«Grammatik entstellt, um politische Ziele durchzusetzen»
Die Sprache werde als Nebenkriegsschauplatz
missbraucht, meint Bestsellerautor und Grammatikexperte Bastian Sick. Im Interview erklärt er, warum er die Petition «Schluss mit dem Gender-Unfug» als einer der
Ersten unterschrieben hat.
Bastian Sick
Herr Sick, Sie haben die
Petition «Schluss mit dem Gender-Unfug!» gegen gendergerechte Sprache
als einer der Ersten unterzeichnet. Wieso?
Bastian
Sick: Weil ich von einem der Initiatoren, Professor Walter Krämer,
darum gebeten wurde. Und weil ich in der Vergangenheit schon mehrfach
gegen die Auswüchse der «Genderisierung» protestiert habe. Vor fünf
Jahren gab es zum Beispiel einen ähnlichen Aufruf in Österreich. Dort
hatte die Regierung verfügt, dass alle Texte für den Schulunterricht
konsequent «gegendert» werden müssen. Will ein Schulbuchautor als
Arbeitsanleitung schreiben: «Jeder, dem dazu etwas einfällt, schreibt
seine Ideen auf einen Zettel und gibt ihn an seinen Nachbarn weiter», so
muss er dies nun, um für sein Werk die Zulassung als österreichisches
Schulbuch zu bekommen, in folgender Form tun: «Jede/r, der/m dazu etwas
einfällt, schreibt ihre/seine Ideen auf einen Zettel und gibt ihn an
ihre/ihren/seine/seinen Nachbarin/Nachbarn weiter.» Das macht die Texte
unleserlich und erschwert das Verständnis.
Welche
«Eingriffe in die deutsche Sprache» empfinden Sie als besonders
«zerstörerisch», wie die Petition des Vereins Deutsche Sprache
formuliert?
Ich habe überhaupt
nichts dagegen, wenn von Bürgerinnen und Bürgern, von Wählerinnen und
Wählern und von Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen die Rede ist. Ich
bin nur dagegen, dass staatliche Institutionen dies per Gesetz verordnen
wollen, wie zuletzt in der Stadt Hannover geschehen. Und es behagt mir
nicht, wenn die Grammatik dabei verbogen wird. Anstelle von «Studenten
und Studentinnen» spricht man ja schon seit geraumer Zeit von
«Studierenden». Das ist ein substantiviertes Partizip. Ein Studierender
ist aber nicht dasselbe wie ein Student. Ein Studierender ist jemand,
der gerade studiert. Sowie er sich mit etwas anderem beschäftigt, ist er
kein Studierender mehr. Im Unterschied zum Studenten, der auch dann
noch ein Student ist, wenn er schläft oder Party macht. Ein
Zeitunglesender ist auch kein Zeitunglesender mehr, wenn er die Zeitung
aus der Hand gelegt hat. Im Unterschied zum Zeitungsleser, der auch dann
noch ein Zeitungsleser ist, wenn er Kaffee trinkt oder auf die Toilette
geht. Die Grammatik wurde hier kurzerhand entstellt, um politische
Ziele durchzusetzen.
Diejenigen,
die den Gebrauch gendergerechter Sprache vorantreiben, möchten dadurch
die Gleichstellung der Geschlechter fördern. Was ist daran verkehrt?
Am
Ziel ist gar nichts verkehrt, aber am Weg. Die Sprache wird hier als
Nebenkriegsschauplatz missbraucht. In Wahrheit geht es doch ums etwas
ganz anderes. Zum Beispiel um die Anpassung der Gehälter von Männern und
Frauen in gleichrangigen Positionen. Noch immer verdienen die Frauen
weniger. Und warum ist das so? Weil die Wirtschaft es so will. Und die
Politik tut immer, was die Wirtschaft will. In jedem Ministerium gibt es
Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte. Die können sich aber mit
diesen Forderungen, zum Beispiel gleiche Bezahlung von Männern und
Frauen, nicht durchsetzen. Um ihre Funktion dennoch zu rechtfertigen,
weichen sie auf Nebenkriegsschauplätze auf, wo man sie gewähren lässt.
