Mansour: «Radikalisierung hat in unserer Gesellschaft stattgefunden»
Europa tut sich schwer mit dem Phänomen, dass die muslimischen Terroristen meistens nicht aus dem Ausland kommen, sondern «unter uns» aufgewachsen sind. Das Rezept gegen den Terror liegt somit nicht in rigorosen Grenzkontrollen.
Jungs vom Jugendtreff Gutschick
Der in Israel aufgewachsene Araber Ahmad Mansour hat am eigenen Leibe erfahren, wie jugendliche Muslime häufig radikalisiert werden. Obwohl in einer areligiösen muslimischen Familie aufgewachsen, kam er mit einem radikalen Imam in Kontakt und wurde so zum Islamisten. Auslöser war das Mobbing durch andere Jugendliche, das ihn in diese Falle trieb. Erst in seinem Psychologiestudium in Tel Aviv, als er seine vermeintlichen Feinde, die Juden, traf, fand er wieder aus seiner extremen Haltung heraus.
Vom Radikalen zum Aktivisten für Prävention
Ahmad Mansour, Psychologe und Autor.
Seine weitere berufliche Laufbahn hat ihn darin bestätigt, dass viele Jugendliche in Europa, obwohl zum Teil aus areligiösen muslimischen Familien stammend, durch Salafisten, Imame, das Internet etc. radikalisiert werden. Gerade sie müsse man erreichen, wenn man dem Terror in Europa vorbeugen wolle, heisst die Botschaft von Mansour. Er hat dazu Programme entwickelt, die auch den verbreiteten Antisemitismus unter Islamisten und Muslimen angehen. Heute ist er Gruppenleiter des Berliner Antigewalt-Projekts Heroes (Projekte zur Gewaltprävention) in Berlin, das sich aktiv gegen jede «Unterdrückung im Namen der Ehre» wendet. Zudem arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für demokratische Kultur in Berlin und als beratender Programme Director bei der European Foundation for Democracy in Brüssel.
Schulen und Muslime in die Verantwortung nehmen
Mansour fordert vor allem einen aktiven Einbezug der Fragen rund um die Geschehnisse im Nahen Osten und zum Islam in den Schulen. Diese müssten über die Vorgänge aufklären und auch die Fragen der Jugendlichen dazu aufnehmen und diskutieren. Zudem fordert er auf, die Muslime in unseren Ländern in die Verantwortung zu nehmen, statt sie auszugrenzen, obwohl er dem real existierenden Islam recht kritisch gegenübersteht. Zudem müsse ihnen im Umgang mit ihren Jugendlichen Hilfe angeboten werden. Er beobachtet, dass sich gerade die Moscheevereine damit schwer tun.
Die muslimischen Kinder erreichen
Mädchen vom Jugendtreff Gutschick in Winterthur
Gegenüber der Berner Zeitung sagte Mansour: «Wir müssen muslimische Kinder und ihre Eltern erreichen und ihnen erklären, dass sie ihre Kultur und ihren Glauben leben sollen, dass sie aber keine Angst vor westlichen Werten haben müssen. Dass junge Frauen ihren Partner selber wählen dürfen, dass kritisches Denken gut und notwendig ist. Gleichzeitig sollten wir anerkennen, dass Muslime positive Werte aus ihrer orientalischen Kultur mitbringen: Gastfreundschaft, Kinderfreundlichkeit, Zusammenhalt.» Zu den Chancen, gefährdete Jugendliche zu erreichen, meinte er: «Ich bin überzeugt, dass wir 80 Prozent der jungen Leute mit einer Disposition zur Radikalität ansprechen könnten, bevor sie gewalttätig werden. Das gelingt aber nur, wenn alle, Muslime und Nichtmuslime, in der westlichen Gesellschaft die Freiheit verteidigen.» Das Minarettverbot in der Schweiz bedauert er aus dieser Perspektive.
Ein Beispiel aus Winterthur
Wie muslimische Jugendliche – und im Gefolge auch ihre Eltern – für eine konstruktive Arbeit gewonnen werden können, zeigt das Beispiel der Jugendarbeit des Vereins «Gutschick» in Winterthur, die auch Jugendliche in einem Quartier erreicht, aus dem bereits Dschihadisten nach Syrien gereist sind. Sie funktioniert als Kooperation der «Chile Grütze» (Chrischona) mit der katholischen Kirchgemeinde sowie der Stadt Winterthur.
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