsverbot und Diversität.
Sie stehen für Christen nicht an erster Stelle. Wird das zu vermehrtem
gesellschaftlichen Druck führen? Bis hin zur Verfolgung? Christian Haslebacher,
Regionalleiter von Chrischona, meint dazu: «Ich erwarte, dass der
gesellschaftliche Druck zunehmen wird. Verfolgung kann dabei subtilere und
offensichtlichere Formen annehmen. Gleichzeitig bin ich der Überzeugung: Mutige
Christinnen und Christen braucht das Land!» Denn in einer pluralistischen
Gesellschaft müssten Christen damit leben, dass sie nicht immer die
Mehrheitsmeinung vertreten.
Glaubensbasierte Positionen
unter Druck
Auch Marc Jost,
Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA), erwartet eine
Zunahme des gesellschaftlichen Drucks, und er stellt fest: «Die Säkularisierung
schreitet in grossen Schritten voran. Je länger je mehr werden Positionen, die
glaubensbasiert sind, unter Druck kommen.» Die Schwelle, wegen so genannter «Hassrede»
vor Gericht zu landen, sei tiefer geworden.
Marc Jost ortet ein «Verwirrspiel gewisser
Lobbyisten», deren Anliegen heute mangels tiefgreifender Diskussion schnell zum
Mainstream werden. Es komme dabei zu einer Pervertierung von Begriffen, sodass
legitime Anliegen plötzlich als intolerant erscheinen, was die freie
Meinungsäusserung einschränke.
Gesetzgebung aufmerksam beobachten
Peter Schneeberger,
Präsident des Dachverbandes der Schweizer Freikirchen, legt ein Augenmerk auf
die Arbeit im Bundeshaus, denn staatliche Interventionen brauchten eine
gesetzliche Grundlage. «Darum ist der Dachverband Freikirchen.ch hellwach, wenn es um die Einführung
von neuen Gesetzen geht, welche die Religionsausübung oder Religionsfreiheit in
irgendeiner Art einschränken könnten.» Freikirchen.ch nehme
diese Aufgabe wahr durch die mit der SEA und weiteren Partnerorganisation
gegründete «Christian Public Affairs»-Stelle und auch, indem er sich an
Vernehmlassungen beteilige.
Medialer Druck steigt
Allerdings ortet
Schneeberger Probleme weniger durch staatliche Intervention, als durch medialen
und gesellschaftlichen Druck. Er verweist auf einen Artikel in der NZZ vom
23.08.2021, wo es heisst: «Die liberale Ordnung basiert auf einer
Grundparadoxie. Sie berücksichtigt Differenzen und Minderheiten, und sie sieht
zugleich von ihnen ab. Sie steht und fällt mit einem Uneindeutigkeitsprinzip:
fünf gerade sein lassen.»
Die links geprägte Medienlandschaft könne jedoch
heute nicht mehr fünf gerade sein lassen und sehe gewisse Identitäten immer als
diskriminiert an. «Das führt dann für eine sehr kleine Klientel zu immer neuen
Gesetzen, die oft weit weg sind von einem christlichen Wertekatalog.» Allerdings
dürften gerade Freikirchen sich nicht als diskriminierte Minderheit gebärden,
sondern als «Gesellschaft der guten Hoffnung».
Den Hoffnungstank öffnen
Denn, so Schneeberger: «Christen
haben einen grossen Hoffnungstank und einen Deutungsrahmen, der über das
Materielle hinausgeht.» Über den Tod zu reden sei zum Beispiel ein grosses
Tabuthema geworden. Christen jedoch «reden darüber, weil der Tod für sie nur
eine Schwelle ist und kein endgültiges Lebensende». Durch die starke Förderung von Kindern
und Jugendlichen mit ihren Programmen in den Kirchen helfen sie vielen jungen
Menschen zu Stabilität und Mündigkeit.»
Er erzählt von einem Schlüsselerlebnis,
als ihn ein Radiomann nach dem Abschalten des Aufnahmegeräts gefragt habe, wie
die Christen die aktuelle Pandemie deuteten. «Ich durfte dann ganz kurz sagen,
dass ich die Pandemie als grossen Weckruf für den Westen sehe, dass nicht alles
machbar ist und wir von Gottes Eingreifen abhängig sind.» Und er stellt fest: «Die
Frage nach Sinn und Wert hat in den letzten knapp zwei Jahren extrem zugenommen.»
Gleichzeitig sei die Scheu stärker geworden, in der Öffentlichkeit über christlichen
Glauben zu reden. «Wir müssen also ganz neu sicheren Boden finden, um mit den
Menschen über die Hoffnung zu reden, dass Gott wirklich ist.»
Gelassenheit und Leidenschaft
Christian Haslebacher
Denn gesellschaftlicher
Druck sei kein Grund, sich zurückzuziehen, betont auch Christian Haslebacher.
Im Gegenteil: «Wir bleiben eine selbstbewusste Stimme auf dem 'Markt der
Weltanschauungen'. Der christliche Glaube ist eine lebensfördernde, attraktive
Weltanschauung», betont der Vizepräsident von Freikirchen.ch. Und
ergänzt: «Wir brauchen eine gewisse Gelassenheit gegenüber der Gesellschaft bei
gleichzeitiger Leidenschaft für das Evangelium und die Gesellschaft.
Leidenschaft ohne Gelassenheit wäre Fanatismus. Gelassenheit ohne Leidenschaft
wäre Gleichgültigkeit.»
An der Debatte teilnehmen
Marc Jost hat gerade in
der Abstimmungsdebatte zur «Ehe für alle» die positive Erfahrung gemacht, dass
es Christen möglich war, zu einer echten Debatte beizutragen, in der auch
Vorurteile aufgebrochen werden konnten. Medien hätten auf die Argumente einer Minderheit
zurückgegriffen, auch wenn sich dabei etliche wegen möglicher
Reputationsschäden gar nicht an der Diskussion beteiligt hätten.
In die Offensive gehen
Der Inhalt des Evangeliums erlaube es den Christen, in die Offensive zu
gehen und sich in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen, so Christian
Haslebacher: «Ich glaube, dass Jesus Christus uns voraussetzungsfreie Liebe,
unantastbare Würde, befreiende Versöhnung, inspirierende Zuversicht und
wirksames Potenzial schenkt – in einer Welt mit viel Lieblosigkeit,
Entwürdigung, Krieg und Misstrauen, Hoffnungslosigkeit und Machtlosigkeit.» Christen
sollten dies in ihren Verlautbarungen
und Taten, mutig und demütig bezeugen. «Diese Botschaft hatte die Kraft, sich
im römischen Reich durchzusetzen, das den Christen gegenüber anfangs viel
negativer eingestellt war, als unsere heutige Gesellschaft!» Und: «Dieses
Evangelium hat bis heute nichts von seiner gewinnenden Kraft eingebüsst.»
Sehen Sie sich hier einen Livenet-Talk zum Thema «Christenverfolgung – auch im Westen?» an:
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