Das
«generische Maskulinum», also wenn man die maskuline Form eines
Substantivs verwendet, wenn das tatsächliche Geschlecht unbekannt oder
egal erscheint, ist für Befürworter gendergerechter Sprache traditionell
problematisch. Es markiere die männliche Form als Norm und die
weibliche als Abweichung von dieser Norm. Deswegen ist vielen eine
explizite «weibliche» Markierung wichtig. Ist das kein berechtigtes
Anliegen?
Wenn es im Supermarkt
oder im Kaufhaus heisst «Liebe Kunden, unsere Geschäft schliesst in
wenigen Minuten. Bitte begeben sich zu den Kassen», dann kann doch
niemand ernsthaft behaupten, dieser Aufruf gälte nur für Männer. Als
Showmaster wie Kulenkampff und Frankenfeld sagten: «Ich begrüsse auch
unsere Zuschauer in Österreich und in der Schweiz», waren damit
selbstverständlich auch die Frauen gemeint. Wenn ich auf einem Schild
lese «Fussgänger bitte andere Strassenseite benutzen», ist es doch
herzlich egal, ob ich Männlein oder Weiblein bin. Übrigens hat der Bundesgerichtshof erst vor Kurzem in einem Urteil entschieden, dass der Begriff
«Kontoinhaber» die Frauen nicht ausschliesse. Eine Frau hatte gegen ihre
Bank geklagt und verlangt, dass es auf den Formularen auch
«Kontoinhaberinnen» heissen müssen. Ihre Klage wurde abgeschmettert. Wer
trotzdem etwas anderes verlangt, stellt damit eine Entscheidung unseres
obersten Gerichts in Frage.
Die
Petition besagt, dass «kein fester Zusammenhang zwischen dem
natürlichen und dem grammatischen Geschlecht bestehe». Die angegebenen
Beispiele sind zwar korrekt, aber sprachwissenschaftliche Experimente
haben auch immer wieder gezeigt, dass Sprache das Denken von Menschen
lenkt. Insofern übt Sprache grosse Macht aus. Wie bewerten Sie diesen
Sachverhalt?
Ich stimme Ihnen zu,
dass Sprache ein Instrument der Machtausübung sein kann. Das sehen wir
ja jeden Tag im Fernsehen, wenn Politiker sich hinter Wortungetümen
verschanzen, um sich dadurch wichtiger und unangreifbar zu machen. Oder
die Wirtschaftsleute mit all ihren lächerlichen Anglizismen. Klar und
verständlich zu sprechen, ohne dabei abgehoben oder vulgär zu klingen,
das ist die wahre Kunst der Rede. Ob über Jahrhunderte die Frau in der
Sprache bewusst unterdrückt wurde, indem nur Formen auf «-er» – also
Bürger, Bewohner, Käufer etc. – verwendet wurden, darüber lässt sich
trefflich streiten. Die Endung -er findet man schliesslich auch bei der
«Mutter» und der «Schwester». Das ist doch ein klarer Beweis, dass die
Endung «-er» nicht zwangsläufig nur Vertreter des männlichen Geschlechts
beschreibt
Das Binnen-I gibt
es seit 1981. Der vielleicht bekannteste Journalist, Wolf Schneider, hat
schon vor Jahren öffentlich der gendergerechten Sprache den Kampf
erklärt. Wie erklären Sie es sich, dass die Bewegung gerade jetzt so
viel Fahrt aufnimmt, wo die Dinge doch schon seit Jahrzehnten bekannt
sind?
Das liegt, wie schon
erwähnt, am Vorstoss der Stadt Hannover, die zu Jahresbeginn per Erlass
eine geschlechtsneutrale Amtssprache durchgesetzt hat. Damit folgte sie
übrigens nur dem Beispiel der Stadt Bern, die eine solche
geschlechtsneutrale Sprache schon vor neun Jahren verordnet hat. Statt
«Fussgänger» soll man dort von «Passanten» schreiben, der Führerschein –
beziehungsweise Führerausweis, wie man in der Schweiz bis dahin sagte –
wurde zum «Fahrausweis», der «Besucher» zum «Gast», die «Mannschaft» zur
«Gruppe». Welch ein Krampf! In Bezug auf das «Innen» bei Schreibweisen
wie «StudentInnen» oder «SoldatInnen» erinnere ich an die amtlichen
Regeln der Rechtschreibung, die nur eine weibliche Form mit
grossgeschriebenem «Innen» zulassen, und zwar bei dem Wort
«Innenarchitektinnen».
Viele
Unterzeichner haben ihrer Sorge Ausdruck verliehen, von der Politik
bevormundet zu werden. Auch in anderen Lebensbereichen lässt sich eine
solche Sorge beobachten. Warum glauben sich so viele Bürger bevormundet?
Weil
sie dazu gar nicht befragt wurden. Der Mehrheit der Deutschen, die
Frauen eingeschlossen, ist dieses Thema nämlich herzlich egal. Sie
empfinden Wörter wie «Kunde», «Fussgänger» oder «Radfahrer» nicht als
frauenfeindlich, nur weil die Endung auf «-innen» fehlt. Diese ganze
Debatte ist schliesslich nur der Versuch einiger Politiker, männlich wie
weiblich, sich zu profilieren. Die Politik aber darf die Sprache nicht
instrumentalisieren, zumal die Geschichte voller grausiger Beispiele
steckt, in denen Regierungen die Sprache manipuliert oder zensiert
haben, um ihre Ziele durchzusetzen. Jede staatliche Vorschrift im Sinne
von «Ihr müsst jetzt alle A statt B sagen» ist ein Akt der
Freiheitsberaubung.
Es gibt auch eine Bibelübersetzung in geschlechterneutraler Sprache. Was halten Sie davon?
Die
Bibel gibt es in allen Sprachen und in den unterschiedlichsten
Bearbeitungen. Von der Bibel für Kinder – ich habe sie geliebt! – über
die Bibel in leichter Sprache bis zur gendergerechten Bibel. All das ist
völlig in Ordnung. Die Worte Gottes und Jesu kann man auf tausenderlei
Arten wiedergeben, jede Predigt ist schliesslich eine neue Interpretation
der Bibel. Es sollte nur jedem Gläubigen die Freiheit der Wahl
überlassen bleiben, welche Textform er bevorzugt. Schriebe die Kirche
eines Tages vor, dass nur noch die Bibel in leichter oder in
gendergerechter Sprache verlesen werden dürfe, wäre das für mich der
Zeitpunkt, ihr den Rücken zu kehren.
Auf
dem Kirchentag 2017 wurde Matthias Claudius’ Lied «Der Mond ist
aufgegangen» gegendert gesungen, und auch die «Schwestern» spielen in
dem Text eine Rolle. Würden Sie das Lied in der Fassung gern mitsingen?
Nein.
Denn dabei handelt es sich um ein Kunstwerk, und ein solches
nachträglich zu verändern, wäre Frevel. Wenn Kunst aus politischen
Gründen verfälscht wird, ist das ein Eingriff in die Freiheit der Kunst.
Von mir aus kann man einen neuen Text auf die Melodie schreiben, aber
der Claudius-Text bleibt bitte so, wie er ist. Im vergangenen Jahr hatte
übrigens die Gleichstellungsbeauftragte des Familienministeriums allen
Ernstes vorgeschlagen, die dritte Strophe unserer Nationalhymne zu
ändern und die Worte «Vaterland» und «brüderlich» durch andere zu
ersetzen. Auch das war nur ein verzweifelter Akt der
Gleichstellungsbeauftragten, Aufmerksamkeit zu erzeugen und somit ihre
Funktion zu rechtfertigen. Zum Glück ist sie von Angela Merkel sofort
zurückgepfiffen worden.
Bastian Sick, Jahrgang 1965, begann 1995 als
Dokumentationsjournalist beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Vier Jahre
später wechselte er als Schlussredakteur in die Online-Redaktion. 2003
bekam er die Kolumne «Zwiebelfisch», in der er humorvoll über häufige
sprachliche Fehler und die grammatischen Hintergründe schreibt. Daraus
wurde schliesslich die Buchreihe «Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod» mit
mittlerweile sechs Folgen. Seit 2006 ist er auch mit einem Bühnenprogrammen
unterwegs.
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